Insolvenzrecht:Pleite, Pech und Pfändung

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Kündigung vor dem Konkurs: Die Insolvenzordnung kann Arbeitnehmer um die letzten Monatsgehälter bringen.

Von Rolf Winkel

Er hat kein Geld veruntreut und keine goldenen Löffel geklaut. "Ich habe erfolgreich gearbeitet und dafür stand mir ein Gehalt zu", sagt Stefan Diepenbrock, "aber ich wurde verklagt und musste dieses Geld zurückzahlen. Das ist für mich unfassbar." Diepenbrock, 45 Jahre alt, Vater von drei Kindern, ist verwundert und empört. Zuerst verlor er seinen Job als angestellter Filmproduzent bei einer auf die Pleite zuschlitternden Firma. Monate später verlangte der Insolvenzverwalter des inzwischen bankrotten Unternehmens auch noch Geld zurück, das er sich ehrlich verdient hatte.

Opfer der Rechtslage - Gehaltsforderungen von Arbeitnehmern haben gegenüber anderen Forderungen an das Pleite-Unternehmen keinen Vorrang mehr. (Foto: Foto: dpa)

Nichts zu machen

"Das Schlimme ist eigentlich, dass Herr Diepenbrock keinen Fehler gemacht hat. Er ist einfach Opfer der Rechtslage", sagt Angela Schüthuth, Fachanwältin für Arbeitsrecht aus Brühl bei Köln. "Aber rechtlich gesehen ist da nichts zu machen." Sie hat in der letzten Zeit zunehmend mit Insolvenzverfahren zu tun. Kein Wunder: Allein in den ersten neun Monaten des letzten Jahres registrierten die deutschen Amtsgerichte rund 30.000 Unternehmenspleiten.

Der Fall Diepenbrock im Einzelnen: Die Zahlungsmoral seines Arbeitgebers, einer Münchner Filmproduktionsgesellschaft, war schon Anfang 2001 nicht gut. "Die Spesen liefen auf, ich reichte Quittungen ein, bat um Überweisung und hörte dann: Sorry, die Unterlagen sind verschwunden, können Sie die noch mal nachreichen?", erzählt Diepenbrock, "so schritt das Jahr dahin". Das Juni-Gehalt blieb schließlich ganz aus, und auch im Juli kam kein Geld. Stattdessen fand Diepenbrock, der in Berlin für die Münchner Firma arbeitete, eines Tages seine Lohnsteuerkarte im Briefkasten - ohne Erklärung. Eine Kündigung wurde nie ausgesprochen, geschweige denn zugestellt.

Gegen die offensichtliche Entlassung erhob der Filmemacher - wie es Arbeitnehmern in solchen Fällen geraten wird - Kündigungsschutzklage. Für das Arbeitsgericht München war es kein schwieriger Fall: Die Parteien einigten sich auf einen Vergleich. Diepenbrock wurden neben den noch offenen Juni- und Juli-Gehältern 15.500 Mark "soziale Überbrückungsbeihilfe" und eine Pauschale von 5000 Mark für nicht gezahlte Spesen zugestanden. "Dieser Vergleich wurde auf Datenträger aufgezeichnet, den Parteien aus dieser Aufzeichnung vorgelesen und von ihnen genehmigt", heißt es im Protokoll der öffentlichen Gerichtssitzung.

Die Ansprüche von Diepenbrock waren unstrittig. Nur: Das Pleite-Unternehmen hatte sich zwar zur Leistung verpflichtet, doch es zahlte nicht. Und so tat der Ex-Arbeitnehmer das, was in einer solchen Situation zu tun ist: Er erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen seinen Ex-Arbeitgeber und ließ im November 2001 bei diesem die ausstehende Summe zuzüglich Zinsen und Gebühren, insgesamt 47.426 Mark, pfänden. "Zumindest konnte ich damit die gerissenen Löcher stopfen", sagt Diepenbrock.

Lektion aus dem Insolvenzrecht

Doch statt eines gerechten Ausgleichs bekam Diepenbrock nun neuen Ärger. Sein Verhängnis: Nicht ganz einen Monat nach der Pfändung erklärte seine Ex-Firma offiziell ihre Zahlungsunfähigkeit. Als Insolvenzverwalter wurde der Münchner Fachanwalt für Arbeitsrecht, Ulrich Bastian, eingesetzt. Dieser wurde auch schon bald aktiv und konfrontierte den Filmemacher in einem Brief mit einer Lektion aus dem Insolvenzrecht: Diepenbrock wurde - salopp gesprochen - vorgeworfen, er habe sich durch seine vor der Insolvenz betriebenen Pfändung in der Reihe der Gläubiger vorgedrängt. Und das dürfe er nicht: Aus dem Anwalts-Schreiben vom 28. Juni 2002: "Die Insolvenzgläubiger wurden durch die angefochtene Handlung (gemeint ist die Pfändung, Anmerkung der Redaktion) benachteiligt, weil sich ohne diese Rechtshandlung die Insolvenzmasse um die hier eingeklagte Summe erhöhen würde und sich dementsprechend die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger ... verbessern würde."

Der Insolvenzverwalter forderte daher die kompletten 47.426 Mark (umgerechnet 24248 Euro), die Diepenbrock rechtmäßig und mühevoll eingetrieben hatte, wieder zurück. Dabei stützte er sich auf Paragraph 131 der Insolvenzordnung, die 1999 an die Stelle der früheren Konkursordnung getreten ist. Danach darf niemand im letzten Monat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens seine Forderungen an ein Pleite-Unternehmen eintreiben. Tut er dies doch, kann der Insolvenzverwalter das Geld wieder zurückholen. Stefan Diepenbrock hat inzwischen erfahren, was der Sinn dieser Ein-Monats-Sperrfrist ist: "Die Regelung ist getroffen worden, damit vorher nicht schon Gelder zur Seite geschafft werden. So soll verhindert werden, dass Freunde und Bekannte bedacht werden und andere Gläubiger leer ausgehen."

Das klingt schlüssig. Betroffen von der Neuregelung sind aber auch Arbeitnehmer, die - wie Diepenbrock - monatelang für eine Firma gearbeitet haben, ohne ihren Lohn zu bekommen. Solche Fälle berücksichtigt die neue Insolvenzordnung nicht. Anders als bei der früheren Konkursordnung haben auch Gehaltsforderungen von Arbeitnehmern gegenüber anderen Forderungen an das Pleite-Unternehmen keinen Vorrang mehr.

Rechtmäßiges Unrecht

Anwalt Bastian forderte von Diepenbrock nicht nur Geld, sondern riet ihm im eigenen Interesse auch, für die Monate, in denen er keinen Lohn erhalten hatte, beim Arbeitsamt Insolvenzgeld zu beantragen. Das Arbeitsamt München bewilligte dem Filmemacher schließlich 8161 Euro. Doch auch das war für ihn kein Grund zur Freude: Denn dieses Insolvenzgeld hatte er vorab schon an den Insolvenzverwalter abtreten müssen. Damit blieben von dessen ursprünglicher Forderung noch 16.087 Euro.

Stefan Diepenbrock verweigerte die Zahlung. Und so kam es wieder zur Klage: Diesmal prozessierte der Münchner Insolvenzverwalter gegen den Berliner Filmemacher. Am 12. Juni 2003 entschied schließlich das Arbeitsgericht Berlin: "Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16087,15 Euro nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2002 zuzahlen. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen." Rechtsanwältin Angela Schüthuth kommentiert: "Das entspricht der Rechtslage, so ist eben die Insolvenzordnung."

© SZ vom 17.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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