Sprech-Lern-Seminar:Wer aufbläht, lügt

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Feuchte Hände, trockener Hals. Wem die Stimme versagt, wenn er vor versammelter Mannschaft reden muss, dem hilft ein Sprech-Lern-Seminar.

Franziska Brüning

"Pa-dibbadibba-däh, äh." So spricht einer, der kein Rhetorik-König ist. Er zieht dabei jedes Ende eines Satzabschnitts nach oben und langweilt alle, die ihm zuhören müssen. ",Ich freue mich, dass pa-dibbadibba-däh'. Das ist furchtbar", sagt Michael Rossié und verdreht die Augen. Welches Publikum hat schon Lust, sich immer wieder denselben phonetischen Einheitsbrei anzuhören? Alle schütteln die Köpfe.

Reden lernen im Seminar: Sprechübungen werden wie auf einer Kleinkunstbühne inszeniert. (Foto: Foto: iStock)

Rossié arbeitet seit 20 Jahren als Sprechtrainer für Moderatoren und Redner aus Politik und Wirtschaft. Er teilt die Welt der Redner in Könige und Untertanen ein: "Der König würde sagen: Ich habe mit 40 gerechnet, 50 sind gekommen" und das natürlich, ohne die Satzpassagen nach oben zu ziehen oder einzelne Wörter aufzublähen. Denn wer aufbläht, lügt, und Redner sollen vielmehr ehrlich und authentisch sein, sagt Rossié. Sechs Untertanen - vier betont gelassene Männer und zwei zappelige Frauen - sitzen an diesem Montagmorgen im Übungsstudio der Macromedia-Fachhochschule in München und bewundern ihre rhetorische Majestät Rossié: Alexander, Jürgen, Sybille, Zdenek, Wolfgang und Jutta sind hierhergekommen, um das zu lernen, was sie alle nicht so gut zu können glauben: Sprechen.

Begabter Alleinunterhalter

Wer die Gruppe sieht, würde nicht annehmen, dass diese sechs erwachsenen Leute zu schwitzen anfangen, wenn sie eine kleine Ansprache halten sollen. Michael Rossié scheint das - sei es aus Überzeugung, Erfahrung oder Taktik - ganz ähnlich einzuschätzen. "Jeder kann das, was er zum Reden braucht", sagt er und blickt lächelnd in die Runde. "Im Privaten, beim Flirten zum Beispiel. Wir wollen nur noch lernen, diese Fähigkeiten auch vor vielen Leuten einzusetzen."

Dabei klingt seine Stimme so warm und aufmunternd, als müsste er die Kursteilnehmer wie die kleinen aufgeregten Vier- bis Sechsjährigen in "Kinderquatsch mit Michael Schanze" davon abhalten, sich vor Angst in die Hose zu machen. Rossiés Lieblingsworte sind "König" oder "Königin", "flirten" und "Du kannst das". Wenn Sybille an sich selber zweifelt, kniet er vor ihr nieder und sagt: "Mach es wie beim Flirten. Du bist die Königin, Sybille. Du kannst das." Und Sybille, die sich eben noch so verkrampft mit der Hand durch ihr langes Haar fuhr, schmunzelt ganz entspannt.

Seitenhieb auf dieKollegen

Rossié ist nicht nur gelernter Schauspieler und Regisseur, er ist vor allem ein begabter Alleinunterhalter. Sein "Sprecherquatsch mit Michael" ist tatsächlich alles andere als Quatsch - er funktioniert. Nachdem er freudestrahlend angekündigt hat, "dass es bei ihm keinen festen Seminarablauf" gibt, bietet er allen für die Dauer der zwei Kurstage erst einmal das Du an. Barrieren abbauen ist der erste Punkt seiner Entspannungsstrategie, Vertrauen schaffen der zweite. "Ich kritisiere nicht, und ich nörgle nicht an euch herum", sagt er. "Nur ein schlechtes Training gibt Anweisungen. Mir ist aber zum Beispiel egal, was ihr mit euren Händen macht. Dieses Handballett wie in der Schauspielschule, das ist Blödsinn."

Der kleine Seitenhieb auf seine Kollegen, den er nonchalant mit einer Theatereinlage unterstreicht - er verstreut unsichtbares Hühnerfutter über den Studioboden - ist ein weiterer Aspekt seiner Methode: lachen, lachen und nochmal lachen. Spätestens jetzt sind nicht nur Sybille und Jutta, sondern auch die Männer seinem Entertainercharme erlegen.

