Riskanter Bafög-Betrug:Mal milde, mal drakonisch

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Sie sind Geschwister und schummeln beim Bafög. Doch die Strafen, die sie dafür erhalten, unterscheiden sich sehr.

Wolf Schmidt

Im Nachhinein macht sich Sandra Berger Vorwürfe. "Ich habe den Sozialstaat betrogen. Das war nicht in Ordnung", sagt die 27-Jährige. Andererseits seien ihre Eltern damals, als sie Bafög beantragte, in einer schwierigen Lage gewesen. Das Architekturbüro des Vaters lief schlecht, die Familie musste das Haus verkaufen. Und so verschwieg Sandra Berger - die anders heißt, weil sie ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte - dem Bafög-Amt einen Fonds, den ihre Eltern für das Studium angelegt hatten. "Hätte ich den Fonds angegeben, hätte ich kein Geld bekommen", sagt sie. Mehr als 5200 Euro darf ein Bafög-Empfänger nicht besitzen.

(Foto: N/A)

Insgesamt bekam Sandra Berger 8000 Euro Bafög, die ihr nicht zustanden. Ihr Bruder Thomas hat dasselbe getan. Auch er verschwieg den Fonds, auch er bekam zu Unrecht Bafög, 3100 Euro. Das Studentenwerk kam den Geschwistern auf die Schliche. Seit Juli 2002 werden Bafög-Anträge mit Daten der Banken verglichen, die beim Bundesamt für Finanzen gespeichert sind. 50.000 Schummler haben die Behörden so enttarnt - das entspricht jedem vierzehnten Antrag.

"Ausbildung für die Katz"

Die Geschwister Berger kamen beide vor Gericht, beide wurden verurteilt. Doch Thomas kam deutlich glimpflicher davon als seine Schwester. Das Amtsgericht Heidelberg verurteilte den 26-Jährigen zu einer Geldstrafe von 500 Euro. Sandra erwischte es härter. Sie wurde am Amtsgericht Waiblingen, ebenfalls in Baden-Württemberg, wegen Betrugs zu 120 Tagessätzen à 25 Euro verurteilt. Insgesamt sind das 3000 Euro - zusätzlich zu dem Bafög, das sie sofort zurückzahlen musste. Weitaus folgenreicher ist, dass Sandra Berger jetzt vorbestraft ist und einen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis erhält.

In Nordrhein-Westfalen wäre Sandras Fall vermutlich gegen eine Geldauflage eingestellt worden. Erst ab einem Schaden von mehr als 15.000 Euro wird dort eine Vorstrafe mit einem Eintrag ins Führungszeugnis fällig. Das entspricht einer Bafög-Summe von 30.000 Euro. Denn mit "Schaden" ist nur diejenige Hälfte des erschlichenen Betrags gemeint, die der Staat als Zuschuss auszahlt; die andere Hälfte ist ein Darlehen, das ohnehin zurückgezahlt werden muss.

Bafög-Betrug wird je nach Gericht und Bundesland unterschiedlich geahndet. Die Spannweite reicht von einer Einstellung der Verfahren wegen Geringfügigkeit bis hin zu Freiheitsstrafen. "Das ist ein völlig unbefriedigender Zustand und widerspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung", moniert der Münchner Anwalt Eberhard Zeeb. Es sei an der Zeit für eine Angleichung. In Bremen und Hamburg würden die Bafög-Ämter die Staatsanwälte oft nicht einmal über Betrugsfälle informieren. Sie forderten das Geld zurück, zu einem Strafverfahren komme es aber nur in Ausnahmen.

In Bayern wird hingegen hart durchgegriffen. Hier gibt es eine Hausverfügung der Staatsanwaltschaft, schon bei einem Schaden von 6000 Euro eine Strafe von 90 Tagessätzen zu beantragen - es gibt dann auch automatisch einen Eintrag ins Führungszeugnis. Ähnliches gilt für Baden-Württemberg.

Aber auch innerhalb eines Bundeslandes können die Strafen je nach Gericht unterschiedlich hoch ausfallen, wie der Fall des Geschwisterpaars zeigt. Pech für Sandra Berger: Sie geriet an eine Richterin, die bekannt dafür ist, bei Bafög-Betrug wenig Verständnis zu zeigen. Doch es kam noch härter für die 27-Jährige, die ihr Studium mittlerweile abgeschlossen hat und nun für eine Filmproduktionsfirma arbeitet. Die Firma dreht in diesem Jahr einen Dokumentarfilm in den USA, Berger war fest als Kamera-Assistentin eingeplant. Doch wegen ihrer Vorstrafe verweigert ihr das amerikanische Konsulat nun das Journalistenvisum. Dieses Mal wurde Berger ihre Ehrlichkeit zum Verhängnis. Auf dem Antrag für das Visum hatte sie zugegeben, vorbestraft zu sein. Daraufhin musste sie die Gerichtsunterlagen vorlegen. Nach mehrwöchiger Prüfung hat das Konsulat den Antrag abgelehnt.

Philipp Heinze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält eine "Kriminalisierung" von Bafög-Betrügern für falsch: "Ein Schuss vor den Bug ist in Ordnung. Aber die Leute sollten nicht in ihrer Existenz bedroht sein."

Heinze arbeitet im Beratungsteam Bafög-Datenabgleich der GEW. Viele angehende Lehrer und Juristen melden sich bei ihm, weil sie wegen der Schummeleien nicht in den Staatsdienst übernommen werden. "Die sind völlig verzweifelt, weil ihre jahrelange Ausbildung plötzlich für die Katz ist", sagt Heinze.

Sandra Berger hat sich in ihrer Not an Politiker gewandt. Und siehe da: Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl hat sich ihrer angenommen und ein gutes Wort beim Konsulat eingelegt. "Die Gerichtsstrafe sollte nicht durch weitere Nachteile für diese engagierte junge Frau verschärft werden", schreibt Uhl an die Konsulin und bittet um eine Ausnahme bei der Visumserteilung. In einem Brief an Berger lässt Uhl aber keinen Zweifel daran, was er von ihrer Tat hält: "Eine Toleranz gegenüber denjenigen, die absichtlich Falschangaben machen, um sich staatliche Leistungen zu erschleichen, kommt für mich nicht in Frage." Dem Staat entstünden durch solche Fälle jährlich Schäden in Millionen- oder Milliardenhöhe.

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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