Handwerk:Übung macht die Meisterin

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Frauen beschränken sich auf wenige Handwerksberufe, für viele Chefs sind Gesellinnen immer noch zweite Wahl.

Fabienne Melzer

(SZ vom 24.5.2003) Toiletten, immer wieder die Geschichte mit den Toiletten. Sarah Wiegreffe kann es nicht mehr hören. Bei mehr als 15 Betrieben hat sich die Hamburgerin um eine Lehrstelle als Tischlerin beworben, und überall bekam sie dieselbe Antwort: "Wir können keine Frau einstellen, wir haben keine getrennten Toiletten." So ziemlich jede Handwerkerin kennt diese Antwort.

Christin Riedel hat sich vorgenommen, den väterlichen Handwerksbetrieb zu übernehmen. (Foto: dpa)

Die Legende von den getrennten Toiletten, die das Gesetz angeblich verlangt, ist genauso falsch wie unverwüstlich. Bereits 1983 hat der Gesetzgeber die Vorschrift abgeschafft, zumindest für kleine Betriebe. Doch auch nach 20 Jahren ist dies zu vielen Handwerksmeistern noch nicht vorgedrungen.

Sarah Wiegreffe macht inzwischen eine Ausbildung in der Frauentischlerei der autonomen Jugendwerkstätten in Hamburg. Nur einmal hat die 21-Jährige versucht, einem Handwerker zu erklären, dass er keine zusätzliche Toilette braucht. Die empörte Antwort: "Ich werde ja wohl besser wissen, welche Vorschriften für meinen Betrieb gelten." Obwohl Wiegreffe es besser wusste, gab sie auf. "Was soll ich in einem Betrieb, in dem ich als Frau nicht erwünscht bin?"

Ausbilden ja, einstellen nein

Frauen in Männerberufen müssen noch immer kämpfen. Das belegt eine Umfrage von Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen. Jede vierte Gesellin und Auszubildende beklagt, dass sie sich als Frau in ihrem Beruf nicht akzeptiert fühlt. Die Regionalstelle Frau und Beruf im westfälischen Ahlen befragte Handwerksbetriebe des technischen Gewerbes nach ihrem Einstellungsverhalten. Das Ergebnis: Nur ein Zehntel der Betriebe, die 1998 Ausbildungsverträge abgeschlossen hatten, bildeten auch Frauen aus.

Mehr als 90 Prozent der Meister, die Frauen die schwere körperliche Arbeit nicht zutrauten, hatten noch nie mit einer Frau zusammengearbeitet.

Viele Handwerkerinnen umgehen dieses Problem. Sie gründen reine Frauenwerkstätten oder suchen sich einen Chef, der nicht im Mann-Frau-Schema denkt. Doch ein frauenfreundlicher Betrieb schützt sie nur bis zur eigenen Werkstatttür.

"Was willst du denn hier?"

Auf Baustellen oder in der Berufsschule herrscht meist ein anderer Ton. Tina Gröger, Tischler-Azubi aus Hamburg, sagt: "In der Berufsschule war es am Anfang heftig." Die Klassenkameraden riefen ihr nach: "Was willst du denn hier? Das kannst du doch gar nicht." Bei praktischen Arbeiten tuschelten sie hinter ihrem Rücken. Wenn sie etwas nicht sofort heben konnte, hagelte es Kommentare: "Geh nach Hause und feil dir die Fingernägel." Die 17-Jährige ließ sich nicht einschüchtern. Die Jungs in der Berufsschule lassen sie inzwischen in Ruhe.

Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit gehören zu den wichtigsten Werkzeugen von Handwerkerinnen, meint auch Johanna Häger. Die 25-jährige Zimmerin aus Berlin weiß nicht mehr, wie oft sie von Männern auf der Baustelle gefragt wurde, ob sie das denn überhaupt könne. Johanna Häger hat sich nicht mürbe machen lassen. Im Gegenteil: "Ich kann so viele Sachen, die man mir als Frau nicht zutraut. Ich möchte keinen anderen Beruf machen."

