Erziehung:Die Geschichte vom reichsten Kindergärtner der Welt

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Eddy Groves machte mit dem Konzern "ABC Learning" ein Vermögen und verlor es wieder - ein Lehrstück über die Kommerzialisierung der Kitas.

Felix Berth

Die deutsche Familienministerin plant eine scheinbar kleine Gesetzesänderung. In Zukunft sollen nicht nur gemeinnützige, sondern auch kommerzielle Kindergärten Zuschüsse vom Staat bekommen. Das, so hofft Ursula von der Leyen, wird den Wettbewerb steigern und den Ausbau der Kitas beschleunigen. In Australien hat man da einige Erfahrung: Vor 17 Jahren begann dort eine ähnliche Reform. Sie hatte revolutionäre Nebenwirkungen.

Kinder in der Kita: Demnächst sollen auch kommerzielle Einrichtungen Zuschüsse vom Staat bekommen. (Foto: Foto: ddp)

Der reichste Kindergärtner der Welt. Im Jahr 1988 eröffnet Eddy Groves mit seiner Frau Le Neve Groves einen Kindergarten in einem Vorort der australischen Großstadt Brisbane. Groves ist 22 Jahre alt, es ist sein erster Ausflug in die Pädagogik. Zuvor hat er ein Wirtschaftsstudium abgebrochen und eine Milch-Lieferfirma aufgebaut. Zwanzig Jahre später leitet Groves einen Konzern, zu dem weltweit 2200 Kindergärten gehören. Er kontrolliert ein Viertel des australischen Marktes; auch in den USA, in Neuseeland und Großbritannien hat ABC Learning hunderte Kitas gekauft. Der größte Kindergarten der Welt ist entstanden.

Der Wohlstand des "schnellen Eddy"

Die Firma ist seit dem Jahr 2001 an der Börse notiert. Ihr Wert liegt Ende 2006 bei vier Milliarden australischer Dollar, das entspricht ungefähr 2,5 Milliarden Euro. Eddy Groves, der auch mit Anfang vierzig noch ein Milchgesicht hat, zählt zu den reichsten Leuten des Kontinents. Er reist im eigenen Flugzeug, er besitzt die Basketballmannschaft Brisbane Bullets und steigt, als die Zeitungen immer häufiger über den Wohlstand des "schnellen Eddy" berichten, vom Ferrari auf einen dezenteren BMW um. Eddys Vermögen wird im Jahr 2007 auf 300 Millionen australischer Dollar geschätzt.

Doch Ende Februar 2008 bricht der Aktienkurs des Kita-Konzerns ein. Die Banken, bei denen sich Groves viele Milliarden geliehen hat, zwingen den Vorstandschef, Millionen Aktien zu einem niedrigen Kurs abzustoßen; einen Teil erwirbt ein Staatsfonds aus Singapur. Nach diesen Verkäufen sieht Groves' Bilanz fürchterlich aus: Von der Firma, die er aufgebaut hat, gehört ihm fast nichts mehr. Zwanzig Jahre dauert der Aufstieg, zehn Tage der Absturz. "Das ging aber schnell, Eddy", spottet der Sydney Morning Herald.

Reichtum in anderen Dimensionen

Die Erfolgsgeschichte ist vorbei, doch Fragen bleiben: Wie wird man mit Kindergärten so reich wie Eddy Groves? Welche Rolle spielen Staat und Investoren bei Aufstieg und Absturz des Konzerns? Was taugt die Pädagogik von ABC Learning? Und: Ist eine solche Karriere auch in der Bundesrepublik möglich?

Der Einzelkämpfer. Eddy Groves wird im Juni 1966 als jüngstes von fünf Geschwistern in Südafrika geboren; sein Vater ist Soldat. 1970 zieht die Familie nach Queensland, Australien, um. Eddy beginnt nach dem College ein Wirtschafts-Studium, das er bald abbricht. Auch seinen Job in einer Bank gibt er auf und gründet eine Milch-Lieferfirma. Der Laden läuft, doch Eddy strebt nach Reichtum in anderen Dimensionen: Schon als Kind, erzählt er einem Journalisten später, träumt er von der großen Karriere. Doch während die meisten Menschen ihre Größenphantasien allmählich der Realität anpassen, bleibt Eddy seinem Traum treu. Er arbeitet nach eigener Einschätzung "immer doppelt so hart wie die anderen". Im Jahr 1986 heiratet er La Neve, eine Erzieherin. Zwei Jahre später eröffnen die beiden ihren ersten Kindergarten und erfinden den Namen ABC Learning.

