Geisteswissenschaftler:Unternehmer mit Geist

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Wenn die Idee stimmt, können auch Historiker, Psychologen und Theologen zu Firmengründern werden.

Lisa Zimmermann

Bis unter die Decke der Altbauwohnung in Berlin-Pankow türmt sich das Papier. In dem Gründerzeitbau residiert die Agentur "Facts & Files", und im Laufe der Zeit haben sich hier ganze Regalsysteme voller Aktenordner angesammelt. Angefangen hat das Ganze vor acht Jahren: Beate Schreiber, heute 35, recherchierte während ihres Geschichtsstudiums an der Berliner Humboldt-Universität für Rechtsanwälte, die an Rückübertragungen von jüdischem Vermögen arbeiteten. Und bekam immer wieder Anfragen von Unternehmen, ob sie Recherche-Aufträge zu historischen Themen übernehmen könnte. So entstand die Idee einer Geschichtsagentur.

Die Berliner Geschichtsagentur "Facts & Files" recherchiert für Museen oder Filmemacher: Frank Drauschke (links), Jörg Rudolph und Beate Schreiber. (Foto: Foto: oh)

Zusammen mit zwei Freunden bewarb sie sich bei einem Business-Plan-Wettbewerb. Doch alle Juroren winkten ab, erzählt Schreiber. "Nur ein Historiker, der auch im Gremium saß, fand die Idee einer Geschichtsagentur prima". Zu dritt gründeten sie "Facts & Files", damals eine der ersten Agenturen, die Serviceleistungen im Bereich der historischen Forschung anbot. Heute arbeiten neben den drei Partnern noch vier feste Mitarbeiter für die Agentur, und zahlreiche freie Mitarbeiter wühlen sich weltweit durch Archive.

Die Firma liefert die Inhalte für Websites zu historischen Projekten, zuletzt etwa für eine Seite zur Jugend-Opposition in der DDR, und berät Produktionsfirmen bei Filmprojekten wie "Der neunte Tag" von Volker Schlöndorff. Ob man sich im Dritten Reich "Guten Morgen" sagte oder schon in aller Früh ein "Heil Hitler" bellte - das sind Details, die eine Geschichtsagentur für ihre Kunden recherchiert.

Auch internationale Organisationen wie das Holocaust Memorial Museum in Washington und die Gedenkstätte Yad Vashem haben die Facts & Files-Mitarbeiter schon beraten. "Im Studium haben wir nicht gelernt, wie man in Archiven arbeitet, sondern wie man Arbeiten schreibt, die keiner liest", sagt Beate Schreiber. Die professionelle Archivarbeit haben sich die Mitarbeiter selbst angeeignet.

Lange Zeit war die Existenzgründung nach dem Studium eine Domäne von Wirtschaftswissenschaftlern. Das hat sich mittlerweile geändert. Denn der Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler bleibt angespannt. Untersuchungen der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) zufolge gingen die expliziten Stellenangebote für Geisteswissenschaftler im Jahr 2005 gegenüber dem Vorjahr erneut um 8,8 Prozent zurück. "Die Stellen für Geisteswissenschaftler an Hochschulen, Bibliotheken, Archiven oder Museen werden immer weniger", sagt Manfred Bausch, Arbeitsmarktexperte der ZAV. So wagen immer mehr Geisteswissenschaftler den Schritt in die Selbstständigkeit.

Christa Fellner, 35, hatte sich während ihres Theologiestudiums in München bereits beim Ausbildungszentrum für Pastoralreferentinnen angemeldet. Während der Einkehrtage in einem Kloster lernte sie einen Pater kennen, der ihr einen Studentenjob in seinem katholischen Verlag anbot. Nach dem Studium arbeitete sie in einer Werbeagentur als Kontakterin, war zwischenzeitlich arbeitslos - und beschloss, ihre Stärken als Theologin mit dem Handwerkszeug der Werbung zu kombinieren. So entstand die Idee für ihr "Büro für originelle Kommunikation".

Christa Fellner vom Münchner "Büro für originelle Kommunikation" verbindet theologischen Tiefgang mit ihrer Erfahrung als Werberin. (Foto: Foto: Dorothee Luik)

Einfühlungsvermögen und das Interesse, in die Tiefe zu gehen und sich intensiv mit den Menschen auseinanderzusetzen, seien Eigenschaften, die sie als Theologin von klassischen Werbern abhebe, sagt Fellner. Ihre Kunden sind Einzelunternehmer, die sich mit einer Dienstleistung selbstständig machen wollen oder es bereits sind. Christa Fellner filtert in intensiven Gesprächen heraus, welches Logo und welche Texte das Wesen des Kunden symbolisieren.

Sie zeigt einen Entwurf für einen Kunden, der als selbstständiger Coach arbeitet: Das Logo zeigt Fußabdrücke, die zu einem Baum führen. Dieser Kunde hat früher in der Landwirtschaft gearbeitet und dann noch Betriebswirtschaft studiert. Das Logo solle seine Bodenständigkeit symbolisieren, erklärt Fellner. "Und dass man sich selbst bewegen muss, um andere zu bewegen". Als Theologin wolle sie hinter die Fassade eines Menschen blicken, um zu verstehen, warum er etwas auf eine bestimmte Weise tut. "Wenn ich weiß, was einen Menschen antreibt, weiß ich, wie er sein Geschäft am besten voranbringt." In enger Zusammenarbeit mit einer Grafikerin entwirft sie das Logo und die restliche Geschäftsausstattung wie Flyer, Briefpapier und schreibt Texte für Informationsbroschüren.

Beate Klein, 32, hatte die Idee für ihre Firma schon während des Studiums. Damals jobbte sie als Hostess auf Messen - und war geschockt, wie schlecht die Kolleginnen ihren Auftraggeber nach außen repräsentierten. "Es passierte ständig, dass Hostessen total offensiv mit Messegästen flirteten und schnoddrige Antworten auf Fragen von Standbesuchern gaben", sagt Klein. "Wenn Konfektionsgröße und Größe stimmen, ist den Unternehmen der Rest oft egal. Dann stehen da Deko-Püppchen herum, die bei der kleinsten Konflikt- oder Stresssituation überfordert sind." Die Hostessen trügen aber Verantwortung für die Außendarstellung eines Unternehmens, auch wenn der Job vordergründig nur aus Prospekte-Verteilen bestünde. "Viele können sich nicht vernünftig ausdrücken, haben keinen Charme und keine interkulturelle Kompetenz."

Während ihres Publizistik- und Psychologie-Studiums in Berlin hatte sich Beate Klein intensiv mit Unternehmenskommunikation auseinandergesetzt - ihre Magisterarbeit schrieb sie dann über die Bedeutung von Hostessen für die Außenpräsentation von Unternehmen. 2003 entstand die Idee für ihre Agentur "Apunto Connect", die dem Kunden ein Team zusammenstellt, das dessen Ziele passgenau vertritt. Wenn also eine niederländische Fluggesellschaft mit Promotion-Aktionen in Biergärten für sich werben möchte, kommen Niederlandistik-Studentinnen zum Einsatz, die auch mal einen passenden Spruch auf Niederländisch parat haben.

Jede Hostess in der Kartei hat ein ausführliches Profil mit ihren Stärken und Schwächen, auf das Klein und ihre Partnerin Susanne Gottschling bei der Zusammenstellung der Teams zurückgreifen. "Adidas sucht andere Leute als die Deutsche Bank", sagt Gottschling, die bald ihr Studium der Nordamerikanistik, Soziologie und Geschichte beendet.

Gute Noten im Studium nützten nicht viel bei der Existenzgründung, meint Gottschling. Geisteswissenschaftler, die sich selbstständig machen, haben ihr Studium nicht nur in der Bibliothek und am Schreibtisch verbracht, sondern eine Menge praktischer Erfahrungen gesammelt, sagt Beate Klein. "Geisteswissenschaftler, die gründen, sind meist keine Fachidioten. Sondern Allrounder, die großes Durchhaltevermögen brauchen."

© SZ vom 25.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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