Doch nicht jede Frau hält den Druck auf Dauer aus. Der Münsteraner Diplompädagogin und ehemaligen Tischlerin Ute Becker fiel auf, dass sämtliche Kolleginnen ihr Handwerk irgendwann an den Nagel gehängt hatten. In ihrer Diplomarbeit ging sie den Ursachen nach. Die Antworten der befragten Frauen ähnelten sich: "Sie hatten alle das Gefühl, dass der Kampf, sich als Frau durchzusetzen, mehr Kraft kostet als ihre eigentliche Arbeit." Ute Becker erklärt das unter anderem mit dem Minderheitenstatus, den Frauen im Handwerk haben.

Starker Druck

Im Gegensatz zur Industrie, wo etwa die Hälfte aller Azubis weiblich ist, stellen Frauen im Handwerk nur ein gutes Fünftel. Die meisten lernen Friseurin, Verkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk oder Bürokauffrau.

In diesen Berufen liegt der Frauenanteil unter den Azubis zwischen 80 und 90 Prozent. Dagegen sind noch nicht einmal zwei Prozent aller angehenden Kfz-Mechaniker weiblich, und unter Maurern, Elektroinstallateuren und Glasern liegt der Frauenanteil sogar unter einem Prozent. "Frauen geht es hier wie allen Minderheiten", sagt Becker, "sie stehen in den Augen der Kollegen immer stellvertretend für das ganze Geschlecht. Das ist ein starker Druck, den viele nicht aushalten."

Die 28-jährige Dachdeckerin Daniela Berendt (Name geändert) wusste, was auf sie zukam. Von sechs Betrieben in ihrem Heimatdorf in Norddeutschland war nur einer bereit, die junge Frau auszubilden. Dabei stellte der Chef von vorneherein klar, dass er sie zwar ausbilden, aber nicht als Gesellin einstellen würde.

Bei überbetrieblichen Veranstaltungen erklärten ihr andere Meister aus der Umgebung, dass sie sich eine Frau nur in sehr großen Betrieben vorstellen könnten. Schließlich würden sie ja weniger leisten. "Sicher", räumt die Dachdeckerin ein, "die Männer konnten die Dachpfannen weiter werfen und mehr schleppen als ich. Aber die meisten halten das nicht ewig durch. Ich habe auf den Baustellen nur selten Männer gesehen, die älter als fünfzig Jahre waren."

Handwerker als Dienstleister

Auch im Handwerk wird inzwischen viel am Computer gearbeitet. "Und den können Frauen ebenso bedienen wie Männer", sagt Dorothea Schemme vom Bundesinstitut für Berufsbildung in Berlin. Schließlich habe sich der Dienstleistungsanteil in den meisten Professionen erhöht. "Und außerdem", sagt Schemme, "leisten Frauen auch in anderen Berufen körperliche Arbeit. Es geht wohl nicht um objektive Begründungen, sondern es wird mit zweierlei Maß gemessen."

Daniela Berendt fand nach der Ausbildung keine Stelle. Sie arbeitet jetzt selbständig auf Reisegewerbeschein. Als reisende Gesellin schlägt sie sich von Baustelle zu Baustelle durch. Für viele Frauen ist dies die einzige Möglichkeit, selbständig zu arbeiten, sagt Anja Bandemer, Tischlerin aus dem Spessart. Denn vor die Selbständigkeit hat das Handwerk die Meisterprüfung gestellt. Eine Vorschrift, die noch aus dem Mittelalter stammt, von den Preußen 1810 abgeschafft und mit Hilfe der Nationalsozialisten 1935 wiederbelebt wurde.

Die Meisterprüfung kostet mehrere zehntausend Euro und kann erst nach drei Jahren Berufserfahrung abgelegt werden. "Woher soll ich die bekommen, wenn mich keiner einstellt?", fragt Anja Bandemer. Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit machte auch sie sich mit einem Reisegewerbeschein selbständig. "Ich wollte mir nicht mehr die Hacken ablaufen und Absagen kassieren." Die Geschichte mit den Toiletten hat auch sie zu oft gehört.

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