Schule:Almosen für die Klassenfahrt

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Viele Eltern können sich Klassenfahrten für ihre Kinder nicht mehr leisten: Die Schüler bewegen sich in einer Welt zwischen Freizeitpark und Hartz IV.

Frank van Bebber

Der Mann kam wortlos in das Lehrerzimmer der Frankfurter Weißfrauenschule und drückte einem verdutzten Lehrer einen Umschlag in die Hand. Darin waren 150 Euro für eine Schülerin, über die in der Zeitung gestanden hatte, sie müsse aus Geldnot auf die Teilnahme an der Klassenfahrt verzichten. Die Spende rettete der 16-jährigen Tochter einer Hartz-IV-Empfängerin acht Tage im Oberstdorfer Schnee samt Skikurs, für die unterm Strich 260 Euro fällig wurden.

Teures Vergnügen oder praktischer Physikunterricht? Eine Schulkasse fährt Achterbahn im Europapark Rust. (Foto: Foto: ddp)

Auch andernorts wird für die Reisekasse von Schülern gesammelt: "Jede Schule hat einen Sozialfonds eingerichtet", sagt Sylvia Schnaubelt vom Kultusministerium in Bayern. 35 Euro spenden in Bayern alle übrigen Eltern jedes Jahr im Schnitt für jene, die sich ohne Hilfe keine Klassenfahrt leisten könnten. Was mitfühlende Bürger zu Spenden rührt, spürt längst auch die Branche, die vom Schultourismus lebt. Almosen sind keine sichere Basis für ein Geschäftsmodell.

"Die Klasse fährt nicht, wenn sich drei oder vier Schüler das nicht leisten können", sagt Ulrike Lüke vom Klassenfahrt-Spezialisten Klühspies, der jedes Jahr 90.000 Schüler verschickt. Mehr als früher achten Eltern auf den Preis, sagt sie. Das Unternehmen verkürzt darum auf Wunsch Fahrten und speckt Programme ab. Und es gibt Lehrern mit einer CD-Rom Argumente für den Elternabend an die Hand. Eine Versicherung springt ein, wenn ein Schüler wegen Arbeitslosigkeit der Eltern absagen muss. Eine Demütigung, die allerdings selbst die Hartz-IV-Gesetze Schülern ersparen wollen.

Quartier mit Pool und Disco

Mehrtägige Klassenfahrten sind eine der wenigen Ausnahmen, für die es bis heute zur pauschalierten Hartz-IV-Hilfe noch einmal Extrageld gibt. Mehrere Gerichte haben den entsprechenden Paragraphen bei knauserigen Behörden schon durchgesetzt. Auch in Frankfurt hätte es darum der Spende im Lehrerzimmer wohl nicht bedurft. Die Stadt Frankfurt aber orientiert sich an einem Erlass des Kultusministeriums, nach dem eine Fahrt im Inland nur 150 Euro kosten darf. "Aber daran halten sich die Schulen immer weniger, immer wieder gibt es Probleme", sagt die Sprecherin der Sozialbürgermeisterin. Deshalb hat die Stadt das Ministerium nun gebeten, die Obergrenze anzuheben.

Im Salzburgerland, wo etwa 60 Gästehäuser von Schulfahrten leben, heißt es, Geldsorgen vieler Eltern erschwerten das Geschäft. Die Angebote der Österreicher sind aber auch ein Beleg für den Abschied vom biederen Landschulheim mit Etagendusche und Schlafsaal. Sabine Presch vom Marketing der Tourismusregion schwärmt, auf die Schüler warte häufig ein Doppelzimmer mit Bad und Fernseher. Manches Quartier wirbt mit Pool und Disco.

Bei der Bildungsmesse Didacta vorige Woche in Stuttgart erklärte die Branche Canyoning und Rafting zum Trend. In Katalogen für Schulfahrten stehen Ziele wie Paris, Rom und Barcelona. Gloria Bialas aber sagt: "Es muss keine neunte Klasse ins Ausland fahren." Bialas ist die Marketing-Chefin der deutschen Jugendherbergen. Es könne doch lehrreich sein, sagt sie, "mal in einem Vier-Bett-Zimmer zu schlafen, sein Bett zu beziehen und einen Tisch abzuräumen". Bialas rät den Schulen, schon bei der Aufnahme ihrer Schüler darüber zu informieren, wann Fahrten anstehen. "Es gibt Familien, die darauf hinsparen müssen."

Auf der nächsten Seite: Wie die Klassenfahrt zum Lehrstück über eine Schulwirklichkeit zwischen Hartz IV und Spaßgesellschaft wird.

Die Klassenfahrt wird so zum Lehrstück über eine Schulwirklichkeit zwischen Hartz IV und Spaßgesellschaft. Den Anspruch, "Deutschlands größtes Klassenzimmer" zu sein, erhebt ein Freizeitpark bei Freiburg. Der Europapark in Rust preist seine Achterbahn als praktischen Physikunterricht. Er wirbt mit dem nahen "Sciencehouse", das naturwissenschaftliche Versuche zeigt. Die für das Wissenschaftshaus freigestellte Lehrerin Charlotte Willmer-Klumpp sagt, die Kombination aus Vergnügen, Lernen und Natur sei "perfekt".

Auch das Phantasialand in Brühl sieht seine "Welt des Entertainments" als Ziel für eine "schöne und sinnvolle Klassenfahrt". Man könne sich sogar eine Reise nach Afrika sparen, weil man ein Afrika-Dorf errichtet habe. Durch das Dorf braust eine Achterbahn; geschlafen wird im Indianerzelt. An solche Attraktionen hatte die Runde der deutschen Kultusminister wohl kaum gedacht, als sie 1983 ihre bis heute gültige Empfehlung zum Thema abgab. Jeder Schüler solle mindestens einmal an einem Landheimaufenthalt teilnehmen, die Dauer habe sich nach Pädagogik und Finanzierbarkeit zu richten. Ansonsten gilt bei Klassenfahrten die Vielfalt des Föderalismus. Baden-Württemberg überlässt den Schulen Ausgabengrenzen für die Fahrten. In Bayern gilt ein Richtwert von bis zu 250 Euro für eine Woche.

In Niedersachsen wetterte der nun ins Justizressort wechselnde Kultusminister Bernd Busemann schon vor einigen Jahren über "Luxus-Schulfahrten ins Ausland". An einem 1. April witzelte er schließlich, man werde bald Klassenfahrten ins Weltall anbieten. Nach dem Scherz schuf das Land ein Internet-Portal, das Schulen die Heimat näherbringt, mit 533 Ausflugszielen vor der eigenen Haustür.

© SZ vom 25.2.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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