Go East:Der andere Alltag

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Angehende Juristen, Politologen und Betriebswirtschaftler können in südosteuropäischen Ländern wertvolle Erfahrungen sammeln.

Darko Jakovljevic und Nicole Tepasse

(SZ vom 19.11.2002) "Lass uns doch darüber reden, wer Schuld am Krieg ist", fragt Omar, und sein Freund Dzemo fügt verständnislos hinzu: "Warum willst du nicht über das sprechen, was wir hier erleben mussten?" Doch die hartnäckigen Fragen machen den Studenten Sasa nur aufgebracht: "Es ist viel zu früh. Der Krieg ist erst seit sieben Jahren zu Ende".

Johanna Nüsse beobachtet ihre bosnischen Kommilitonen. Sasa ist Kroate, Omar und Dzemo sind Muslime - alle drei studieren zusammen mit Johanna an der Universität in Sarajevo. Die 24jährige Frankfurterin ist für ein Semester in der bosnischen Hauptstadt, wo sie das Fach Geschichte belegt hat. Während der Vorlesungen wird im Hörsaal oft hitzig diskutiert, denn die eigene, junge Geschichte ist in Sarajevo sehr lebendig. Nach der Vorlesung jedoch verschwinden die Probleme im Zigarettenrauch, zusammen verbringen die Studenten die Pause.

Wie im Urlaub

Nacheinander, aber nicht gemeinsam, machen sich die Staaten des ehemaligen Jugoslawien daran, ihre Hochschulsysteme zu reformieren, teilweise an die westlichen anzugleichen und so auch für ausländische Studenten an Attraktivität zu gewinnen.

Für deutsche Studenten gibt es gute Gründe, in einem der sechs Nachfolgestaaten zu studieren. "Vor allem für Studenten der Rechtswissenschaft, Politik, Geschichte und Soziologie ist es spannend, den Transformationsprozess im Alltag mitzuerleben. Sie können dann auch Erfahrungen im nicht-akademischen Bereich machen, die ihnen in Deutschland vorenthalten blieben", beschreibt Katharina Ochse vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) die Vorteile eines Studiums in Südosteuropa.

Aber nicht nur der andere Alltag macht das Studium in den Transformationsländern zu einer besonderen Erfahrung. Die Küstenorte Kotor in Montenegro, Split und Zadar an der kroatischen Adria locken auf vielseitige Weise: Zum einen fühlt man sich in dieser Umgebung ein wenig wie im Urlaub, zum anderen werden aber auch internationale Sprachkurse angeboten.

Hinzu kommen günstige Lebenshaltungskosten, kleine Universitäten, ein klar gegliedertes Studiensystem und enger Kontakt zu den Professoren.

"Der Unterrichtsstil der Professoren ist frontal, und die Studenten schreiben eifrig mit", sagt Johanna Nüsse. "Doch es gibt durchaus Diskussionen, besonders in den von Assistenten geleiteten Übungen". Die Deutsche erlebt innerhalb der Universität ein "starkes Hierarchiegefüge". Doch als einzige ausländische Studentin weit und breit hätte sie immer gesprächsbereite und sehr offene Professoren erlebt, bestätigt sie den Vorteil des Campuslebens in Sarajevo, den sie an ihrer deutschen Universität so nicht erlebt hat. Aber nicht nur für Geisteswissenschaftler ist Südosteuropa interessant. Auch für Betriebswirtschaftler bestehen gute Karrierechancen. "Viel hat sich in Richtung Ost-, Mittel- und Südosteuropa bewegt, wo die deutschen Händler einen attraktiven Markt voraussehen", sagt Enisa Zukic, Personalberaterin in München.

Das Studium in den Nachfolgestaaten ist vergleichsweise straff organisiert. 30 Wochenstunden sind die Regel. Wer am Ende des Semesters auch nur eine der zahlreichen Prüfungen nicht besteht, muss das gesamte Semester wiederholen. Wer jedoch die Hürden schafft, kann sich zumindest in einigen Ländern wie Slowenien seine Leistungen über das "European Credit Transfer System" (ECTS) bescheinigen und dann an einer deutschen Universität anerkennen lassen.

Enttäuschungen vorbeugen

In Belgrad lehrt Jelena Kostic Germanistik. In den Lektürestunden wird ihr oft klar, unter welch schwierigen Bedingungen sie ihre Studenten zu unterrichten hat. "Manchmal gibt es für einen Kurs nur ein Exemplar eines Romans von Heinrich Böll oder Thomas Mann", beschreibt sie die schlechte Ausstattung der Bibliotheken.

Aber auch in den naturwissenschaftlichen oder technischen Studiengängen haben es Dozenten und Studenten nicht leicht, klagt Kostic: "Überall mangelt es an Geld. Für Biologen und Chemiker gibt es manchmal nicht einmal Reagenzgläser."

Katharina Ochse vom DAAD ist trotzdem überzeugt, dass der Einblick in das fremde Bildungs- und Gesellschaftssystem für einen Studenten ein Gewinn sein kann. "Um Enttäuschungen vorzubeugen muss man nur", rät Ochse, "zwei Fragen beantworten: Was bringt mir das Semester für mein Studium, was bringt es mir an persönlichen Erfahrungen?"

Allerdings verlangen die meisten Universitäten Aufnahmeprüfungen, die nur bei kürzeren Studienaufenthalten wegfallen können. Auch Sprachkenntnisse müssen die Ausländer vorweisen, sonst werden sie nicht immatrikuliert. Dass die Erfahrungen in Südosteuropa noch leichter finanzierbar sind, ist sicher ein entscheidender Vorteil. Denn die Tatsache, dass erst wenige in Südosteuropa studieren, wirkt sich bei der Bewerbung um ein Stipendium positiv aus. Und wer gefördert wird, der kann sich teilweise sogar die Studiengebühren sparen, die ausländische Studenten ansonsten prinzipiell zahlen müssen.

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