Nordrhein-Westfalen:Vom Verweigerer zum Vorreiter

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Ausgerechnet NRW könnte als erstes Bundesland Studiengebühren einführen - und damit andere unter Druck setzen.

Von Marco Finetti und Tanjev Schultz

Die neuen Herren zwischen Rhein und Weser waren sich schnell einig. Keine drei Stunden brauchten CDU und FDP am vergangenen Montag in Nordrhein-Westfalen, um die Hochschulpolitik der künftigen Landesregierung abzustecken. Was die Sieger der Wahl vom 22. Mai danach verkündeten, war neben der Wiedereinführung der Polizeireiterstaffeln das bis dahin konkreteste Ergebnis ihrer Koalitionsverhandlungen. Und es wird die deutsche Hochschullandschaft stärker verändern als die Einführung von vielen neuen Studiengängen, von leistungsbezogener Professorenbesoldung oder von mehr Autonomie für die Unis.

Studenten an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. (Foto: Foto: dpa)

Im studentenreichsten Bundesland, in dem fast jeder vierte der zwei Millionen Hochschüler in Deutschland eingeschrieben ist, werden künftig allgemeine Studiengebühren fällig. Bis zu 500 Euro sollen die Hochschulen, wenn sie denn wollen, pro Kopf und Semester erheben können. Unter der abgewählten rot-grünen Koalition galt Nordrhein-Westfalen als das große Bollwerk der Gebührenfreiheit. Das war zuletzt zwar nur bedingt richtig, denn seit einem Jahr müssen auch in NRW Langzeitstudenten 650 Euro pro Semester berappen. Doch dafür war die Hochschulausbildung bis zur anderthalbfachen Regelstudienzeit gebührenfrei. Damit ist es nach dem Machtwechsel vorbei. Die "Langzeitgebühren" werden wieder abgeschafft - statt dessen sollen alle vom ersten Semester an zahlen.

Die Entscheidung kommt nicht überraschend, im Wahlkampf hatten CDU und FDP Studiengebühren angekündigt. Und doch erstaunt der Gebührenbeschluss von Düsseldorf - mit dem Tempo, in dem die Koalitionäre ihn umsetzen wollen. Schon zum Sommersemester 2006 sollen die Hochschüler zur Kasse gebeten werden. Damit wäre NRW nicht nur das mit Abstand größte "Gebührenland" - sondern auch das erste. Und Hochschul-Deutschland stünde Kopf: Denn die Länder, die schon seit Jahren allgemeine Studiengebühren planen, tun sich mit ihrer Einführung unerwartet schwer. Dafür prescht nun ein Land vor, in dem bis vor drei Wochen an solche Gebühren nicht zu denken war.

Nach hinten verschoben

2006 sollte es soweit sein mit den Gebühren. Das war der Vorsatz gleich mehrerer CDU-geführter Länder, die Ende Januar vor dem Bundesverfassungsgericht das Studiengebührenverbot zu Fall brachten, das Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn im Hochschulrahmengesetz festgeschrieben hatte. Direkt nachdem Karlsruhe das Verdikt der SPD-Politikerin gekippt hatte, kündigten vier der sechs Kläger an, schnellstmöglich Gebühren einzuführen: Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und das Saarland. Dazu gesellten sich noch am Tag des Urteils Niedersachsen und Hessen, die nicht geklagt hatten.

Fünf Monate später ist von dem Elan nicht mehr viel übrig. Einzig Hamburg und Niedersachsen halten an 2006 als Einführungstermin fest, wobei es in beiden Ländern eher erst zum Start des Wintersemesters im Oktober los gehen dürfte. In den anderen Ländern kommen die Gebühren teils deutlich später als geplant.

Bestes Beispiel: Bayern, das den Start gleich mehrmals nach hinten verschoben hat. Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) wollte anfangs schon in diesem Herbst loslegen, was selbst Wolfgang Herrmann, dem Präsidenten der TU München und stärkstem Gebührenbefürworter, "überhastet" erschien. Nach einem Machtwort von Regierungschef Edmund Stoiber wurde daraus zunächst Sommer 2006 - und inzwischen ist man noch ein Jahr später, im Sommersemester 2007, angelangt. In Baden-Württemberg wird es erst im Wintersemester 2007/08 so weit sein. Und noch gar keinen Termin gibt es im Saarland und in Hessen.

Und die Bafög-Empfänger?

