Nationalsozialismus:Mehr als nur ein Streit um Namen

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Mitläufer oder Mittäter? Noch heute ehren deutsche Schulen und Hochschulen Wissenschaftler mit nationalsozialistischer Vergangenheit.

Frederik Obermaier

Klaus Riedel und Wernher von Braun haben vieles gemeinsam. Beide Männer hatten ein Faible für Raketen, schon Anfang der dreißiger Jahre experimentierten sie mit Himmelsgeschossen. Für Adolf Hitler konstruierten sie später die nationalsozialistische "Vergeltungswaffe" V2. Trotz dieser zweifelhaften Errungenschaft werden Riedel und von Braun - aber auch so umstrittene Politiker wie Paul von Hindenburg - noch heute in Deutschland geehrt, mehrere Schulen tragen ihre Namen. Auch einige Hochschulen erinnern an Wissenschaftler der NS-Zeit, ihre fragwürdige Vergangenheit wird dabei mitunter in den Hintergrund gerückt.

Soldaten mit einer V2-Rakete: Eine zweifelhafte Leistung von Wernher von Braun. Heute tragen Schulen seinen Namen. (Foto: Foto: dpa)

Erst vor wenigen Monaten taufte das sächsische Bernstadt seine Mittelschule nach Klaus Riedel. Auf ihrer Homepage huldigte die Schule Riedels Erfindung, die V2 - schließlich habe auch Adolf Hitler "Gefallen an der Rakete gefunden". Heute räumt Bernstadts Bürgermeister Gunter Lange ein, dass das "ein bisschen unglücklich dargestellt" war. Der Artikel auf der Internetseite wurde daraufhin erst um einen Verweis auf die Opfer der V2 ergänzt und schließlich ganz entfernt. Die Homepage werde "aufgrund weiterer Recherchen und Erkenntnisse überarbeitet", ist jetzt dort zu lesen.

"Vergeltungswaffe 2"

Er könne den Rummel um den Schulnamen dennoch nicht verstehen, sagt Lange. Eigentlich habe Bernstadt nur Riedels "historische Tat von 1930" ehren wollen. Damals habe er auf einem Hügel südlich der Kleinstadt, hinter dem Haus seiner Oma, erstmals in Europa Raketen mit Flüssigtreibstoff getestet. Mit Nationalsozialismus habe dies nichts zu tun.

Diese Einschätzung, die laut Lange nicht wenige Bernstädter teilen, hält Riedel-Biograph Harald Tresp für "leichtfertig und unkritisch". Riedel sei "der Macher" in Wernher von Brauns Team gewesen. Gemeinsam bauten sie in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostsee-Insel Usedom die Rakete Aggregat 4, besser bekannt unter Goebbels Propagandanamen "Vergeltungswaffe 2" . Etwa 3000 Raketen dieses Typs wurden bis März 1945 auf Städte in England, Belgien und Frankreich abgefeuert. Die nötigen Abschussrampen hatte Riedel konstruiert. Das Argument, der Wissenschaftler habe nur eine Rakete für den Flug zum Mond bauen wollen, lässt Biograph Tresp nicht gelten: "Der wusste genau, wo er da mitgemacht hat."

Keine moralischen Skrupel

Auch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von Riedels Freund und Kollegen Wernher von Braun hadern zwei deutsche Schulen. Das nach ihm benannte Gymnasium im bayerischen Friedberg setzte Mitte der neunziger Jahre eine Arbeitsgruppe ein, die sich mit der historischen Rolle des Raketenbauers auseinandersetzen sollte. Das Ergebnis: Man sei sich bewusst, dass von Brauns Karriere "berechtigen Anlass zu kritischer Auseinandersetzung" biete; seine "überragende wissenschaftlich-technische Leistung" sei heute jedoch nicht mehr wegzudenken.

Kurzum: Der Name bleibt. Vielmehr noch: Die Schule betont auf ihrer Homepage, von Braun habe sich 1944 "gegen einen Einsatz von KZ-Häftlingen" ausgesprochen. Eine These, die von Braun-Biograph Johannes Weyer so nicht unterschreiben würde - auch wenn von Braun allgemein gern als Widerstandskämpfer dargestellt und als Raumfahrt-Pionier gerühmt wird. "Er hatte keine moralischen Skrupel, KZ-Häftlinge zu Tode schuften zu lassen", stellt der Dortmunder Soziologe fest. "Wenn sich eine Schule nach einem solchen Kriegsverbrecher benennt, ist das schon sehr bedenklich."

Die zweite deutsche Wernher von Braun-Schule im hessischen Neuhof weist deutlich auf "dunkle Seiten" ihres Namenspatrons hin. Sie präsentiert aber auch Bilder aus dem Jahr 1975, als Wernher von Braun die Schule besuchte. Nach schulinternen Diskussionen in den vergangenen Jahren lautete nach Auskunft der Schulleitung auch hier die Entscheidung: Der Name bleibt.

Auf der nächsten Seite: Wie auch deutsche Universitäten mit dem braunen Erbe hadern.

Weste mit braunen Flecken

Von Braun und Riedel sind keine Einzelfälle. Noch immer ringt Deutschland mit dem Erbe seiner Nazi-Wissenschaftler. Immer wieder drängen sich die Fragen auf: Wem gebührt Ehre für seine wissenschaftlichen Leistungen, und wer verdient Verachtung für seine Verfehlungen? Die Antworten fallen auch bei Ferdinand Porsche nicht leicht; nach dem Schöpfer des VW-Käfers sind ebenfalls mehrere Schulen benannt. Aber auch seine Weste hat braune Flecken: Unter der Leitung von Hitlers Lieblingsingenieur schufteten im Volkswagenwerk Zwangsarbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen. Viele überlebten das Martyrium nicht.

An der Universität Greifswald erinnern zwei Gedenktafeln an einen weiteren umstrittenen Wissenschaftler: den Physiker Johannes Stark. Er gewann 1919 den Nobelpreis, galt aber als bekennender Nationalsozialist und verbohrter Antisemit. Albert Einstein geißelte er als Vertreter der "jüdischen Physik". Auf den Ehrentafeln ist davon kein Wort zu lesen, auch wenn die Universitätsleitung betont, dass Starks politische Haltung stets sehr kritisch reflektiert werde.

Verzicht auf eine Viertelmillion Euro

Die Ehrentafeln für die Flugzeugbauer Willy Messerschmitt und Claude Dornier im neuen Münchner U-Bahnhof Garching Forschungszentrum versah die Technische Universität München erst nach öffentlichen Protesten mit einem Zusatz. Sie weisen jetzt darauf hin, dass mit beider Wissen beim Flugzeugbau während der Nazi-Zeit Tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt wurden.

Um gar nicht erst in die Nähe von Wissenschaftlern mit brauner Vergangenheit zu kommen, verzichtete dagegen die Universität Kiel im Dezember auf eine Viertelmillion Euro. Das Rektorat gab die Erbschaft von Waltraud Hunke zurück, weil der Verdacht bestehe, dass die Stifterin zu den"linientreuen Anhängerinnen" der Nationalsozialisten zählte. Das Uni-Gästehaus solle daher nicht nach ihr benannt werden. Für die Uni sei Hunke schlichtweg "kein leuchtendes Beispiel".

© SZ vom 3.3.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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