Neue Berufe:Der Generalist im Cyberspace

Lesezeit: 3 min

Der Multimedia-Konzepter muss Ideen, Techniken und Budgets in Einklang bringen.

Christine Demmer

Was Geflügelzüchter, Buchhalter oder Nervenärzte beruflich tun, können sich die meisten Menschen zumindest vage vorstellen. Bei Multimedia-Konzeptern ist das nicht ganz so einfach. Irgendwas mit Internet, so viel ist klar, mit Medien und Konzepten. Aber was machen sie genau? Bauen sie vielleicht Online-Auftritte für Medienfirmen? "Kann sein", sagt Tim Büsing, "muss aber nicht."

Begehrter Experte in einem jungen Job: Der Frankfurter Multimedia-Konzepter Tim Büsing (rechts) bespricht seine Entwürfe mit einem Designer. (Foto: Foto: N. Digitale)

Seine Berufsgenossen seien sehr breit aufgestellt, sagt der 34-jährige Multimedia-Konzepter. Sie lieferten Vorgaben für alle Arten von elektronischer Kommunikation, für Internet oder Intranet, für Mobilkommunikation oder Infoterminals, wie sie zum Beispiel an Flughäfen stehen. Arbeiten Multimedia-Konzepter demnach als Kommunikationsexperten für den Mensch-Maschine-Dialog? Büsing schüttelt den Kopf: "Nein, die sind vor uns dran." Sind sie also eine Art Webdesigner? Bedauerndes Schulterzucken. "Auch nicht. Die kommen nach uns."

Das Internet und die mobile Kommunikation haben in den letzten Jahren Berufsbezeichnungen entstehen lassen, die sich beim besten Willen nicht mehr mit einem einfachen Satz erklären lassen. Die Definition des Deutschen Direktmarketing Verbandes liefert den Beweis: "Multimedia-Konzepter entwickeln Multimedia-Lösungen, die eine schlüssig aus der Zielfunktion abgeleitete inhaltliche Struktur sowie eine zielgruppenadäquate Dramaturgie mit interessanten Features und klarem Nutzen für den Anwender aufweisen." Alles klar?

Reifenwechsel fällig?

Ohne das Internet wäre Tim Büsing vielleicht Konzern-Pressesprecher oder Chef einer Werbeagentur geworden. Diese Berufe gab es schon, als er an der Berliner Hochschule für Künste Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studierte und vom ersten Tag an mit dem elektronischen Medium sozialisiert wurde. "Im fünften Semester bin ich zu Multimedia gekommen", sagt er und erzählt von seinem Nebenjob bei einer Agentur, in dem er zur einen Hälfte mit Recherche, zur anderen mit Screendesign zu tun gehabt hatte. Von diesem Zeitpunkt an hatte ihn der Cyberspace voll im Griff.

Drei Auslandssemester in der Web- und Design-Hochburg Helsinki taten ein Weiteres, um ihn in seiner Berufswahl zu bestärken. Für ein Museum in der finnischen Hauptstadt entwickelte Büsing ein Multimedia-Konzept, das Laien im Vorüberschlendern ein tieferes Verständnis der modernen Kunst bringen soll: Während das Ohr den vorgetragenen Erklärungen zu den Werken lauscht, wird das Auge per Monitor bedient und so gleichzeitig Verstand und Gefühl stimuliert.

Dieser Job macht deutlich, was ein Multimedia-Konzepter von Anfang an mitbringen muss: "Man sollte sowohl viel von moderner Technik verstehen als auch von den Bedürfnissen der Anwender", sagt Büsing. Beides aufeinander abzustimmen, um damit ein vorgegebenes Ziel des Auftraggebers zu erreichen, ist die Hauptaufgabe in diesem Beruf.

Immer neue Einfälle

Über Stationen in London und Hamburg, zuerst als freiberuflicher Screendesigner, dann als Art Director und Konzepter, kam Tim Büsing zur Multimedia-Agentur Neue Digitale in Frankfurt am Main. Hier liefert er als Senior Konzepter beispielsweise Ideen, wie die Akzeptanz des Firmen-Intranet oder der WAP-Seiten gesteigert werden können - eine Fingerübung für Multimedia-Konzepter. Oder wie der Internetauftritt eines Automobilherstellers so optimiert werden kann, dass der Betrachter beim Klicken durch die Seiten den brennenden Wunsch verspürt, dieses Auto zu fahren oder besser noch: besitzen zu wollen.

Clevere Serviceangebote auf der Internetseite des Autobauers unterfüttern das Begehren mit rationalen Argumenten: der Erinnerungsservice für den anstehenden Reifenwechsel, die Finanzierungsberechnung per Tastendruck, die dreidimensionale Darstellung des Traumautos in der gewünschten Farbe und Ausstattung mit der Möglichkeit, es am Bildschirm drehen und wenden zu können. Wenn all das einfach und spielerisch daherkommt, die Bedienung vielleicht sogar noch Spaß macht, steigt der Wert eines Produktes für den Interessenten.

"Der User will heute gleichermaßen informiert wie beraten und unterhalten werden", sagt Büsing. Von ihm erwartet man immer neue Einfälle, wie sich die elektronischen Medien noch weiter ausreizen lassen. Die technische Umsetzung und die Programmierung übernehmen anschließend die Kollegen. Doch Multimedia-Konzepter müssen selbst genug von Corporate Communication und Corporate Design, von den Darstellungsmöglichkeiten im Web und von HTML-Programmierung, von Scribbles und Flow-Charts verstehen, um keine unrealistischen Seifenblasen-Ideen zu entwickeln.

Für Multimedia-Konzepter ist fließendes Englisch ein Muss. Als Schnittstellenmanager können sie sich in die Welt ihrer Kunden ebenso eindenken wie in die der anvisierten Zielgruppen. Dafür ist ein Studium - egal ob geisteswissenschaftlich, künstlerisch oder technisch - eine gute Grundlage. Tim Büsing legt die Zugangshürde in den Beruf hoch: "Sprachliches, technisches und künstlerisches Geschick sollte in einer guten Mischung vorhanden sein", empfiehlt er und tröstet nur ein bisschen damit, dass im Prinzip der Mathe-Grundkurs reicht. "Der Konzepter ist von allem etwas - aber ein Projektmanager ist er gleichzeitig nicht."

Derzeit explodiert die Nachfrage nach Multimedia-Konzeptern. Große Agenturen sind ständig auf der Suche nach ambitionierten Leuten. Sie bilden selbst aus oder rekrutieren den Nachwuchs dort, wo er ihnen positiv auffällt. Als Sprungbrett können kleinere Agenturen ebenso dienen wie Garagenfirmen, Hackergruppen und lose Netzwerke. Der Rest ist Kreativität und ein gutes Gespür für das, was der Markt haben will - auch wenn der sich rasant verändert. Damit freilich kommen Multimedia-Konzepter in der Regel gut klar. Das beweist schon die Wahl ihres Berufes.

© SZ vom 28.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: