Niedriglöhne in Deutschland:"Eine neue Frisur wäre nicht drin"

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Angestellte im Friseurhandwerk verdienen 500 bis 1700 Euro im Monat.

Von Barbara Vorsamer

München - Wie weit kommt eine Bürgerin in Deutschlands teuerster Stadt mit 1000 Euro im Monat? 480 Euro Miete für die Zwei-Zimmer-Wohnung, 85 Euro Nebenkosten, 90 Euro für Telefon- und Handyrechnung, mit 125 Euro im Monat werden die Möbel abgezahlt . . . "und leben will man auch noch". Ziemlich schnell zählt Constanze Eisheuer Ausgaben auf, bis von ihrem monatlichen Nettogehalt nichts mehr übrig bleibt. Ein flotter neuer Haarschnitt plus Strähnchen für 88 Euro? "Das könnte ich mir nicht leisten", sagt sie.

Muss sie auch nicht. Constanze Eisheuer, 23 Jahre jung, ist Angestellte im Friseursalon "Angel Hair" in Münchens Stadtteil Schwabing, und dass ihre Kolleginnen ihr die Farbe auffrischen, kostet sie nicht den Listenpreis. Nur rund 1000 Euro netto im Monat bleiben für sie dennoch ein Problem.

Meist trifft es die Frauen

Niedriglohn-Jobs sind derzeit in der Diskussion, und gemeint sind damit meistens Stellen, die für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte geschaffen werden sollen. "Doch schon jetzt werden in manchen Branchen ausgesprochene Niedriglöhne gezahlt, die oft sogar durch einen Tarifvertrag abgesegnet sind", sagt Reinhard Bispinck vom Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.

Betroffen sind vor allem Dienstleistungsberufe mit einem hohen Frauenanteil, wie das Friseurhandwerk. Nach Angaben des Tarifarchivs verdient zum Beispiel eine Friseurmeisterin in Sachsen 5,59 Euro in der Stunde - als "Erste Kraft", verantwortlich für bis zu zehn Mitarbeiter. Etwas besser gestellt ist ihre Kollegin in Rheinland-Pfalz, hier bekommt eine Angestellte in derselben Position 8,19 Euro. Für die Tarifverträge sind die Innungen und Landesverbände zuständig. Davon gibt es im Friseurhandwerk 18, und die wiederum haben unterschiedliche Tarifstufen und Definitionen. So kommt es zu den großen Unterschieden, und Vergleiche sind schwierig.

Constanze Eisheuer liegt mit ihren 1400 Euro brutto im Monat am oberen Ende der Gehaltsskala. In Westdeutschland erhalten angestellte Friseurgesellen ohne Personalverantwortung zwischen 900 und 1600 Euro tarifliches Grundgehalt. Im Osten ist es deutlich weniger, hier liegt die Basis zwischen 500 und 1000 Euro.

Ob das Grundgehalt aufgestockt wird, entscheidet sich im einzelnen Betrieb. Bei der Friseurin aus Schwabing bleibt es dabei. Kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld, Provision nur theoretisch. "Ab einem Umsatz von über 3000 Euro im Monat werden wir beteiligt", sagt sie. Doch um diese Grenze zu überschreiten, müsste sie ausgebucht sein, und das ist sie nicht.

Bei vollem Kalender könnte Constanze Eisheuer einen Umsatz von 56 Euro in der Stunde erzielen und zum Beispiel zwei Köpfe waschen und schneiden für jeweils 28 Euro. Ein fairer Preis, findet die Friseurin, doch: "Die Kunden empfinden 28 Euro als teuer, und nutzen unsere Angebote, wie zum Beispiel, dass vormittags der Schnitt zwei Euro billiger ist", erzählt die 23-Jährige. Auch die Billigkonkurrenz, die einen Haarschnitt schon ab neun Euro anbietet, trägt dazu bei, dass die Leute immer weniger bereit sind, einen höheren Preis für einen Haarschnitt zu bezahlen. Die Billigfriseure müssen allerdings so schnell arbeiten, meint Constanze Eisheuer, dass keine Qualität mehr gewährleistet ist.

Weil viele Kunden das Gefühl haben, schon viel für den Haarschnitt auszugeben, fällt das Trinkgeld mager aus. Eisheuer schätzt ihre Zusatzeinnahmen dadurch auf 100 Euro monatlich. Nicht viel, findet sie, aber es helfe finanziell.

Karrieremöglichkeiten begrenzt

Die Friseurin bedauert, dass ihre Leistung oft nicht gewürdigt wird. Haareschneiden ist Handwerk, das gelernt sein will. "Schließlich kann das nicht jeder." Friseure müssen sich ebenfalls auf jeden Kunden neu einstellen, sie brauchen eine kreative Ader, und müssen ein Auge dafür haben, welcher Schnitt und welche Farbe zu wem passt. Und das alles für 5,88 Euro die Stunde, ohne eine realistische Chance auf Verbesserung. Die Karrieremöglichkeiten in der Branche sind begrenzt.

Constanze Eisheuer würde sich gerne weiterbilden, zur Maskenbildnerin. Doch das kostet 630 Euro im Monat, und arbeiten könnte sie während der Ausbildung höchstens halbtags, wenn überhaupt. Erschwinglicher ist es deshalb, den Meister zu machen - wofür ungefähr 5000 Euro zu veranschlagen sind. Noch muss dieser Schritt warten. Erst sind die Möbel abzuzahlen.

© SZ vom 12.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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