Jobs bei der EU:Dolmetscher, where are you?

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Wissen Sie, was "Mitteilung der Kommission über den Beginn der Anwendung der Ursprungsprotokolle zur diagonalen Kumulierung" auf Englisch heißt? Kein Wunder, dass der EU die Dolmetscher ausgehen.

Brüssel als moderner Turm zu Babel, wo niemand mehr den anderen versteht: Der Sprachendienst der EU-Kommission malt die Zukunft in düsteren Farben. Er rechnet in den kommenden Jahren mit einem drastischen Mangel an Dolmetschern.

Dolmetscher Alexander Drechsel bei der Arbeit: Er muss von Agrarpolitik bis Zuwanderung in die unterschiedlichsten Themen eintauchen können. (Foto: Foto: afp)

Zu den Sorgenkindern der 23 offiziellen Sprachen gehören überraschend die gängigen Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch. Eine am Donnerstag startende Kampagne soll nun den Nachwuchs für die Arbeit im oft dunklen Kämmerlein begeistern.

Mit seinem Alter von 27 Jahren ist Alexander Drechsel, deutscher Dolmetscher in Diensten der Kommission, fast so etwas wie ein Exot. Denn der Altersschnitt der Kollegen liegt um die 50. Im kommenden Jahrzehnt werden sich rund 44 Prozent der Deutsch-Dolmetscher in den Ruhestand verabschieden, prognostiziert die Kommission.

"Goodbye" und "Adieu

Bei Englisch und Französisch könnte sogar je die halbe Mannschaft "Goodbye" und "Adieu" sagen. Doch die Rekrutierung von Nachwuchs ist schwierig für den laut Kommission größten Dolmetscherdienst der Welt, dessen insgesamt 550 feste und 2000 freie Mitarbeiter auch anderen EU-Institutionen dienen.

Drechsel hatte in Leipzig gelernt, als er 2006 mit dem Dolmetscher-Diplom in Brüssel anklopfte. Im Arbeitsalltag muss er nun von Agrarpolitik bis Zuwanderung in die unterschiedlichsten Themen eintauchen können. Wenn er bei Sitzungen englische, französische und rumänische Reden und Fragen in die Muttersprache überträgt, liegen Listen mit Fachwörtern bereit. Zur Not kritzelt ihm der Kollege nebenan ein fehlendes Wort aufs Papier, die Bleistifte liegen gespitzt hinter dem Mikrofon.

Doch Vokabeln sind für einen Dolmetscher nicht alles. Drechsel muss die "Kunden", wie er die zu Dolmetschenden nennt, auch im Auge behalten. Nur so bekommt er Gesten und Gesichtsausdrücke mit und kann den richtigen Ton treffen, zum Beispiel "Ironie rüberbringen". Meist sitzt er in einem jener Kämmerlein am Rande des Sitzungssaals, die abgedunkelt oder mit Spiegelglas versehen sind.

Auf der nächsten Seite: Wie das Bild von der Super-Bürokratie, das sich gerade auch in der Sprache niederschlägt, den Nachwuchs abschreckt.

Hauptziel: unauffällig sein

Dieses Unauffällige spiegelt Drechsels Berufsauffassung: "Das Ziel sollte sein, dass man uns nicht wahrnimmt." Wegen des drohenden Nachwuchsmangels will die EU-Kommission die Dolmetscher jetzt wenigstens zeitweise ins Rampenlicht rücken. Um Nachwuchs anzulocken, startet sie am Donnerstag eine Kampagne, unter anderem mit Werbespots auf der Internetseite Youtube.

Zunächst werden Englisch-Dolmetscher angesprochen, Deutsch soll im Laufe des Jahres folgen. In Zeiten der Globalisierung gedeihe der Glauben, "dass Englisch zu sprechen ausreicht, sowohl für die Arbeit wie für das persönliche Leben", analysiert ein Kommissionspapier. Wozu Fremdsprachen lernen, wenn alle Welt Englisch spricht? Diese Annahme ist auch nach Ansicht des Kommunikationschefs des Sprachendiensts, Ian Andersen, einer der Gründe dafür, dass Sprach- und Hochschulen in der angelsächsischen Welt zu wenige Absolventen auf den Markt bringen.

In Deutschland herrscht zwar kein Nachwuchsmangel, wie der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) erklärt. Institute wie in Heidelberg und Leipzig bildeten fleißig aus. Doch der Weg nach Brüssel ist weit. Abschreckend wirkt das Bild von der Super-Bürokratie, das sich gerade auch in der Sprache niederschlägt.

Gute Einstiegsgehälter

Wer für EU-Bürokraten dolmetscht, darf vor "Energiekennzeichnungsrichtlinien" oder einer "Mitteilung der Kommission über den Beginn der Anwendung der Ursprungsprotokolle zur diagonalen Kumulierung" nicht zurückschrecken.

Nach Ansicht von Andersen werden Deutsch-Muttersprachlern auch durch attraktive Angebote in der Heimat gelockt. Viele Jobs bei Ministerien oder in der Wirtschaft seien noch höher bezahlt als bei der EU, wo Einsteiger Drechsel immerhin 5000 Euro im Monat verdient. In den USA werben die UNO oder die Weltbank Sprachtalente ab. Die EU-Kommission wiederum nimmt trotz befürchteter Sprachlosigkeit nicht jeden: Die Aufnahmetests besteht kaum ein Drittel der Bewerber.

© afp/Phillipp Saure - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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