Human Branding:"Ich will eine Marke sein"

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Einzigartig! Beliebt! Erfolgreich! Wie man lernt, sich selbst als Produkt zu vermarkten. Ein Seminarbesuch.

Stefan Sippell

Das Seminar, das Menschen zu einer Marke machen will, unterscheidet sich bisher in überhaupt nichts von jedem anderen Seminar zu jedem anderen denkbaren Thema. Es gibt Kaffee aus hoteleigenen Thermoskannen, schüchterne Begrüßungen über die Tassen hinweg, den Austausch von S-Bahn-Verspätungs-Erlebnissen. Auch der Seminarleiter steht jetzt da, wie solche Seminarleiter eigentlich immer dastehen: neben dem typischen Flipchart, mit typisch lässig geöffnetem Hemdkragenknopf.

Für die Firma verrenken sich viele - wie hier ein Model. Warum dies nicht auch in eigener Sache tun? (Foto: Foto: AP)

Der Mann heißt Jon Christoph Berndt, ist Gründer der Marken-Agentur Brandamazing, und er scheint Wert auf beide Vornamen zu legen. Für die Dauer der Veranstaltung hat er sich ein hochgestelltes "R" in einem kleinen Kreis zugelegt.

Ich bin noch nicht ausentwickelt

Jon Christoph Berndt® also stellt sich so vor: "Ich selbst bin alles andere als ausentwickelt." Die ersten Raketen aus seinem Floskelfeuerwerk sind verschossen, als zumindest einige der Teilnehmer zum ersten Mal zusammenzucken. "Man kann den Leuten ja schlecht sagen, dass sie ein Produkt sind, beim Tengelmann im Regal liegen und dort um den knappen Platz kämpfen", sagt Berndt und macht eine für ihn typische Kunstpause. "Andererseits: Warum eigentlich nicht?"

Machen wir uns nichts vor: Im Grunde genommen geht es in dem Workshop "Human Branding" um nichts anderes als die großen Fragen der Menschheit. Wer bin ich? Was will ich? Und was soll ich tun? Seit tausenden von Jahren schlägt sich damit nicht nur jeder einzelne tagtäglich herum. Der dauerhaften Durchpflügung dieser Lebensthemen verdanken ganze Wissenschaften ihr Selbstverständnis, allen voran Philosophie und Psychologie.

Insofern kann es auf den ersten Blick schon als Frechheit anmuten, wenn nun die Strategie-, Kreativ- und Kommunikations-Berater auch noch auf diesem Feld ihre Kompetenz behaupten. Windige Marketing-Tricks statt standfester Methoden. Weichgespülte Sprüche statt harter Argumente. Surfen an der Oberfläche statt Tauchgang in die Tiefe.

Einzig der in Rechnung gestellte Tagessatz darf als ausgesprochen gehaltvoll gelten. Die Herausbildung solcher durchaus gehässigen Vorurteile lässt sich kaum vermeiden, wenn der Human-Branding-Workshop mit dem Ausruf angepriesen wird: "Zwei Powertage nur für Sie." Mit dem eingeschränkt schmeichelhaften Vergleich: "So einzigartig, beliebt und erfolgreich sein wie Thomas Gottschalk, Veronica Ferres, Madonna, Bill Gates - ein Traum, der wahr werden kann."

Will man sich wirklich fühlen wie ein Schokoriegel?

Einige der neun Teilnehmer, die sich dem Branding-Prozess aussetzen wollen, scheinen dem Metaphern-Angebot von Jon Christoph Berndt tatsächlich ziemlich skeptisch zu begegnen. Wollen sie sich wirklich fühlen wie ein Schokoriegel im Supermarktregal? Über ihre Verpackung nachdenken, den Kakaoanteil, die Konkurrenzprodukte - und natürlich über ihren Preis?

Spätestens als Berndt den kurzen Theorie-Teil beendet hat ("Wir werden Sie jetzt aufschlauen", so kündigt er ihn an); als sie gelernt haben, woraus ein "Marken-Dreieck" besteht und warum das "Marken-Ei" auch für ihre Selbsterfahrungsvermarktung von Bedeutung sei: Da kann sich Arno nicht mehr zurückhalten. Es platzt aus dem eher zurückhaltenden Familienvater heraus, der selbst als Trainer für EDV und Soft Skills arbeitet. "Die Vorstellung, hinterher eine Marke zu sein, finde ich fürchterlich!" Auf einmal scheint die Möglichkeit, diese Veranstaltung könne in den kommenden eineinhalb Tagen noch ein Erfolg werden, eine sehr unwahrscheinliche zu sein.

