Ernährungsmedizin:Obst auf dem Stundenplan

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Fettarm, salzarm, kalorienarm: Ernährungsmediziner zeigen ihren Patienten, wie man gesund lebt.

Ernst Weber

(SZ vom 17.11.2001) Gebrannte Mandeln waren Martin Schmieds Leibspeise. Auf jedem Jahr- oder Weihnachtsmarkt mindestens vier Tüten. Und auch sonst ernährte er sich in den ersten vier Jahrzehnten seines Lebens nicht gerade kalorienbewusst: Schweinebraten, Pommes, Weißwürste. Dazu ein paar halbe Bier oder eine Flasche Wein. Das üppige Essen sah man ihm an: 120 Kilo auf einen Meter 80. "Mineralwasser und Grünzeug kam bei uns nie auf den Tisch", sagt der verheiratete Versicherungsvertreter. Dann vor drei Jahren: ein Herzinfarkt - mit 38.

Männer wie Martin Schmied sind die typischen Patienten von Ernährungsmedizinern. Adipositas (Fettsucht) und andere ernährungsbedingte Krankheiten zu kurieren, ist das Hauptbetätigungsfeld dieser Mediziner.

In Einrichtungen, wie der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (Freiburg), können sich Ärzte zum Ernährungsmediziner weiterbilden. 3000 Mark kostet der 100 Stunden umfassende Lehrgang dort.

An den Universitäten dagegen wird in der Ärzteausbildung das Thema "Ernährung" noch recht stiefmütterlich behandelt. Und das, obwohl die meisten unserer heutigen Zivilisationskrankheiten maßgeblich durch falsche Ernährung bedingt sind. Die Krankenkassen kostet das jedes Jahr mehrere Milliarden Mark. "Würde sich unsere Gesellschaft gesünder ernähren, ließen sich enorme Kosten sparen", so der Ernährungsmediziner Johannes Wechsler. "Doch dann würden auch die Pharmakonzerne wesentlich weniger verdienen."

Kochkurs statt Pille

Ärzte wie Johannes Wechsler, der an einer Münchner Klinik arbeitet, stehen Abführmitteln, Appetitzüglern und vermeintlichen Wunderpillen kritisch gegenüber. Sie versuchen in erster Linie das Verhalten ihrer Patienten zu ändern.

"Wenn Sie so weitermachen wie bisher", bekam beispielsweise Martin Schmied in der Reha-Klinik zu hören, "dann haben Sie bald den nächsten Infarkt, leiden in ein paar Jahren an Diabetes oder leben gar nicht mehr". Der Ernährungsmediziner schickte Martin Schmied nicht in die nächste Apotheke, sondern in einen Kochkurs. Dort wurde ihm beigebracht, wie man gesund kocht: möglichst fettarm und mit wenig Salz, denn zu viel Salz verursacht Bluthochdruck . "Sechs Gramm pro Tag sind völlig ausreichend, die meisten Menschen in Deutschland nehmen aber 15 Gramm und mehr pro Tag zu sich", so Bertil Kluthe, Ernährungsmediziner an der Klinik Bad Rippoldsau (Baden- Württemberg).

In der Reha-Klink absolvierte Schmied aber nicht nur Kochkurse, sondern hörte auch Vorträge über Lebensmittel. Seitdem meidet der ehemalige Stammgast amerikanischer Fastfoodketten Cola und andere stark zuckerhaltige Getränke, begnügt sich mit einem Glas Wein am Abend und trinkt Fruchtsäfte. Auch auf seine geliebten Süßigkeiten versucht er zu verzichten. "Fällt allerdings verdammt schwer", sagt Martin Schmied.

Grünzeug ohne Geschmacksverstärker

Gewohnheiten zu ändern, ist schwer. Ernährungsmediziner arbeiten deshalb eng mit Verhaltens- und Bewegungstherapeuten zusammen. Gemeinsam versuchen sie, den Patienten zum Sport zu animieren und ihm gesunde Ernährung schmackhaft zu machen.

"Wasser statt Cola, Früchte statt Weißwürste, Salat statt Pommes - die Umstellung war hart", so Martin Schmied. "Vor allem das Grünzeug schmeckte ziemlich langweilig am Anfang". Diesen Eindruck haben viele Fastfood-Junkies und Anhänger der deftigen "gutbürgerlichen" Küche, die auf eine gesündere Ernährung umstellen wollen. Denn salzarme und weitgehend naturbelassene Speisen haben meist keinen so intensiven Geschmack wie ein fetter Schweinebraten oder industriell hergestellte Nahrungsmittel. Diese sind oft auch noch mit Geschmacksverstärkern angereichert.

Große Versuchung

"Nach ein oder zwei Wochen haben sich unsere Patienten in der Regel aber an die vollwertige Nahrung gewöhnt", versichert Bertil Kluthe von der Reha-Klinik Bad Rippoldsau. Verlassen die Patienten die Klinik, muss die Therapie meist ambulant bei einem Ernährungsmediziner fortgesetzt werden, damit alte Essgewohnheiten im Alltag nicht wieder einreißen. "Langfristig überlebt in unserer Überflussgesellschaft nur, wer Selbstdisziplin aufbringt und verzichten lernt", sagt Johannes Wechsler.

Mit der Selbstdisziplin ist das jedoch so eine Sache. Vor ein paar Wochen war Martin Schmied auf dem Oktoberfest. Vier Tüten gebrannte Mandeln hatte er am Ende des Abends verspeist. Dazu Zuckerwatte, eine Mass Bier und ein Grillhendl. "Essen wie in alten Zeiten", Martin Schmied war glücklich. Doch das währte nur kurz. Das viele Fett, der Zucker, das Salz. Schmieds Körper war das nicht mehr gewöhnt. Der Magen rebellierte. Schmied schaffte es nicht einmal mehr bis zur nächsten Toilette. Seitdem wird ihm schon schlecht, wenn er gebrannte Mandeln nur riecht.

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