Studenten im Stress:Ferien? Welche Ferien?

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Semesterbetrieb oder vorlesungsfreie Zeit - für Studenten macht das kaum einen Unterschied: Die Sommer-Monate sind meist vollgestopft mit Praktika und Kursen.

Von Philip Wolff

Ferien. Ein Wort, in dem für Hochschülerinnen wie Martina N., die naturwissenschaftliche Fächer studieren, ein wenig Nostalgie mitschwingt. Ein ähnliches Gefühl, wie es bei Philologen vom Wort "Sommerfrische" ausgelöst wird. Sommerfrische sagt heute kein Mensch mehr. Und Ferien: "Die hatte ich nicht mehr, seit ich mein Grundstudium abgeschlossen habe", sagt Martina N.

Weil in Fächern wie Biologie, Chemie oder Physik so viel Lehrstoff vermittelt werden muss, dass die Zeit in den Semestern dafür kaum ausreicht, verlagern viele Professoren ihre Kurse und Praktika in die so genannte vorlesungsfreie Zeit. Das ist der Grund, warum Biologie-Studentin Martina N. zurzeit bei sommerlichen 30Grad Celsius im Labor des Instituts für Genetik der Münchner Universität (LMU) arbeitet, das im Nordteil des Nymphenburger Schlosses untergebracht ist.

Urlaub im warmen Labor

Draußen fotografieren Touristen die historische Parklandschaft, genießen die Sommerfrische. Drinnen beobachtet die Studentin mit vier Kommilitonen eine Zentrifuge, die Glasröhrchen schleudert. Die Studenten tragen weiße Kittel und warten darauf, dass sich aus einer Flüssigkeit die Zellmembranen zerpresster Bakterien absondern. Viele biochemische Prozesse laufen in der Hitze dieses Sommers im unklimatisierten Labor anders, als sie sollten. Und auch die Ferien - über deren Mangel sich Hochschüler nach herrschender Meinung nicht beklagen können - stellt man sich für gewöhnlich anders vor.

Es sind fünf Biologie-Studenten, die in diesen Ferien zwischen ihrem sechsten und siebten Fachsemester das Wahlpflicht-Programm in Genetik bei Professorin Beate Averhoff absolvieren. In einem mehrwöchigen Blockpraktikum lernen sie die Bedingungen des Transfers von Erbgut in Bakterien kennen. "Während des Semesters würden sich die Zeiten, die ein solches Praktikum in Anspruch nimmt, mit zu vielen Vorlesungen und Seminaren überschneiden", sagt Averhoff. "Außerdem sind im Semester die Räume für andere Veranstaltungen ausgebucht."

Studium ohne Unterbrechung

Und so bleibt, dank des Ausweichmanövers in die vorlesungsfreie Zeit, manches Münchner Hochschul-Institut auch in den Hochsommermonaten gut besucht. Das Studium läuft ohne Unterbrechung weiter: "Immerhin müssen wir im Anschluss an das Praktikum noch ein Protokoll in Form einer wissenschaftlichen Arbeit schreiben", sagt Martina N.- Kommilitone Martin H.. Danach beginnt sofort wieder der reguläre Semester-Betrieb. "Mit diesem Pensum sind wir Biologen unter den Studenten in den Naturwissenschaften aber keine Ausnahme", tröstet sich Martin Heidemann.

Während angehende Juristen drei vorlesungsfreie Monate mit Pflichtpraktika in der Verwaltung oder bei Unternehmen verbringen, oder Studenten des Maschinenwesens mindestens 18 Wochen Tätigkeit in der Industrie oder im öffentlichen Dienst nachweisen müssen, während die meisten Geisteswissenschaftler sich freiwillig selbst Praktika suchen und bei Unternehmen Kontakte für ihre berufliche Zukunft knüpfen, bleiben hunderte angehender Naturwissenschaftler in den Ferien in den Räumen ihrer Hochschule. Und machen Scheine. Anorganisch-chemische Praktika etwa, sechs Wochen lang, ganztägig. Laborpraktika für Physiker. Botanisch-mikroskopische Kurse für Lebensmittelchemiker.

