Einkommen:Gefühlte Gerechtigkeit

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Bei Löhnen und Gehältern gelten ähnliche Gesetze wie am Familientisch: Die meisten Kinder gönnen Papa das größte Stück Fleisch. Aber wenn der kleine Bruder mehr Pudding bekommt, sind sie sauer.

Alexandra Borchardt

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann kassierte 11,9 Millionen Euro, Ex-Daimler-Chrysler-Lenker Jürgen Schrempp ging mit etwa zehn Millionen Euro nach Hause und selbst Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber, der am schlechtesten bezahlte Kapitän eines Dax-Unternehmens, musste dem Finanzamt 2005 noch 1,3 Millionen Euro Jahresgehalt melden.

Wenn der andere mehr bekommt, ist das Gefühl der Ungerechtigkeit groß. (Foto: Foto: Photodisc)

Bei solchen Summen wird mancher zum Neider, aber es gibt noch Genügsame: Etwa jeder zweite Deutsche fühlt sich für seine Arbeit angemessen bezahlt, wie eine Umfrage des Forsa-Instituts ergab. Das Ergebnis erstaunt jeden, der öfter die Firmenkantine besucht. Denn eigentlich gehört doch die Klage über das Gehalt zum Büroritual wie jene über verspätete S-Bahnen oder den Chef, der einen mal wieder über nichts informiert hat.

Was die Beschwerdeführer umtreibt, erfahren wir von Forsa nicht. Wir lernen nur, dass unter ihnen der Anteil der Arbeiter und Angestellten mit 52 und 51 Prozent am höchsten ist, während nur 36 Prozent der Beamten und 30 Prozent der Selbstständigen finden, dass ihre Leistung mehr wert wäre.

An der Höhe der Einkommen kann dies nur bedingt liegen. Denn Unternehmer ist auch der Döner-Mann. Und der Polizist, der zuweilen sein Leben riskiert, geht mit moderatem Salär nach Hause, während Top-Manager zu den Angestellten zählen.

Gehalt ist nämlich vor allem eines: gefühlte Gerechtigkeit. So gelten bei der Entlohnung ähnliche Gesetze wie am Familientisch. Die meisten Kinder finden es in Ordnung, wenn Papa das größte Stück Fleisch bekommt. Aber wenn die Portion Schoko-Pudding für den kleinen Bruder größer ausfällt als die eigene, werden sie sauer.

Übersetzt heißt das: Gewöhnlich hat niemand etwas dagegen, wenn der Chef mehr verdient als man selbst. Aber auch der Manager mit 200.000 Euro brutto schäumt, wenn sein doppelt so gut vergüteter Vorgesetzter sich Freitagmittag zum Golf-Wochenende verabschiedet, er selber aber rund um die Uhr Rede und Antwort stehen soll. Dagegen können Betriebe, in denen schlecht bezahlt wird, hoch motivierte Mitarbeiter haben, wenn diese die Arbeit als befriedigend empfinden und das Klima stimmt.

Selbstständige sind tendenziell zufriedener mit ihrem Einkommen, weil sie den Geldfluss steuern können und nicht darüber grübeln, ob der Kollege der Firma wohl mehr wert ist. Denn Status zählt. Nach Erkenntnissen von Wissenschaftlern beeinflusst er sogar Gesundheit und Lebensdauer, heißt es in einem Interview des Wirtschaftsmagazins Brand eins mit dem britischen Mediziner Sir Michael Marmot, der seit 30 Jahren zu dem Thema forscht.

Beim Vergleich der wohlhabenderen Länder fand er zwar keinen Zusammenhang zwischen Pro-Kopf-Einkommen und Lebenserwartung, sagt aber: "Obwohl die absolute Höhe des Einkommens kaum eine Rolle spielt, ist das Einkommen dennoch wichtig, weil es die Position eines Menschen innerhalb einer Hierarchie anzeigt."

Wer über Gehälter entscheidet, sollte sich deshalb bei Vertragsverhandlungen nicht nur an den Einkommensvorstellungen der Bewerber orientieren. Wichtig ist, dass sich die Bezahlung mit Kriterien wie Berufserfahrung, Können, Anforderungen der Position und Nachfrage nach dem Job begründen lässt und sie das Gehaltsgefüge der Abteilung nicht sprengt. Ein (zu) teuer eingekaufter Star wird schnell noch teurer, wenn seinetwegen wichtige Mitarbeiter die Lust an der Arbeit verlieren.

© SZ vom 10.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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