Kinderbetreuung ist in Australien damals knapp und meist gemeinnützig organisiert. Der Auftritt von ABC Learning bricht mit dieser Tradition; das neue Unternehmen passt in eine Zeit, in der junge Mütter auf den Arbeitsmarkt drängen. Die Expansion läuft anfangs langsam, später rasant. 1998 gehören 22 Kindergärten zum Konzern; im Jahr 2001 sind es 43. Nun folgt der Börsengang, der weiteres Wachstum finanziert. Bald kauft ABC Learning die größten privaten Konkurrenten; in manchen Städten Australiens gibt es fast nur noch Kita-Plätze aus dem Hause Groves. Im Rückblick erkennt man das exponentielle Muster des Wachstums: Jedes Jahr verdoppelte ABC Learning die Zahl seiner Kitas - im Jahr 2007 sind es 2200 geworden.

Von staatlicher Regelungswut verfolgt

Ein Wirtschaftsmagazin setzt Eddy Groves im Jahr 2007 auf Platz 94 der Liste der reichsten Australier. Sein Auftreten ist rau; falls jemand anderer Meinung ist als er, droht Groves schon mal, ihn bei einer Diskussion "von der Landkarte zu pusten". Der Manager fühlt sich von staatlicher Regelungswut verfolgt. Er hat das Gefühl, keiner gönne ihm den Erfolg. Sein kindliches Gesicht tauge "in den Augen vieler nur als Dartscheibe", sagt er einmal.

Die Hilfe der Politik. Bis zum Ende der achtziger Jahre ließ sich in Australien mit Kinderbetreuung kaum Geld verdienen. Ausschließlich gemeinnützige Firmen erhielten Finanzhilfen vom Staat. Die wenigen privaten Firmen gehörten meist Frauen, die ein paar Kita-Plätze anboten und die Nischen füllten, in denen die Gemeinnützigen nicht präsent waren. Die Regierung des Labor-Politikers Bob Hawke erleichterte 1991 den Privaten die Arbeit: Auch sie erhielten nun staatliche Zuschüsse. Das sollte den Ausbau der Betreuung beschleunigen.

Die Strategie war, wie die nächsten Jahre zeigten, von dramatischer Wirksamkeit. Innerhalb von fünf Jahren verdreifachte sich die Zahl der kommerziellen Kita-Plätze; gemeinnützige Anbieter legten kaum zu. John Howards Regierung ging später noch weiter: Staatliche Zuschüsse für Betriebskosten von gemeinnützigen Kitas wurden komplett gestrichen; damit entfiel der letzte Vorteil, den diese noch hatten.

Auf der nächsten Seite: Wie sich die Rolle von Eddy Groves in der politischen Arena wandelte und welche Ängste Investoren plagen.

Vom Profiteur zum Propagandisten

Eddy Groves: Seine Karriere zeigt, wie schnell sich der Markt für Kinderbetreuung wandelt, wenn der Staat den Rahmen ändert. (Foto: Foto: oH)

Was dann folgte, haben die Australier "bonanza for business" genannt, eine Goldgrube für kommerzielle Anbieter. Zahllose gemeinnützige Kindergärten mussten schließen oder wurden verkauft; ein paar große Firmen rollten den Markt auf. Sie erworben Kitas in großem Stil; das Geld besorgten sie sich an der Börse. Anfangs schienen sich mehrere solcher Konzerne zu etablieren. Doch dann schluckte eine Firma nach und nach die großen Konkurrenten: ABC Learning.

Und die Rolle von Eddy Groves in der politischen Arena wandelte sich. Vom Profiteur der Politik wurde er zu ihrem Propagandisten. Den Jugendminister Larry Anthony, zwischen 2001 und 2004 im Amt, lobte Groves als "den besten Mann, den wir in dem Bereich je hatten". Fünf Monate nachdem Anthony seinen Sitz im Parlament verlor, holte ihn Groves ins "Board" seines Unternehmens, wo auch die frühere Oberbürgermeisterin von Brisbane, Sallyanne Atkinson, sitzt. Das seien keine Gefälligkeiten, betont Groves. "Ich brauche Larry nicht, um Kontakt zu Politikern zu bekommen. Den habe ich seit siebzehn Jahren selbst."

Der Zorn der Pädagogen. Wie gut ABC Learning die Kinder betreut, lässt sich schwer feststellen: "Unabhängige Wissenschaftler dürfen dort keine Studien machen", klagt Christine Woodrow, Professorin an der University of Western Sydney. Der Konzern gilt bei Gewerkschaftern und Forschern als aggressiv und klagefreudig, sobald Kritik laut wird. Immerhin gelang es Emma Rush vom Australia Institute, 600 Erzieherinnen im ganzen Land zu ihrer Arbeit zu befragen. Das Ergebnis fällt für große kommerzielle Anbieter schlecht aus: Dort klagt das Personal oft, zu wenig Zeit für die Kinder zu haben. Immer wieder sinke der Personalschlüssel kurzzeitig unter die gesetzlichen Vorgaben. Und bei der Frage, ob sie ihr eigenes Kind dort betreuen lassen würden, wo sie arbeiten, fielen die Antworten deutlich aus: In gemeinnützigen Kindergärten lehnten dies nur fünf Prozent ab; in den großen kommerziellen waren es 21 Prozent.