Gängige Doppelbelastung: Praktika plus Jobben

Solche Veranstaltungen zählten natürlich nicht als "richtige Praktika, die einem später in der Karriere nützlich sind", sagt Martina N. Kontakte in die Arbeitswelt bauen sie und ihre Kommilitonen sich deshalb zusätzlich auf - neben den Acht-Stunden-Tagen im Genetik-Labor. "Und außerdem müssen wir auch noch jobben, um das Studium zu finanzieren", sagt die Biologie-Studentin. Eine doppelte Herausforderung, für die sie eine einfache Lösung gefunden hat: Martina N. jobbt bei einer Biotechnologie-Firma. Während der Semester und in den Monaten dazwischen. Nur noch knapp zwei Wochen im Jahr, sagt sie, habe sie mittlerweile Urlaub.

Bei Medizinstudentin Prisca Drews sind es immerhin 20 freie Tage. Auch bei ihr macht es keinen Unterschied, ob das Semester läuft oder gerade Semesterferien sind. Zwei vorlesungsfreie Monate verbrachte Prisca Drews vor der ersten Vorprüfung im Krankenpflegedienst, fünf weitere Monate mit Famulaturen vor der zweiten Ärztlichen Prüfung - und ihre restlichen Ferien bestanden großteils aus der Vorbereitung auf Staatsexamina oder auf die Doktorarbeit: Prisca Drews ist kaum etwas anderes gewohnt aus ihrem Studium, als nahezu ganzjährig die Anforderungen der Ärztlichen Ausbildungsordnung zu erfüllen - ob in Vorlesungen und Seminaren an der Technischen Universität oder in Praxis-Phasen am Uni-Klinikum.

Ganztags im OP

Jetzt, da sie im Klinikum rechts der Isar ihr praktisches Jahr absolviert, ist Prisca Drews mit ihrem Studium vollzeitbeschäftigt: Sie kommt jeden Morgen um 7.30 Uhr zur Frühbesprechung in die Anästhesiologie und verbringt die Tage bis 16 Uhr im Operationssaal. Bereitet gemeinsam mit Ärzten Narkosen vor, lernt unter der Anleitung von ärztlichen Kollegen Beatmungsschläuche in die Luftröhren der Patienten zu legen, Schmerz- und Schlafmittel zu dosieren und den künstlichen Tiefschlaf zu überwachen, bis die OP vorüber ist. Bis zu sechs Mal am Tag.

48 Wochen lang durchläuft sie verschiedene Abteilungen der Klinik. Dafür bekommt sie am Ende eine Bescheinigung, die sie zur Anmeldung zum dritten Staatsexamen berechtigt - und in der Kantine jeden Tag ein verbilligtes Mittagessen. "Um mir das Studium zu finanzieren, arbeite ich nebenher noch für ein Gesundheitsportal im Internet, im Dekanat und für eine Anästhesie-Praxis", sagt Prisca Drews.

Ferien? Matthias Plöscher, Biologiestudent im zehnten Semester, hat das Gefühl, dass diese Errungenschaft immer mehr verschwindet. "Früher war es noch so, dass die Praktika an einem festen Tag pro Woche während des Semesters stattfanden." Heute würden zunehmend Block-Veranstaltungen in der vorlesungsfreien Zeit angeboten. Ein wenig Nostalgie schwingt in seiner Stimme mit, als er das sagt. Zwar seien die heutigen kompakten Kurse in den Semesterferien geeigneter, um tief in die praktische Materie einzusteigen und wissenschaftliche Arbeits-Routine zu bekommen. "Doch für uns hier im Labor", sagt Plöscher, "war dieser Sommer ein schlechter Sommer."

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