Cowboy auf Dienstreise

Dabei sind Ort und Atmosphäre denkbar ungünstig für ein ungezwungenes Miteinander. Schwere blaue Vorhänge verbannen das Tageslicht aus dem muffigen Studio. Im Hintergrund sitzen drei Techniker hinter einer Glasscheibe und regeln das Mischpult, das die sechs ehrfürchtig begutachten. Rossié bittet gleich zu Kursbeginn jeden seiner angehenden Hoheiten zum verbalen Balztanz vor die Kamera - und das ist purer Stress. Zdenek steht da wie ein Cowboy, erzählt von einer Dienstreise und sagt vor allem "äh". Wolfgang mit dem Glitzerohrring versteckt krampfhaft seine Hände hinter dem Rücken und verkleckert seine Ansprache über die Wahl am kommenden Sonntag. Sybille bekommt Apfelbäckchen und flüchtet vor dem Mikrophon, bevor sie ihren letzten Satz zu Ende gesprochen hat, Jürgen sagt irgend etwas wie "pa-dibbadibba-däh" und Jutta reiht auch nur Floskeln aneinander, obwohl sie dasteht wie ein Fels in der Brandung.

Den ersten lebendigen Satz der Truppe spricht Alexander. "Da merkt man gleich, dass der schon mal in einem Rhetorik-Kurs war", kräht Jutta, und Rossié beschwichtigt: "Alle machen das sehr ordentlich. Ihr könntet die nächsten 20 Jahre noch so weitermachen. Wir arbeiten nicht zwischen schlecht und gut, sondern zwischen gut und sehr gut". Und wieder weicht ein Quentchen Anspannung aus den sechs Gesichtern.

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Pausenplaudereien bei Kaffee und Teilchen

Die Anziehungskraft, die Rossié auf seine Schützlinge ausübt, hat viel mit dem amerikanischen "Think positive" zu tun, das er unablässig vermittelt. Der entspannte Wechsel zwischen Pausenplaudereien bei Kaffee und Teilchen und Rossiés szenischen Improvisationen, mit denen er seine Sprechübungen wie auf einer Kleinkunstbühne inszeniert, tragen ihr Übriges zum Stressabbau bei. Nur Jutta lässt sich noch nicht so recht überzeugen. "Na klar, jetzt macht er das eben wieder aus dem Stehgreif", sagt sie, lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und schmollt ein bisschen.

Rossié überhört den kritischen Zwischenruf - vielleicht tut er auch nur so als ob. Und er behält Recht, denn seine Methode zeigt schon am nächsten Morgen Erfolge. Das "pa-dibbadibba-däh" des Vortags, das Rossié ganz unaristokratisch als rednerisches "Bullshit-Bingo" bezeichnet, ist verschwunden. Stattdessen lernen die Teilnehmer Stück für Stück ihre Erlebnisse in Sternform zu schildern. Bildlich gesprochen werden um das zentrale Thema in der Mitte - beispielsweise die Stadt Istanbul - einzelne Schlagworte wie persönliche Erfahrungen oder der turbulente Verkehr angeordnet.

Selbstbewusste Schlusspunkte

Und auf einmal ist es egal, wenn der Faden reißt, denn thematisch erzählt macht es keinen Unterschied, ob der Redner hin und her springt oder ob etwas fehlt. Sybille setzt auf einmal ganz selbstbewusste Schlusspunkte - der Schnellkurs hat gewirkt. Überhaupt ist die Verwandlung in nur zwei Tagen verblüffend. Cowboy Zdenek zum Beispiel erzählt flüssig und mit Begeisterung von seiner Arbeit - das "äh" ist fast verschwunden. Dazu hat er gelernt, etwas leiser zu sprechen, und schon rutscht seine Stimme, die gestern noch gequält hinten saß, nach vorne. Alexander hat sich geradezu perfektioniert, aber er macht den anderen nichts mehr vor.

"Werdet, wie ihr seid. Ich habe es euch doch gesagt", bemerkt Rossié, als hätte er tatsächlich von Anfang an gewusst, dass alle so gut sein würden.

Am Ende wird wie bei Michael Schanze stürmisch geklatscht - nur dass keine Schilder das Publikum dazu auffordern. "Das war so toll, jetzt wollen wir gar nicht mehr heim", sagt selbst Jutta aus vollem Herzen und möchte sogar ein Autogramm von ihrem Lehrer. Rossié ist auch das sichtlich gewöhnt. So ganz sind die Unterschiede zwischen gut und sehr gut nämlich nicht aufgehoben: Wo vorher sechs Untertanen und ein König standen, stehen jetzt sechs Könige und ein Superstar.

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