Die Ängste der Investoren

Offensichtlich, so resümieren australische Pädagogen, gibt es bei kommerzieller Kinderbetreuung einen Zielkonflikt: Ist das Unternehmen den Kindern verpflichtet oder den Aktionären? In den Werbekampagnen stellt ABC Learning das Wohl der Kinder heraus; im Jahr 2007 gab der Konzern 16 Millionen australische Dollar für Marketing aus. Doch im Jahr 2003 zog die Firma gegen den Bundesstaat Queensland vor Gericht, weil die Personalvorgaben für Mittagessen und Pausen zu hoch seien. Und als der Staat Victoria detailliert Auskunft verlangte, ob gesetzliche Standards in zwei Kitas eingehalten wurden, klagte ABC Learning erneut. Auf seiner Website verspricht der Konzern dagegen: "Wir lieben es, die Standards unserer Arbeit kontinuierlich zu verbessern."

Solche Strategien hat der Ökonom Gordon Cleveland gut beschrieben: "Für profitorientierte Kindertagesstätten lohnt sich ein Angebot, das hochwertig aussieht, aber minderwertig ist."

Wer innerhalb eines Jahres weltweit tausend Kindergärten kauft, benötigt Kapital. ABC Learning, der Liebling der Börse, lieh sich dafür zwei Milliarden australischer Dollar bei den Banken. Doch zunehmend tauchten Fragen auf: War der Einstieg auf dem US-Markt rentabel, obwohl die staatlichen Zuschüsse dort viel niedriger sind als in Australien? Der Konzern habe in den USA "eine Menge Geld versenkt", sagte ein Banker der Zeitung Sunday Age im Sommer 2007. Als ABC Learning im Februar 2008 bekanntgab, dass der Gewinn stark gesunken sei, stießen die Investoren massenhaft Aktien ab. Der Kurs sank blitzartig um fast die Hälfte.

Kita-Konzern mit hohem Gewinnstreben

Für Eddy Groves' Vermögensbilanz wäre dies schon ärgerlich genug. Doch er hatte außerdem sein eigenes Aktiendepot beliehen. Das Geld, das er dafür von den Banken erhielt, steckte er wieder in die Firma. Das kann sich in Zeiten steigender Kurse lohnen; fällt der Kurs stark, wird es fatal. Denn nun versucht die Bank, ihr Kapital zu retten. Im Fall von Groves zwangen die Banken den Konzernchef und seine Frau, zwanzig Millionen Aktien zu verkaufen - zu einem historisch niedrigen Preis. Der Unternehmensanteil, der Eddy Groves am 5. März noch blieb, hatte einen Wert von 4683 australischen Dollars. "Es war nicht der lustigste Tag meines Lebens", sagte Groves.

Die deutsche Frage. Die Karriere von Eddy Groves zeigt, wie schnell sich der Markt für Kinderbetreuung wandelt, wenn der Staat den Rahmen ändert. Vom einst gemeinnützigen System ist in Australien kaum noch etwas übrig; es dominiert ein Kita-Konzern mit hohem Gewinnstreben. "Es ist ein wunderbares Feld für internationale Investoren geworden", sagt Christine Woodrow. "Sie wissen, dass der Staat viel Geld ausgibt und dass Eltern, die dringend Kita-Plätze benötigen, einiges drauflegen." Könnte ein Gigant wie ABC Learning auch in der Bundesrepublik entstehen? Sobald der Staat auch kommerzielle Kitas finanziell fördert, fällt eine zentrale Hürde. "Jeder Staat sollte die Begleiterscheinungen dieser Strategie sorgfältig bedenken", rät Woodrow. "Zwar wird die Zahl der Plätze deutlich steigen, doch das Risiko ist groß, dass die Qualität sinkt."

Und falls ein Kita-Gigant in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, fürchten Eltern um die Sicherheit der Kinderbetreuung. In den ersten Tagen der Krise von ABC Learning sorgten sich mehrere Hunderttausend australische Familien, ob ihre Kita am nächsten Tag noch geöffnet wäre. Eddy Groves versicherte zwar, dass der Betrieb in Australien weiterginge, was sich bisher täglich bestätigte. Doch die unruhigen Zeiten sind nicht vorbei. Derzeit verhandelt Groves mit Morgan Stanley Private Equity über den Verkauf von US-Kindergärten; 750 Millionen Dollar soll der Deal bringen. Scheitern die Gespräche, fehlt dem Konzern Geld, um Schulden zurückzuzahlen. Die Börse würde das nicht goutieren. Und Eltern hätten erneut Grund zur Sorge.

© SZ vom 5.4.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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