Proteste gegen Studiengebühren:Die Wut der Studenten

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Sie besetzen Rektorate und blockieren Straßen und Bahngleise: Deutschlands Studierende wehren sich gegen Gebühren. Ihr Unmut ist berechtigt.

Tanjev Schultz

Der Protest der Studenten wird lauter und rabiater. Lange Zeit sah es so aus, als könnten die unionsgeführten Bundesländer Studiengebühren im Stillen einführen. Aber nun formiert sich doch noch Widerstand. Vorige Woche gab es Ausschreitungen in Frankfurt, diesen Mittwoch wollen die Gebührengegner Zehntausende mobilisieren und auf den Straßen von Hamburg und Wiesbaden ihrer Wut über die Bildungspolitik Luft machen.

Bundesweit demonstrieren Schüler und Studenten gegen die Einführung von Studiengebühren: hier vor dem Landtag in Düsseldorf. (Foto: Foto: ddp)

In den vergangenen Wochen wurden Rektorate von Hochschulen besetzt, Gremiensitzungen gesprengt, Straßen und Bahngleise blockiert. Der vermeintlichen Spaß-Generation ist es offenbar ernst. Beim Geld reagiert jeder empfindlich, deshalb sind Studiengebühren in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage auch ein falsches Signal. Der Unmut der Studenten ist nicht nur verständlich. Er ist berechtigt.

Politiker und Arbeitsmarktexperten sind sich einig, dass Deutschland nicht weniger, sondern mehr Akademiker braucht. Gebühren sind jedoch kein Anreiz, um mehr junge Menschen an die Universitäten zu locken. Zwar verdienen ihre Absolventen im Schnitt mehr als die übrige Bevölkerung. Doch die Abiturienten und Studenten wissen auch, dass ein Diplom oder Master keine Garantie mehr für einen sicheren Job und ein hohes Einkommen ist. Und Studiengebühren sind ja nicht die einzige Belastung, die Jüngere vor Augen haben: Die Mehrwertsteuer wird steigen, der Anspruch auf Kindergeld verkürzt, das Bafög ist seit Jahren nicht erhöht oder an die Inflation angepasst worden. Wer heute ein Studium beginnt, denkt bereits daran, dass er sich bald um seine Rente kümmern muss. Und nun soll er auch noch mit Schulden ins Berufsleben starten?

Im Vergleich zu den USA, wo Spitzenunis 30.000 Dollar im Jahr verlangen, wirken die geplanten Gebühren in Deutschland auf den ersten Blick zwar moderat. 500 Euro pro Semester - das ist für Kinder wohlhabender Eltern ein Klacks. Doch mehr als ein Viertel der Studenten muss mit weniger als 600 Euro im Monat auskommen. Und im deutschen Schulsystem schaffen es ohnehin viel zu wenige Kinder aus ärmeren Familien, die Hochschulreife zu erlangen. Studiengebühren müssen ihnen wie eine zusätzliche Strafe erscheinen; sie schrecken damit gerade jene vom Studium ab, die eigentlich gestärkt und entlastet werden müssten.

In einem wohlgeordneten Bildungssystem, in dem alle eine faire Chance haben, wären Studiengebühren eher vertretbar. Aber das deutsche System ist nicht wohlgeordnet. Eine frühe Förderung der Schwachen ist über Jahre versäumt worden, erst allmählich sehen Politiker und Pädagogen das ein. Und noch immer müssen Eltern viel Geld für die Betreuung und Bildung ihrer kleinen Kinder zahlen. Dass Kindergärten hohe Gebühren verlangen, Studenten aber bisher kostenlos die Hochschule besuchen, ist kaum zu begreifen. Doch was nützt es, wenn künftig für beides Geld verlangt wird? Dann nehmen junge Menschen fürs Studium Schulden auf, die sie später zu einem Zeitpunkt begleichen, wenn sie für ihren Nachwuchs auch noch die Krippenplätze finanzieren müssen.

Vorbildlich agiert da das sozialdemokratisch geführte Rheinland-Pfalz. Dort soll das Studium kostenfrei bleiben, zugleich will das Land die Gebühren für die Kindergärten abschaffen. Hält Ministerpräsident Kurt Beck diesen Kurs, könnte der SPD-Vorsitzende die Sozialdemokraten auch bundespolitisch als Bildungspartei profilieren.

Mit den Studiengebühren, die künftig in Ländern wie Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Baden-Württemberg fällig werden, will die Union die Studienbedingungen verbessern. Sie versichert, dass es keine Einsparungen bei den öffentlichen Mitteln für die Hochschulen geben wird. Aber diese Versicherung wird in zehn Jahren kaum noch etwas wert sein. Man muss fürchten, dass sich die Politik aus ihrer Verantwortung für die Universitäten stehlen wird. Und dann wird es bald die ersten Rufe geben, die verlangen, von den Studenten weit mehr als 500 Euro im Semester zu kassieren. Hessen plant bereits, von Ausländern und älteren Studenten bis zu 3000 Euro im Jahr zu fordern.

Die Gebühren, so hoffen ihre Befürworter, werden den Unis nicht nur Geld bringen, sondern auch die Lernkultur und die Studienmotivation verbessern. Der Student soll als Kunde auftreten, der sich bewusst ist, was sein Studium kostet. Da ist etwas dran, doch lässt sich darüber streiten, ob die Effekte dieses Mentalitätswandels rundum positiv sein werden. Die Versuchung wächst, es sich beim Studieren möglichst einfach zu machen und den Weg des geringsten Widerstands zu suchen.

Wer auf die Macht des ökonomischen Kalküls setzt, darf am wenigsten überrascht sein, wenn sich Schüler und Studenten nun vehement gegen die Gebühren wehren. Sie vertreten einfach ihre Interessen. Das ist, wenn es in zivilen Bahnen bleibt, legitim; eine neue politische Bewegung begründet das indes noch lange nicht. Die junge Generation hat mit sich und ihrem Fortkommen zu tun. Politisierte Studenten hätten Märsche gegen Guantanamo organisiert. Die deutschen Studenten bringt vor allem das Elend auf die Beine, in dem sie selber stecken.

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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