Führen ohne Theorie:Manager lesen nicht

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"Nein danke" an die Wissenschaft: Warum sich Manager nicht mehr für neue Theorien interessieren.

Barbara Bierach

Jedes Jahr im August treffen sie sich: 6000 Management-Akademiker aus aller Welt "Den Rest des Jahres lesen wir die Publikationen der anderen und schreiben eigene, damit wir im kommenden Jahr wieder Zuhörer haben". So beschreibt Professor Donald Hambrick von der Business School der Columbia Universität die jährliche Konferenz der Academy of Management. Auch dieses Jahr pilgern sie alle nach Atlanta, und wieder bleiben sie unter sich: Führungskräfte aus dem richtigen Leben sind kaum da.

Ein ähnliches Phänomen ist an vielen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten zu beobachten: Immer mal wieder taucht ein Vorstandsvorsitzender in der Uni auf, um eine Rede zu halten, aber selten bleibt er länger, um seinerseits dem Professor zuzuhören.

Schon mal einen Mediziner ohne medizinische Fachzeitschriften im Regal gesehen? Oder einen Anwalt ohne juristische? Undenkbar. Aber es gibt Tausende von Managern, die sehr erfolgreich arbeiten, ohne je die Nase in eine Management-Publikation zu stecken. Es gibt kaum ein anderes Feld, in dem Lehre und Leben so wenig miteinander zu tun haben. Das hängt natürlich damit zusammen, dass man nicht Management studiert haben muss, um ein Unternehmen zu führen. Ein paar der erfolgreichsten Wirtschaftsführer wie Bill Gates, Steve Jobs oder Larry Ellison sind sogar Studienabbrecher.

Ein weiterer Grund liegt in den Inhalten und der Qualität der Druckerzeugnisse zum Thema. Die in den USA derzeit meist verkauften Titel aus professoraler Feder lauten zum Beispiel: "Freakonomics - Überraschende Antworten auf alltägliche Lebensfragen". Da steht drin, dass viele Dinge anders wirken als sie tatsächlich sind.

Dann "Good to Great - Der Weg der Besten". Hier wird die These vertreten, dass bodenständige Chefs oft bessere Ergebnisse erzielen als Charismatiker. "Der blaue Ozean als Strategie - Wie man neue Märkte schafft" ergattert seinen Rang mit der Beobachtung, dass sich auf frischen Feldern mit weniger Konkurrenz leichter Geld verdienen lässt als in reifen Märkten, wo sich die Anbieter nur so drängeln.

Die ganz große, alles beherrschende Theorie fehlt zur Zeit ganz offensichtlich. Alles Wesentliche, was es zum Thema zu wissen gibt, hat der unlängst verstorbene Peter Drucker schließlich schon vor Jahren notiert.

Irgendwer kauft und liest die zeitgenössische Ware dennoch, sonst würde sie nicht gedruckt. Gestandene Manager sind aber vermutlich kaum unter den Lesern. Denn die haben erstens wenig Muße und zweitens schon zu viele durchs Dorf getriebene Säue gesehen: von Benchmarking oder BSC über Reengineering und CRM bis zu Six Sigma. Ganz zu schweigen von den häufig nicht durch allzu große wissenschaftliche Erkenntnis inspirierten Produkten der Motivationspriester, Guru-Berater und Reich-in-drei-Tagen-Tippgeber.

Nicht, dass es da einen kausalen Zusammenhang gäbe, aber die theorielastige Phase der späten 90er Jahre und des beginnenden neuen Jahrtausends endete im Katzenjammer an der Börse. Entsprechend beruhigend fühlt es sich an, dass derzeit kein Kult-Thema die Unternehmen durcheinander zu bringen versucht. Wenn die Managementtheoretiker der "inzestuöse, geschlossene Kreis" bleiben, als den Donald Hambrick sie beschrieben hat, geht wenigstens nichts Wichtiges kaputt.

© SZ vom 17.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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