Für die Verschiebungen werden allerlei Gründe genannt. Hier müssen erst das Hochschulgesetz oder gar die Verfassung umgeschrieben werden, dort stehen Landtagswahlen vor der Tür. Der eigentliche Grund ist ein anderer: Alle Länder kümmern sich erst jetzt um zwei Kernfragen, um die sie sich schon vor dem Karlsruher Urteil hätten kümmern müssen.

In allen Ländern sollen die Einnahmen aus den Gebühren an die Hochschulen fließen, nicht in die maroden Landeshaushalte. Und: Überall sollen Stipendien und Darlehen die Gebühren "sozial abfedern", damit sie niemanden vom Studium abhalten. Doch verbindliche Regeln gibt es dazu noch nirgendwo.

Auch nicht in NRW. Dort ist zudem strittig, was mit den mehr als 100.000 Bafög-Empfängern passieren soll. Die CDU will sie von Gebühren befreien, die FDP will sie zur Kasse bitten und dafür das Bafög aufstocken. Der Dissens ist mehr als eine Petitesse - und doch, so verspricht es der designierte Ministerpräsident und frühere Gebührengegner Jürgen Rüttgers, soll die rasche Einführung der Gebühren "daran nicht scheitern".

Sollte Rüttgers seinen Plan einhalten, dürften bald auch die noch unentschlossenen Länder unter Druck geraten, so etwa Schleswig-Holstein: Seit dort eine große Koalition regiert und die CDU das Wissenschaftsressort besetzt, hat sich Kiel aus der Gruppe der Gebührengegner verabschiedet. In der Koalitionsvereinbarung haben Union und SPD lediglich ihren Dissens zu Protokoll gegeben und die Entscheidung vertagt. Aber die Richtung ist vorgezeichnet: Zwar wolle das Land keine "Vorreiterrolle" bei Studiengebühren spielen. Doch eine "Insellösung" sei nicht akzeptabel. Krach in der Koalition ist programmiert.

"Eine Insellösung wäre für uns verheerend", sagt auch der Rektor der Universität Kiel, Jörn Eckert. Seine Hochschule kooperiert seit diesem Sommer eng mit der Uni Hamburg: Studenten können flexibel zwischen Angeboten der beiden Hochschulen wählen. Schon deshalb müsse Kiel sich etwas einfallen lassen, falls nun Hamburg Gebühren einführe. Eckert ist außerdem besorgt, seine Universität könnte langfristig an Attraktivität verlieren, wenn ihr das Geld aus Gebühren fehle: "Ich fürchte, dass die besten Studierenden dann abwandern."

In Rheinland-Pfalz sieht die SPD-geführte Regierung eine ganz andere Gefahr: Umzingelt von Gebühren-Ländern, werde es zum Ansturm auf die eigenen Hochschulen kommen. Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) lässt zwar Langzeitstudenten zahlen, aber unerbittlich kämpft er für ein gebührenfreies Studium in der Regelstudienzeit. Er droht damit, notfalls nur die Landeskinder zu verschonen und Abiturienten aus anderen Bundesländern zahlen zu lassen - als ultima ratio, wie ein Ministeriumssprecher es ausdrückt.

Mit seiner Drohung verbindet Zöllner zugleich die Forderung nach einem grundlegenden Umbau der Hochschulfinanzierung. Ihm wäre es am liebsten, wenn künftig diejenigen Bundesländer die Kosten für einen Studienplatz trügen, aus denen die Abiturienten kommen. Das derzeitige System sei ungerecht, weil manche Länder wesentlich mehr Abiturienten aus anderen Regionen aufnähmen als andere.

Von einer solchen Reform würde beispielsweise der klamme Senat in Berlin profitieren. Mehr als 40 Prozent der Berliner Studenten kommen aus anderen Bundesländern. Seit drei Jahren gibt ihnen das Land Berlin ein Begrüßungsgeld von 110 Euro, wenn die Zugezogenen ihren Erstwohnsitz in Berlin anmelden. Pro Meldung fließen jährlich fast 4000 Euro über den Länderfinanzausgleich nach Berlin - mit Zöllners Modell würde der Betrag noch deutlich höher ausfallen.

Um das Modell zu diskutieren und Wege zu suchen, wie ein Studienortwechsel auch nach Einführung von Gebühren möglich bleibt, hat die Kultusministerkonferenz im März eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Sie sollte eigentlich bis Juni einen Bericht vorlegen. Daraus wurde nichts - bislang hat die Arbeitsgruppe noch nicht ein einziges Mal getagt.

© SZ vom 13.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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