Linux-Spezialisten:Jeder zweite Kandidat fällt durch

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Wer sich als Linux-Spezialist zertifizieren lassen will, muss nicht nur viel lernen, sondern auch kommunikativ und offen für Neues sein.

Von Winfried Gertz

(SZ vom 21.10.2003) Angst vor großen Tieren ist ihnen fremd. Und den inneren Schweinehund, für viele das Haupthindernis beim Lernen, haben sie längst besiegt. Linux-Spezialisten scheuen weder die Konfrontation mit Software-Giganten, noch fehlt es ihnen an Selbstdisziplin. Fakt ist: Wer Linux drauf hat, wird derzeit umworben wie kaum eine andere Berufsgruppe.

Mit diesem Pfund wuchert Manfred Kress. Lernen ist für ihn auch etwas Spannendes: Um herauszufinden, was sich hinter der flimmernden Mattscheibe verbirgt, nahm er schon als 13-Jähriger die ersten Rechner auseinander. Aber keine Sorge: Kress ist nicht zum Fachidioten mutiert, der seine Zeit "bleichgesichtig und Cola schlürfend in der digitalen Welt verplempert". Im Gegenteil, heute berät der gelernte Nachrichtentechniker und studierte Sozialpädagoge Mannheimer Schulen und Verwaltungen, wie sie Hard- und Software optimal einsetzen.

Dass dabei immer wieder von Linux die Rede ist, unterstreicht die zunehmende Bedeutung, die das quelloffene Betriebssystem nicht nur für Behörden eingenommen hat. Auch Unternehmen wollen Kosten senken, die Sicherheit ihrer Systeme erhöhen und sich aus der Abhängigkeit von übermächtigen Lieferanten wie Microsoft befreien, fanden die Marktforscher von Gartner heraus. Daraus erwächst ein immenser Qualifikationsbedarf.

Gesucht sind Experten, die anspruchsvolle Migrations- und Verwaltungsaufgaben meistern können. Beispiel München: Weil die Stadtverwaltung 1400 Rechner von Windows auf Linux umstellen will, veranschlagt sie laut Direktor Ernst Wolowicz 40 Prozent des auf 30 Millionen Euro geschätzten Projektvolumens allein für die Weiterbildung. Um das akute Qualifikationsdefizit zu überbrücken, sei vorgesehen, "linux-kundige Studenten der Technischen Universität München zu gewinnen".

Nicht ohne Prüfung

Prädestiniert für diese Aufgaben sind Leute wie Kress oder auch Dimitrios Bogiatzoules, Teamleiter im Außendienst der Deutschen Telekom. Sie haben eine ausgeprägte Begeisterung für die Computerei, sind kommunikativ und offen für Neues. Schließlich ist es das vielleicht wichtigste Kennzeichen der Linux-Gemeinde, dass sich ihre Mitglieder permanent über neueste Software-Entwicklungen austauschen und am Code mitschreiben. Im Unterschied zu Windows ist der Bauplan der Software nicht geheim und wird von weltweit miteinander vernetzten Programmierern ständig weiterentwickelt. "Linux kann ich kopieren und verändern, so oft ich will", sagt Bogiatzoules. "Muss ich ein Problem lösen, bin ich auf andere angewiesen."

Trotzdem geht auch hier nichts ohne Prüfungen. In der Entwicklergemeinde hoch angesehen sind zwei Zertifikate, deren Besitzer sich als Linux-Kenner ausweisen. Kress und Bogiatzoules haben sich für die Zertifizierung des Linux Professional Institute (LPI) entschieden. Weltweit 30.000 Computerspezialisten besitzen dieses Zeugnis.

Das LPI ist eine hersteller-unabhängige Weiterbildungsinitiative. Die rund 60 Minuten dauernde und als Multiple-Choice-Verfahren konzipierte LPI-Prüfung wird interaktiv in einem Testcenter abgelegt, das es in jeder größeren Stadt gibt. Aktuell betragen die Kosten für die auf Englisch durchgeführten Tests 125 Euro. Auf großen Computermessen kann man die Tests sogar für lediglich 20 Euro ablegen.

Wer sich für das Zertifikat interessiert, das unmittelbar nach erfolgreichem Abschluss der Prüfung ausgedruckt wird, muss sich intensiv vorbereiten. Die Prüfung ist kein Pappenstiel, laut LPI fällt jeder Zweite durch.

"Zwei Monate vor dem Test habe ich angefangen zu lernen", sagt Bogiatzoules, einer der ersten deutschen Absolventen. Zum Pensum gehört die Lektüre der einschlägigen Zeitschriften sowie einige Standardwerke, die vom LPI für die Prüfung empfohlen werden. Autodidakten wie Kress und Bogiatzoules sind keine Ausnahme. "Trotz zahlreich angebotener Vorbereitungskurse bereitet sich die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer in Eigenregie vor", sagt Barbara Bücking, bei der SuSE Linux AG in Nürnberg für Training zuständig.

Ebenso wie die LPI-Zertifizierung genießt auch die Weiterbildung zum "Red Hat Certified Engineer" (RHCE) in der Linux-Gemeinde hohes Ansehen. Die aktuelle Nachfrage in den USA zeigt, dass beide IT-Qualifikationen andere Weiterbildungsangebote in den Schatten stellen. Doch im Unterschied zur LPI-Zertifizierung muss der Kandidat für die RHCE-Prüfung tief in die Tasche greifen - einschließlich obligatorischer Kurse sind rund 8000 Euro fällig. Zudem liegt die Durchfallquote laut Red Hat-Schulungsleiter Jens Ziemann sogar bei 65 Prozent. Anders als bei der herstellerneutralen LPI-Zertifizierung wird in der Prüfung zum RHCE beurteilt, ob der Kandidat nicht nur die Produkte des Linux-Distributors Red Hat kennt, sondern auch ihren Einsatz in der konkretenAnwendungssituation beherrscht.

"In unserem Beruf", warnt Mathias Kabiersch, bei der HSH Nordbank in Hamburg für Informationstechnik verantwortlich, "kann man nur mit Weiterbildung Schritt halten." Weil sein Arbeitgeber zum Jahresende plant, die Informationstechnik an einen externen Dienstleister auszulagern und dabei Arbeitsplätze wegzufallen drohen, hat sich der Informatiker und RHCE mit einer stark nachgefragten Qualifikation auf die sichere Seite gerettet.

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