Mein Arbeitstag:Der Stoff zum Träumen

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Jörg Christel hat sich mit einer kleinen Mode-Kollektion selbständig gemacht.

(SZ vom 19.4.2003) Nach dem Abitur begann Jörg Christel eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner, die er jedoch bald abbrach. Stattdessen besuchte er die Berufsfachschule für Bekleidung in Nürnberg und ging anschließend ins Atelier von Escada in München. Er wurde Schneidermeister und arbeitete einige Saisons lang als Schnittmacher für Vivienne Westwood in London und für das Label "All about Eve" in München. 2002 machte sich der 30-Jährige zusammen mit dem Designer Uwe Sinn selbständig.

"Etwas Feines, Elegantes für Frauen zu entwerfen, das fällt mir sehr leicht" - Jörg Christel (links im Bild). (Foto: SZ)

"Den Laden machen wir erst um elf Uhr auf. So haben wir Zeit, vorher noch ein paar Dinge zu erledigen: Stoff besorgen, bei der Schneiderin etwas abgeben oder - wie heute morgen - einen Rock kürzen, den eine Kundin um zwölf abholen will. Uwe arbeitet an einem Seidenkleid aus Crepe-Satin, das bis zum Abend fertig sein muss. Das war's an fixen Terminen für heute.

Bis übermorgen müssen wir allerdings noch drei Teile vorbereiten, die eine Kundin anprobieren möchte. Und ich werde später noch weiter an dem Schnitt für eine Jacke arbeiten. Aber vermutlich werde ich erst nach 19 Uhr dazu kommen, wenn der Laden geschlossen und die Kundschaft bedient ist.

Wir ticken sehr ähnlich

In unserer Kollektion haben wir zur Zeit etwa 25 Modelle, angefangen vom T-Shirt über das Cocktailkleid bis zur großen Abendrobe. Jedes Teil gibt es nur drei, vier Mal. Von einem Stoff wie beispielsweise diesem Zebradruck auf Seiden-Georgette können wir nur 25 Meter verarbeiten. Mehr haben wir davon nicht gekauft, wir sind ein sehr kleiner Laden.

Mir macht es unglaublich viel Spaß, Frauen schön anzuziehen. Für Männermode dagegen habe ich überhaupt keine Fantasie, erst recht nicht für Sportswear. Aber etwas Feines, Elegantes für Frauen zu entwerfen, das fällt mir sehr leicht. Die Idee zu einem Entwurf habe ich meist in dem Augenblick, wenn ich einen Stoff sehe. Dann wird sie skizziert, und entweder sie gefällt uns beiden oder sie wandert in den Papierkorb. Wir ticken da sehr ähnlich: Wir greifen nach dem gleichen Stoff, mögen beide schlichte Schnitte und haben die gleiche Vision, wie sich etwas umsetzen lässt - was ausgesprochen selten ist in unserem Beruf.

Grundprinzip unserer Entwürfe ist, dass verschiedene Frauentypen darin gut aussehen müssen, dass ein Kleid oder eine Hose nicht nur eine Saison lang tragbar ist und dass sie in gemusterten Stoffen genauso funktionieren wie in einfarbigen.

Weil ich mehr Erfahrung im Erstellen von Schnitten habe, übernehme ich das. Damit verbringe ich sicher die Hälfte meiner Zeit. Dafür kümmert sich Uwe mehr ums Büro und um unsere Kundinnen. Die sind ganz unterschiedlich: Von der Studentin, die sich für eine Party ein besticktes T-Shirt für 110 Euro kauft, bis zur Anwältin, die sich für ihre Geburtstagsfeier in Kitzbühel ein Kleid für 1200 Euro auf Maß anfertigen lässt. Diese Mischung würden wir gerne beibehalten.

Der Start war nicht einfach

Wir haben uns bei "All about Eve" kennen gelernt, und als dort umstrukturiert wurde, stellte sich die Frage: Was nun? Sollte ich mich wieder bei einem der großen Designer bewerben? Ich hatte ja schon bei Vivienne Westwood für die Couture-Show gearbeitet. Es war eine wunderbare Zeit und ich möchte sie nicht missen. Aber wieder etwas machen, was nur einmal in der Show getragen und zweimal fotografiert wird? Nein, das erfüllt mich nicht wirklich.

Nachdem wir beide auch schon privat einige Kundinnen hatten, wurde uns die Entscheidung für die Selbständigkeit eigentlich abgenommen. Der Start war nicht ganz einfach, wir gerieten zuerst an die falsche Bank. Inzwischen läuft es ganz gut, Bauchschmerzen haben wir manchmal natürlich trotzdem noch.

Wir stecken unsere gesamte Energie in den Laden. Das bedeutet, dass wir abends häufig bis acht, neun Uhr hier sind, oft auch am Sonntag. Feierabend? Privatleben? Das gibt es bei uns zur Zeit kaum. Wenn wir nicht im Geschäft sind, denken wir zumindest darüber nach. Im Herbst möchten wir uns mit einer Kollektion auf der Messe präsentieren, und dafür müssen wir mindestens 25 komplette Outfits zeigen können.

Das bisher schönste Erlebnis? Das war letzte Woche. Da saßen wir in einem Restaurant, als eine Frau in einem Kaschmir-Mantel von uns hereinkam. Es war das erste Mal, dass wir eines unserer Stücke live in der Öffentlichkeit sahen. Ein unglaublich tolles Gefühl. "

Aufgezeichnet von Gunthild Kupitz.

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