15 Jahre im Büro:"Es muss weitergehen"

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Mal Haifischbecken, mal Kollektiv: Eine Büroarbeiterin blickt zurück auf ihr Leben am Schreibtisch.

Von Eike Schrimm

Irgendeine Statistik besagt, dass 17 Millionen Menschen in Deutschland im Büro arbeiten. Ich bin eine davon. Seit 15 Jahren sitze ich an einem Schreibtisch, für den ganz bestimmte Richtlinien gelten. Deshalb haben sich meine einzelnen Arbeitsplätze äußerlich auch geähnelt: Tageslicht fällt seitlich auf den Schreibtisch, der höhenverstellbare Drehstuhl steht auf mindestens fünf Rollen, zwischen Nasenspitze und Bildschirm passen 40 bis 50 Zentimeter und im Computer laufen einigermaßen stabil die nötigen Programme. Laut Theorie sind so die Rahmenbedingungen gegeben, damit ich effektiv, effizient und zufriedenstellend arbeite.

Aber ist meine Leistung wirklich abhängig von ergonomischen Möbeln und neuester Software? Wie wohl muss sich der Büroarbeiter fühlen, damit er gerne das Maximale gibt? Beschleunigen erst die eigene Bürotasse oder die Zeichnung der Tochter über dem Bildschirm das Engagement?

Nach meinen Erfahrungen behaupte ich kühn: Es ist vollkommen egal, ob das Büro getreu den Arbeitsrichtlinien eingerichtet ist. Sobald die Menschen zu viel Privates ins Büro tragen, ist es um die Arbeit geschehen.

Ich begann als Lehrling in einem kleinen mittelständischen Industrieunternehmen. Zwei Sachbearbeiterinnen bildeten mich aus, die eine kollegial, die andere gebieterisch. Ihre unterschiedlichen Führungsstile waren schon an den Schreibtischen zu erkennen: Eine Platte wurde rein beruflich genutzt, das Gegenstück wurde mit gläsernem Briefbeschwerer, getöpfertem Teebecher und hochempfindlicher Bonsai-Zucht akurat eingegrenzt. Selbst Filzstifte, Tacker oder Lineal waren namentlich beschriftet. Wehe, wenn diese Hilfsmittel in fremde Hände gelangten.

Als Studentin arbeitete ich dann für einen Konzertveranstalter. Das Büro war eingebettet in die Privatwohnung des Chefs. Als Schreibtisch diente ein hundert Jahre alter, fünf Meter langer, gut eineinhalb Meter tiefer Esstisch aus wurmzernagten Eichenholz. Von dort aus organisierten meine Kollegin, mein Chef und ich Orchesterproben, vereinbarten Künstlerhonorare, setzten Verträge auf oder kuvertierten Programme tausendfach ein. Trotz heimeliger Umgebung wickelten wir in wenigen Stunden mit knappen Worten ganz konzentriert das Tagesgeschäft ab.

"Der Stoff ist einfach unglaublich"

Ganz anders in dem großen Verlag, der mich anschließend als Volontärin anstellte. Dort wurden die Büros streng nach Vorschrift möbliert und gestaltet. In den Zwei-Mann-Zimmern waren Schreibtische, Bildschirme, Tastaturen und Mäuse optimal zurechtgerückt. Eine perfekte Raumplanung also, um konzentriert zu arbeiten. Von wegen. Umgeben von grauer Sachlichkeit feierten wir jeden Montagvormittag das Wochenende ausführlichst nach: "Am Freitag habe ich mir doch noch die Bluse gekauft. Eigentlich passt das Rot nicht zu mir, aber der Stoff ist einfach unglaublich. Außerdem passt sie sehr gut zu meinem Hosenanzug." Viele, viele, viele Minuten später: "Und du? Wie war's bei dir?" "Oje, frag' nicht. Eigentlich wollten wir endlich..." Bis die Kollegin aus dem gegenüberliegenden Ressort auf der Matte stand. Sie habe endlich den tollen Typen aus dem Fitnessstudio angequatscht. Und so weiter und so weiter und so weiter. Distanz? Keine. Nirgends. Und wenn auch nur eine den Tratsch-Virus auskurieren wollte und sich zurückzog, wurde sie sofort als Außenseiter gebrandmarkt. Die Arbeit haben wir so ganz nebenbei erledigt, schließlich musste doch die Zeitschrift einmal im Monat am Kiosk liegen.

In meiner folgenden Anstellung - wieder bei einem Verlag - bin ich viel rumgekommen: Der Aufstieg von einem Sechs-Mann-Büro in einen Zwei-Mann-Salon, anschließend der Abstieg ins Großraumbüro, mit einem Zwischenstopp in einer Vier-Personen-Gemeinschaft, nun zu zweit auf 18 Quadratmetern. Bei dem Hin und Her bin ich meinen Kollegen sehr nahe gekommen. Nicht immer passten unsere Gewohnheiten zusammen, aber trotzdem kamen wir ohne viel Blabla miteinander aus. Am Anfang stellte ich noch lustige Schnappschüsse auf und bemühte mich um einen dekorativen Wandkalender.

Inzwischen ist alles weg. Nur noch mein eigenes Mousepad ist übriggeblieben. "Es muss weitergehen", steht drauf.

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