Schulcomputer in der Kritik:Denken in Textbausteinen

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Genug davon: Psychologen und Lehrer hinterfragen den Einsatz von Rechnern im Unterricht.

Barbara Kerbel

Tellergroße Kopfhörer auf den Ohren, krampfhaft nach vorne gebeugt, dem Mikrofon entgegen, mit starrem Blick auf die Tischplatte, anstatt auf die Lehrerin oder die Mitschüler. In dieser Haltung lernten Schüler bis in die achtziger Jahre Englisch. Sprachlabor hieß die technische Wunderwaffe, die damals an kaum einer Schule fehlen durfte - waren die Pädagogen doch überzeugt, die optimale Lernmethode entdeckt zu haben. Irgendwann setzte sich dann doch die Erkenntnis durch, dass Sprache davon lebt, miteinander statt nebeneinander gesprochen zu werden. Die Sprachlabors verstaubten und wurden kurz darauf in vielen Schulen zu Computerräumen umgebaut. Seit den neunziger Jahren ist der PC der neue technische Hoffungsträger in vielen Schulen.

Was früher das Sprachlabor, ist heute der PC. Doch was bringt die technologische Aufrüstung fürs Lernen? (Foto: Foto: dpa)

Wer im Internet die Seite des städtischen Louise-Schroeder-Gymnasiums in München aufruft, findet den Link "Schulwiki". Wie auf der Seite des Internetlexikons Wikipedia finden sich dort Informationen über die Schule, geschrieben von den Schülern. "Wikis sind gerade sehr populär", sagt Uta Conrad, im Pädagogischen Institut (PI) der Stadt die zentrale Fachberaterin für neue Medien. Conrad schult Lehrer am Computer, zeigt ihnen, wie sie den PC im Unterricht als "Werkzeug" einsetzen können. Das Verfassen von Lexikonbeiträgen gilt als gute Methode, Schülern den Umgang mit dem Computer zu vermitteln: Denn wer einen Beitrag schreibt, muss zunächst Informationen aus verschiedenen Quellen sammeln, sie bewerten und hinterher die nützlichen verwenden. "Bei jungen Schülern ist schon viel erreicht, wenn sie lernen, Informationen zu hinterfragen", sagt Christine Feil, Soziologin am Deutschen Jugendinstitut.

Kritische Lehrer

Medienkompetenz ist seit einigen Jahren das Schlüsselwort vieler Pädagogen. Die Stadt München hat sich besonders hohe Ziele gesetzt, Schülern den Umgang mit dem Computer zu vermitteln. Im Jahr 2000 hatte der Stadtrat beschlossen, alle öffentlichen Schulen und Kindertagesstätten miteinander zu vernetzen. Seit 2005 sind alle 340 städtische und staatliche Schulen Münchens durch ein gemeinsames Netzwerk verbunden. In jedem Klassenzimmer gibt es seitdem mindestens einen PC, jede Schule hat zudem einen oder mehrere Computerräume.

Für die Lehrer, von denen Uta Conrad zufolge noch immer ein großer Teil Vorbehalte habe gegen den Computer, organisiert das PI Fortbildungen. Dabei werde das Angebot ständig ausgeweitet. Etwa 1500 Lehrer haben sich laut Conrad bislang für die so genannten "virtuellen Hefte", auf dem zentralen Münchner Server verfügbare Unterrichtsmaterialien, registriert. Die Stadt hat eigens für die Schulen Techniker eingestellt, die helfen, wenn einer der fast 30.000 Rechner plötzlich streikt. "Bundesweit vorbildlich" nennt Eva-Maria Volland, Sprecherin des Schulreferats, das Münchner Projekt und auch Waltraud Lucic, Vorsitzende des Münchner Lehrerverbandes (MLLV), rühmt die "hervorragende Sachwaltung" der Stadt.

Ob das Ziel, Kinder und Jugendliche Medienkompetenz zu lehren, allerdings mit technischem Aufwand erreicht werden kann, bezweifeln vor allem Psychologen. Zwar werde der Rechner im Unterricht meist sinnvoll eingesetzt, sagt Hans-Jürgen Tölle, Leiter des Zentralen Schulpsychologischen Dienstes der Stadt München. Doch je intensiver Schüler zu Hause den PC nutzten, desto schlechter werde ihre Schulleistung, das bemerke er immer wieder. "Schüler durchdenken Themen nicht mehr richtig", sagt Tölle. "Schreiben sie zum Beispiel einen Aufsatz am PC, setzen sie ihn oft nur aus Textbausteinen zusammen, statt sich wirklich mit dem Thema zu befassen."

So weit wie der Hirnforscher Manfred Spitzer allerdings geht Tölle nicht. "Bildschirme raus aus Kinderzimmern und Grundschulen" , fordert Spitzer seit langem. Bis zur Mittelstufe sollten Kinder idealerweise von Fernseher und PC ferngehalten werden.

Wie am Kiosk

Medienkompetenz könne in der Schule schon deshalb nicht vermittelt werden, argumentiert Spitzer, da die Gefahr bestehe, dass die Jugendlichen in der Schule überhaupt erst aufmerksam werden auf pornographische Inhalte und andere Gefahren im Internet. "Unsinn", sagt dazu Karlheinz Neubig-Scherf, Lehrer am Louise-Schroeder-Gymnasium, wo bereits 1992 der erste PC-Raum eingerichtet wurde. "Alle Schüler wissen auch, dass es am Bahnhofskiosk Pornohefte gibt, und trotzdem kaufen sich die wenigsten welche."

Auch Psychologe Tölle schließt aus, dass die Schule Jugendliche zum Missbrauch des Computers verleiten könnte. Er glaubt allerdings auch nicht, dass die Schule dabei viel Positives bewirken kann. "Als Halbtagsmodell hat die Schule nur sehr wenig Einfluss", sagt er. Was nutze es, wenn sie vormittags mit dem PC recherchieren und sich am Nachmittag dann doch wieder nur zum Spielen vor den Monitor setzten?

Den Computer aus den Schulen zu verbannen, hält Soziologin Feil für "überhaupt nicht realistisch." Schule müsse Bezug nehmen zum Alltag und Lebensumfeld der Kinder, und da gehörten Medien nun mal dazu. "Man kann nicht an der Wirklichkeit vorbei leben", sagt auch Waltraud Lucic. Im Unterricht müsse der Rechner aber dosiert eingesetzt werden. Sie etwa fordere ihre Schüler auf, den Stuhl vom Monitor wegzuschieben, wenn sie im PC-Raum etwas an der Tafel erkläre; andernfalls fessele der Bildschirm die Aufmerksamkeit. "Einen noch höheren Stellenwert braucht der Computer in der Schule nicht", sagt sie.

© SZ vom 2.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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