Niedriglöhne:Die stillen Helden

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Wenn der Tarifvertrag nicht mehr hergibt: In manchen Dienstleistungs-Branchen wird wenig verdient.

Von Marc Beise

Wie viel Ungleichheit verträgt Deutschland? Das fragten sich soeben die deutschen Soziologen auf ihrer Jahrestagung in München - und trafen mit diesem Thema den Zeitgeist. Über die sozialen Unterschiede in Deutschland, das Wohlstandsgefälle, über gerechte und ungerechte Lebenssituationen diskutieren die Deutschen im Jahr 2004 überaus heftig. Der Grund könnte darin liegen, dass in einem relativ kurzen Zeitraum verschiedene Ereignisse zusammenkommen und die Wahrnehmung beeinflussen.

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Immer schon gab es in Deutschland Menschen mit großem Vermögen und solche, die finanziell kaum das Monatsende erreichen. Zuletzt aber öffnet sich die Schere immer weiter. Die Reichen werden ausweislich der neuesten Statistiken immer reicher - während auf den Durchschnittsbürger immer höhere Belastungen zukommen; ganz abgesehen von der wachsenden Zahl der Verarmenden - insbesondere in der Gruppe der Alleinerziehenden mit Kindern.

Peanuts in Millionen-Höhe

Diese Entwicklung kontrastiert mit einem zunehmend hemmungslosen Verhältnis mancher Spitzenmanager zum Geld. Während Überfluss früher eher verschämt im Stillen genossen wurde, zeigen die neuen Reichen ihren Besitz zunehmend unsensibel gerne her.

Ein Vorzeichen hatte vor Jahren schon der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, geliefert mit seinem denkwürdigen Wort von den "Peanuts", bezogen auf Ausstände von Handwerkern in Millionen-Höhe, die sich im Zusammenhang mit der Immobilien-Pleite des Jürgen Schneider ergeben hatten.

Später folgte der Fall Mannesmann, wo der kurzzeitige Vorstandschef Klaus Esser im Anschluss an seinen (vergeblichen) Abwehrkampf gegen den Telekommunikationskonzern Vodafone 60 Millionen Mark kassierte; andere Manager bedienten sich gar selbst. Im anschließenden Prozess vor demLandgericht Düsseldorf fiel der diese Zahlungen mitverantwortende Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann (Jahreseinkommen zehn Millionen Euro) mit der Bemerkung auf, dass Deutschland das einzige Land sei, wo diejenigen, die Werte schaffen, deswegen vor Gericht stünden.

Für böses Blut sorgte ferner, dass in der derzeitigen Wirtschaftskrise viele (nicht alle) Manager ungeachtet der Probleme ihrer Unternehmen für gewaltige eigene Einkommenszuwächse sorgten, während sie von ihren Belegschaften - auch finanzielle - Opfer einforderten. Die neuerdings in vielen Konzernen bekundete Bescheidenheit in Form von Gehaltskürzungen auch an der Spitze wird in der Öffentlichkeit kaum noch positiv verbucht - zu massiv sind wiederum die Einschnitte, die etwa Arbeitslose durch die neue Hartz IV-Gesetzgebung befürchten.

Vier Euro die Stunde

Viel wird über die Bezüge derer an der Spitze gesprochen, wenig aber über die so genannten Niedrigverdiener. Gemeint sind hier nicht die Mini-Jobber, sondern Arbeitnehmer in regulären Arbeitsverhältnissen, in denen das jeweilige Tarifrecht der Branche nur äußerst dürftige Entlohnung vorsieht: mit Grundvergütungen zwischen knapp vier und zehn Euro die Stunde.

Das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung hat jetzt eine breit angelegte Dokumentation von Tarifverdiensten vorgelegt. Darin sind die Grundvergütungen von 150 Berufen und Tätigkeiten aus 50 Branchen und Tarifbereichen enthalten: gut verdienende Ingenieure in der chemischen Industrie mit tariflichen Grundentgelten von bis zu 3720 Euro ebenso wie Niedriglohnempfänger mit einem Monatslohn von 705 Euro.

Für die Süddeutsche Zeitung ist die Diskussion Anlass genug, in den kommenden Wochen in lockerer Folge stille Helden aus dem Niedriglohnbereich vorzustellen: weil nicht nur Manager und ihre Gehälter eine ausführliche Berichterstattung wert sind, sondern auch die Lebensumstände der Leistungsträger am unteren Ende der Einkommensskala.

© SZ vom 12.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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