Hochschulreform:Kaninchen für die Karriere

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Studenten empfinden die Uni oft als ein großes Versuchslabor. Seit der Einführung von Bachelor und Master testen die Unis Studienpläne aus.

Birgit Taffertshofer

Wenn Politiker und Professoren mal wieder über gute Lehre fabulieren, verliert Merih Ates schnell die Geduld. Der 21-Jährige studiert im zweiten Semester Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln. Und momentan fühlt er sich wie ein Versuchskaninchen in einem großen Lernlabor. Fast 50 Stunden bringt er jede Woche für sein Studium auf, quält sich durch monotone Massenvorlesungen, ringt um einen Sitzplatz in überbuchten Seminaren und presst sich oft bis spät in die Nacht Fachwissen in den Kopf. Was ihn allerdings am meisten frustriert, ist die Unsicherheit darüber, wo das alles hinführt. "Ich habe das Gefühl, ich studiere etwas Halbfertiges", sagt Merih Ates. Dabei hänge von dem Studium doch seine Zukunft ab.

Studenten im Hörsaal: Viele befürchten, dass sie selbst mit dem Bachelor-Titel kaum Perspektiven haben. (Foto: Foto: dpa)

Kein Zweifel, die Zeiten des lockeren Studentenlebens sind in Deutschland vorbei. Die Hochschulen haben das Studium radikal abgekürzt. Diplom und Magister werden abgeschafft, nun heißen die Studienabschlüsse Bachelor und Master. Mehr als 80 Prozent der Universitäten in Europa haben das neue System bereits eingeführt. Schon bald sollen fast alle deutschen Studenten nach nur drei Jahren reif für den Arbeitsmarkt sein. Nur wer eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt, soll noch zwei Jahre im Masterstudium anhängen. Durch die Reform soll das Studieren effizienter werden und die Abschlüsse sollen international vergleichbar sein. Das klingt gut, ist in der Praxis aber nicht so einfach.

Anforderungen steigen, Qualität sinkt

Während die Anforderungen an die Bachelor-Studenten steigen, sinkt die Qualität der Lehre. Die neue Studienordnung ist verschult: Anwesenheitspflicht und permanente Leistungsnachweise gehören dazu. Schon vom ersten Semester an zählen alle Zensuren für die Abschlussnote. Das Lernen für die Prüfungen findet aber oft nur in den Tutorien statt. Auch bei Merih Ates in Köln entfiel zuletzt ein Pflichtkurs - mangels Dozenten. Die Uni bemühe sich zwar um einen Ersatztermin, doch langsam werde er nervös, sagt Ates. Sein Studium droht, aus dem Zeitplan zu geraten. Besonders ärgerlich, wenn wie in Köln Studiengebühren fällig werden.

Es ist nicht so, dass die Studenten sich nur beschweren. Viele sehen in dem neuen Studiensystem sogar eine große Chance: Denn es zwingt Professoren und Dozenten, ernsthaft über ihre Lehre nachzudenken und damit auch über die Bedürfnisse der Studenten, sagt Imke Buß, die Vorsitzende des Freien Zusammenschlusses von Studentenschaften (fzs): "Der Bologna-Prozess ist gut für die Studierenden, wenn er richtig umgesetzt wird." Was die meisten Studenten aber nervt, sind schlechte Vorlesungen, organisatorisches Chaos und Zeitdruck. "Die Politik missbraucht die Studienreform als Sparmaßnahme", kritisiert Imke Buß. Die Rechnung gehe aber nicht auf, das zeigten bereits die Abbrecherquoten.

Viele Studenten befürchten, dass sie selbst mit dem Bachelor-Titel kaum Perspektiven haben. Auch Merih Ates will deshalb unbedingt bis zum Master weiterstudieren. "Jeder muss diese Chance erhalten", sagt er. Doch bisher haben nur die Besten Aussicht auf einen Studienplatz. Die Zitterpartie geht also weiter.

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