Erstaunlicherweise kippt die Stimmung genau in dem Moment, der sich zunächst anfühlt wie der absolute Tiefpunkt. Man kennt ihn ja aus jedem Handbuch für Gruppendynamik - wenn die Blicke hilflos wandern und das Schweigen den Raum betritt. Berndt hat gerade die nächste Übung angekündigt: Power-Dating, so ähnlich wie in dem Film "Shoppen".

Jeder Teilnehmer soll sich aus der Runde einen Mitspieler aussuchen und ihn in zwanzig Sekunden überzeugen - von sich selbst, der eigenen Unverwechselbarkeit und von dem Plan, gemeinsam eine Tasse Kaffee zu trinken. Als Planspiel also der Albtraum, in der U-Bahn dem oder der fremden Schönen gegenüberzusitzen - und dann mit anschwellendem Kloß im Hals vor sich hin zu schwitzen.

Doch so viel Marke sind die Teilnehmer schon geworden, um sich die Umwandlung ihres Schockzustands in lautstarken Protest zuzutrauen! Einer sagt: "Was für ein Quatsch", und mit seinem ironischen Nachsatz zeigt er, wie viel vom Jargon er schon verstanden hat: "Das entspricht nicht meinem Selbstbild." Eine andere sagt: "Die Situation ist mir viel zu unkonkret", und fast ein wenig trotzig schiebt sie nach: "Ich muss niemanden von mir überzeugen." Aber es gibt auch Bettina, Geschäftsführerin einer Web-Agentur, die gelassen und amüsiert dagegenhält: "Das ist doch das Normalste in der Welt: jemanden in kurzer Zeit packen zu müssen..."

Jon Christoph Berndt nimmt das alles sehr entspannt zur Kenntnis. Natürlich hat er einen seiner Sprüche parat: "Das ist ja keine Kuschelzone hier." Natürlich zwingt er niemanden, mitzumachen. Vor allem aber bleibt er auf eine verblüffend plausible Weise hartnäckig, ermuntert, kommt entgegen, weicht nicht aus. Vielleicht braucht er etwas länger als zwanzig Sekunden. Aber dann steigt jeder in den Ring, mit feuchten Händen und klopfendem Herzen - und preist sich an, so wie die sensationell neue Geschmacksrichtung eines Schokoriegels.

Günther schaut Arno tief in die Augen: "Ich setze Energien frei!" Schon eindrucksvoll - auch wenn Arno ihm den Kaffeehaus-Besuch verweigert. Jens macht sich bei seinem Power-Date über die Ratschläge lustig, die er vom Branding-Coach erhalten habe.

Ehrlichkeit als Strategie

Und als Arno seinen Versuch abbricht und stammelt "Ich kann das nicht" - da klatschen alle, weil sie entwaffnende Ehrlichkeit als geschickte Strategie missverstanden haben. Aus der potentiellen Peinlichkeit ist ein unschlagbares Verkaufsargument geworden, weil Marke und Mensch etwas Wichtiges gemeinsam haben: Beide müssen glaubwürdig sein, wenn sie sympathisch wirken wollen. Am Beispiel der Marke Jon Christoph Berndt gesagt: Wem flotte Sprüche am Herzen liegen, muss dieses Klopfen auch auf der Zunge tragen. Und wer weiß, vielleicht war die Anfangs-Abschreckung ja bei aller Ehrlichkeit auch ein Stück Strategie?

Jedenfalls läuft der Rest des Programms wie am Schnürchen. Ein kaltes Glas Bier, ein alter Apothekenschrank, die Salzwasserwelle im Sturm: Die Teilnehmer wählen Fotos aus, von denen sie finden, dass sie zu ihnen passen. Sie streichen so lange Begriffe aus einer Liste, bis ihr "Hauptantrieb" übrig bleibt. Und sie riskieren es am Ende tatsächlich, ihren Marken-Kern mit einem, dem einzigen Wort zu füllen. Staunend steht man wie vor einem klaren, klärenden Spiegel: Weil da wirklich etwas vom wabernden, wolkigen "Ich" auf einen Punkt zuläuft.

Und jetzt wird deutlich, worin der entscheidende Vorteil dieser Taktik besteht, sich ausgerechnet auf den plattgetretenen Wegen des Marketings dem blinden Fleck der eigenen Identität zu nähern. Der Zugang fällt so viel weniger schwer, die Hindernisse türmen sich nicht so unüberwindbar auf. Wer sich als Schokoriegel beobachtet, nimmt sich nicht schrecklich ernst, und sogar die Lächerlichkeit hat ihre Funktion: Sie macht das Lachen leicht.

© SZ vom 15.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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