Studie: Was Lehrer krank macht:Das pöbelnde Klassenzimmer

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Aggressive Schüler, nervige Eltern, Leistungsdruck: Erstmals zeigt eine Studie, was die Lehrer am meisten belastet - und häufig zu psychischen Erkrankungen führt.

Birgit Taffertshofer

Auch Claudia G. verließ schon mal heulend das Klassenzimmer. Sie hielt die Attacken der Schüler nicht mehr aus. Eine Kollegin übernahm den Unterricht, während sie im Lehrerzimmer versuchte, wieder zu Kräften zu kommen. "Es macht einen kaputt, dass man jeden Tag wieder bei Null anfängt'', sagt die junge Hauptschullehrerin.

Knapp die Hälfte der Lehrer ist regelmässig Pöbeleien ausgesetzt. Die Folge sind oft psychische oder psychosomatische Krankheiten. (Foto: Foto: ddp)

Vielen Lehrern ist ähnlich zumute wie Claudie G., das zeigt eine neue Studie der Universität Freiburg. Nichts macht Lehrer so krank wie Beleidigungen und Aggressionen von Schülern, haben der Psychiater Joachim Bauer und Thomas Unterbrink herausgefunden. Und nicht selten seien die Lehrer den Kindern hilflos ausgeliefert, weil sie nie gelernt haben, mit Anfeindungen umzugehen und Ursachen zu erkennen.

Die beiden Wissenschaftler aus Freiburg haben knapp tausend Pädagogen von Hauptschulen und Gymnasien in Südbaden nach der Arbeitsatmosphäre an ihrer Schule und ihrem Wohlbefinden befragt. Das Ergebnis: Aggression ist belastender als alle anderen Faktoren am Arbeitsplatz Schule, wie etwa große Klassen, Arbeitsumfang oder Überstunden.

Den klarsten Zusammenhang fanden die Forscher zwischen sich feindselig äußernden Schülern und der Gesundheit der Lehrer. Nachweisbaren Einfluss hätten aber auch unzufriedene und aggressive Eltern, sagte Bauer zur Süddeutschen Zeitung. Erstmals nennt damit eine Studie, was die Lehrer am meisten belastet.

Es gibt keine Zweifel mehr, dass Lehrer einen anstrengenden Beruf haben. Zahlreiche Studien belegen ihre hohe gesundheitliche Gefährdung. Der Arbeitsmediziner Andreas Weber fand heraus, dass mehr als die Hälfte der vorzeitig ausscheidenden Pädagogen psychische oder psychosomatische Leiden beklagen.

Knapp die Hälfte der Lehrer Pöbeleien ausgesetzt

Und das wohl nicht ohne Grund: Nach der Studie von Bauer sind innerhalb eines Jahres 43 Prozent der Lehrer feindseligen Pöbeleien ausgesetzt, vier Prozent würden mit Gewalt bedroht und 1,4 Prozent körperlich angegriffen. In Hauptschulen seien diese Zahlen noch höher.

Dass die Gewalt nicht nur von Schülern ausgeht, sondern auch von Eltern, zeigt ein Beispiel aus Hannover. Dort bewarf eine Mutter im Streit über ihre Tochter den Schulrektor Rüdiger Brandt mit einer Tasse. Die Scherben verletzten ihn an der Hand, die er sich schützend vor das Gesicht gehalten hatte. Die Frau wurde wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Der Leiter der Grundschule ist momentan krankgeschrieben.

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Zu wenig Vorbereitung im Studium

"Es dauert oft lange, bis psychische Wunden heilen'', sagt der Psychiater Bauer. Deswegen dringt der Forscher darauf, viel früher anzusetzen: noch während des Studiums. Das Studium bereite angehende Lehrer nicht ausreichend auf die Konfrontation mit Schülern und Eltern vor, die in der heutigen Leistungsgesellschaft selbst stark unter Druck stünden und eine Menge Probleme bewältigen müssten. Wer ihnen gegenüber nicht wirksam auftreten könne, verschleiße sich selbst, warnt Bauer.

Andere Studien hatten zuletzt Auswahl und Ausbildung der Lehrer kritisiert. So ergab eine Langzeitstudie des Frankfurter Schulforschers Udo Rauin, die Mehrzahl der im Beruf ausgebrannten Lehrer sei schon im Studium überfordert.

Schon zu Studienbeginn erklärten ein Viertel der Studenten, sie wollten den Job eigentlich gar nicht machen. Der Potsdamer Psychologe Uwe Schaarschmidt fand in einer Studie mit 20000 Lehrern heraus, dass jeder vierte Student und Referendar ein resignativer Typ ist. Es gebe die Illusion, Lehrer hätten einen bequemen Job. Dabei sei ihre Arbeit härter als die von Polizisten oder Ärzten.

Die Forscher der Universität Potsdam haben deshalb einen Eignungstest entwickelt. Er soll Abiturienten helfen, herauszufinden, ob sie das Zeug zum Lehrer haben - oder es lieber bleiben lassen sollten.

Bin ich belastbar?

Habe ich wirklich Freude am Umgang mit Kindern? Kann ich vor Gruppen sprechen? Bin ich belastbar? Fragen dieser Art sollten sich Interessierte schon vor der Einschreibung stellen. Noch besser fände Bauer ein verpflichtendes Orientierungspraktikum vor dem Studium und eine psychologische Ausbildung. "Die Lehrer müssen die Signale der Kinder und Eltern erkennen, bevor es zu spät ist.''

Ein Orientierungspraktikum und mehr Psychologie im Studium hätte auch Claudia G. gut gefunden. "Das Studium hat mich kaum auf die Schule vorbereitet", sagt sie. Vieles habe sie sich mühsam selbst erarbeiten müssen.

© SZ vom 11.07.2008/mei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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