Mein Kollege sagt ...:"Ich geh mal eine rauchen"

Lesezeit: 2 min

Stündlich wiederholt sich dieses Ritual: Der Kollege gönnt sich eine Zigarettenpause. Und arbeitet deshalb viel weniger.

Julia Bönisch

Alle 60 Minuten spielt sich die gleiche Szene ab: "Ich geh mal eine rauchen", sagt der Kollege und verschwindet mit Zigarette und Feuerzeug in der Hand hinaus in den Flur oder ins Raucherzimmer.

Während eines Acht-Stunden-Arbeitstages arbeitet der Raucher 56 Minuten weniger. (Foto: Foto: ap)

Ein paar Minuten später kündigt penetranter Zigarettengestank seine Rückkehr an. Die miefige Dunstwolke schiebt sich ihm immer voran. Anschleichen ist nicht - genauso, wie man die nahende Chefin an ihrem penetranten Parfum erschnuppern kann, riecht man, wenn der Raucher einläuft.

In seiner Zigarettenpause klingelt mindestens ein Mal das Telefon für ihn. Dann muss der entnervte, nicht rauchende Zimmergenosse drangehen. "Tut mir leid, Herr/Frau X ist gerade nicht am Platz", heißt es dann. "Kann ich etwas ausrichten?" Dass Herr/Frau X mal wieder der Sucht nachgeben musste, bleibt freundlicherweise unerwähnt.

Mehr Urlaub für den Nichtraucher

Nachdem sich dieses Ritual ein Dutzend Mal wiederholt, setzt beim Nichtraucher jedoch folgender Denkprozess ein: Er selbst sitzt den ganzen Tag brav an seinem Platz und erledigt seine Arbeit. Der Raucher dagegen verlässt stündlich das Büro und kehrt erst nach sieben Minuten zur Arbeit zurück.

Bei einem Acht-Stunden-Arbeitstag macht das 56 Minuten weniger Arbeit für den Raucher. Das sind pro Woche 280 Minuten, pro Monat 1120 Minuten oder 18,6 Stunden. Macht im Jahr, abzüglich der sechs Wochen Urlaub, die dem Raucher zustehen und währenddessen er nicht auf Kosten der Firma qualmt: 196 Stunden Rauchpausen, satte 8,1 Tage.

8,1 Tage - mehr als eine Woche Rauchpausen! Wenn der Raucher das darf, dann hätte der Nichtraucher auch gern eine Woche mehr Urlaub. Die könnte er dann im Wellness-Hotel in der Toskana verbringen oder zum Skifahren in die Alpen reisen.

Doch stattdessen sitzt er brav an seinem Schreibtisch und beantwortet das Telefon des Rauchers - wie unfair.

Rauchverbot im ganzen Gebäude

Für den Nichtraucher gibt es nun drei Möglichkeiten:

1. Da eine Woche Mehrurlaub beim Chef kaum durchzusetzen ist, gönnt er sich ebenfalls die kleinen Auszeiten und stellt so das Gleichgewicht wieder her. Er surft privat im Netz, ruft Freunde und Bekannte an oder liest die Boulevardzeitung.

2. Er macht dem Raucher das Rauchen mies und versucht ihn zu bekehren. Per E-Mail schickt er ihm Bilder von Raucherlungen zu, zitiert abschreckende medizinische Studien und versteckt die Schachtel Zigaretten.

3. Er interveniert beim Chef, der daraufhin im ganzen Gebäude Rauchverbot verhängt. Dann muss der Raucher raus vor die Tür - und jedes Mal die Stempeluhr betätigen. So wird über jede kleine Pause minutiös Buch geführt, der rauchende Kollege muss dann abends eben länger bleiben.

Zudem wird sich der Chef in Zukunft gut überlegen, noch einmal einen Raucher einzustellen. Es soll tatsächlich Personaler geben, die bei der Vorauswahl der Kandidaten an Bewerbungsmappen schnüffeln, um Nikotinabhängige von vorneherein herauszufiltern und auszuschließen.

Doch mit solchen Maßnahmen präsentiert man sich als militanter Nichtraucher und echte Spaßbremse. Vielleicht ist es besser, den Raucher einfach als bemitleidenswerte Kreatur zu sehen, der nicht anders kann als seinem Laster nachzugeben? Diese armen Suchtgesteuerten - mit denen will man doch gar nicht tauschen. Der Nichtraucher könnte sich einfach in seiner Charakter- und Willensstärke sonnen und mit seiner moralischen Überlegenheit zufrieden sein, das sollte als Ausgleich reichen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: