Führungsspitzen:Wer im Büro surft, hilft dem Arbeitgeber

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Montagmorgen, und die halbe Belegschaft surft im Internet: Der Albtraum eines jeden Abteilungsleiters. Oder etwa doch nicht? Wer am Arbeitsplatz gelegentlich privat im Netz unterwegs ist, ist produktiver, sagen Forscher aus Singapur. Allerdings gibt es da eine ganz große Ausnahme.

Dagmar Deckstein

Als Bürovorsteher Ferdinand Frech an diesem Morgen die Tür im neunten Stock zur "Lemurenetage" öffnete, wie er sie nannte, traf ihn der Schlag. Müller saß vor seinem Computerschirm und jagte Moorhühner. Die Selig hatte "commerzbanking" aufgeklappt und überwies seelenruhig 158,96 Euro für das soeben auf Ebay erworbene neue Handy. Müller hatte offenbar auch nichts Besseres zu tun, als auf sueddeutsche.de die Kickerei zwischen Bayern und Freiburg nachzulesen.

Während der Arbeitszeit auf den Seiten von Facebook, Ebay und Xing surfen? Kein Problem, sagen Forscher. Denn das macht Arbeitnehmer produktiver und effektiver. (Foto: dpa)

Beim Blick auf Fischers Bildschirm überkam Frech ein Anflug von Übelkeit: pfiff der sich doch gerade auf Youtube das Hotdog-Wettessen zwischen Joey Chestnut und Takeru Kobayashi von 2007 'rein. 66 zu 63 nach zehn Minuten für Chestnut. Würg! Der Albtraum aller Abteilungsleiter und sonstiger Hierarchen - im neunten Stock wurde er zur lebendigen Horrorkulisse. Marodierende Feinde des fein justierten Konzernsystems am Werk, Ordnungsabweichler, die zu Surf-Anarchisten mutieren! Abmahnung!

Auf diesen Vorgesetztenreflex sollten Beobachter solcher und ähnlicher Szenerien künftig unbedingt verzichten. Die vermeintlich marodierende Bürobande verhält sich nicht nur absolut korrekt, sondern sogar vorbildlich. Sie ergeht sich produktivitätssteigernd in "Cyberloafing", das man als eine Art Morgengymnastik fürs Hirn bezeichnen könnte. "Cyberloafing" lässt sich mit Internet-Bummeln oder -Faulenzen übersetzen und klingt für die Kontrollfreaks aus den Chefetagen schon so wie sich ein Magengeschwür anfühlt.

Aber weit gefehlt, wer am Arbeitsplatz gelegentlich (!) privat im Web surft, ist bei der Arbeit produktiver und effektiver als Kollegen, die brav im Firmen-Intranet die Tageslosung des Vorstandschefs inhalieren und sich schon entschuldigen, wenn sie mal googeln müssen, um mit ihrer Arbeit voranzukommen.

Glaubt man Don Chen und Vivien Lim von der Nationalen Universität von Singapur, sind solche Sorgen nicht nur übertrieben, sondern völlig fehl am Platz. Zur allgemeinen Überraschung des Publikums stellten sie jetzt auf dem Jahrestreffen der "Academy of Management" im texanischen San Antonio ihre neuesten Erkenntnisse über den "Impact of Cyberloafing on Psychological Engagement" vor, also über die Auswirkung privater Internetnutzung auf die Gehirnfitness des gemeinen Büroinsassen.

Dazu wurden Studenten mit allerlei Aufgaben betraut und anschließend in drei Gruppen aufgeteilt. Die erste bekam eine zehnminütige Zusatzaufgabe gestellt, die zweite konnte tun und lassen, was sie wollte - außer im Internet surfen, und die dritte durfte sich die Zeit nach Lust und Laune im Netz vertreiben. Anschließend gab es wieder eine Aufgabe zu lösen, und wer wohl schnitt am besten ab? Richtig, die Gruppe mit der großen Surf-Freiheit.

Weitere Tests mit Berufstätigen bestätigten die steile These: Privatsurfer waren tendenziell interessierter, aktiver, energiegeladener und weniger gestresst. Aber Obacht, das alles gilt nicht für die Beschäftigung mit E-Mails, warnen die beiden Forscher, die besäßen einen "absolut negativen Effekt" auf die Konzentrationsfähigkeit bei der Arbeit. Das ahnten wir nicht nur schon, das wissen wir aus langer leidvoller Erfahrung.

Nur wissen wir nicht, ob der obrigkeitsstaatlich bewachte Singapurianer am Ende mental etwas anders gestrickt ist als etwa Frechs Bande im neunten Stock.

© SZ vom 12.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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