Diskriminierung:Eine muss sich ja mal wehren

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Eine kleine Versicherungsfachfrau liefert sich ein Gefecht mit einem Konzern mit Milliardenumsatz und einem Haufen Juristen: Sie verklagt ihren Arbeitgeber wegen Diskriminierung auf 500.000 Euro Schadensersatz.

Roland Preuß

Es klingt wie ein Durchmarsch bei der Ratesendung "Wer wird Millionär?": Sule Eisele könnte am Ende mit einer halben Million Euro dastehen. So viel Schadensersatz, haben ihre Anwälte errechnet, müsse ihr Arbeitgeber mindestens zahlen - wegen Geschlechtsdiskriminierung. Eisele aber sagt, selbst wenn es so kommen sollte: "Alles was passiert, wird kein Aufstieg sein." Sie hat sich eingelassen auf ein Gefecht gegen einen der großen Versicherer in Deutschland, die R+V, einen Konzern mit Milliardenumsatz und einem Haufen Juristen - eine kleine Versicherungsfachfrau verklagt einen Goliath. Am kommenden Montag trifft man sich in Wiesbaden erstmals vor Gericht.

Familie Eisele: Der Presserummel verbrennt ihren Namen in der Branche und wohl auch darüber hinaus. (Foto: Foto: Preuß)

Das Unglück, sagt die Deutsch-Türkin, begann im April 2007. Da habe der Chef ihr im achten Schwangerschaftsmonat ihren Nachfolger vorgestellt, obwohl Eisele nach einigen Wochen Mutterschutz zurückkommen wollte als Beraterin in die Volksbank im oberschwäbischen Bad Saulgau. Dort verkaufte sie Versicherungen des Volksbank-Partners R+V. Ihr Chef aber habe sie in Elternzeit drängen wollen. Sie bestand auf ihrer Stelle. Die 38-Jährige erzählt von einem Zusammenbruch: Sie habe Angst gehabt um ihr Kind und sei sofort zum Frauenarzt gegangen. Weitere Gespräche mit ihren Chefs seien erfolglos geblieben. Diese hätten ihr eine Stelle im nahen Bad Schussenried angeboten, was man sich als eine Art Sibirien der Branche vorstellen müsse, wo es nicht viel zu verdienen gebe. Da wollte sie nicht hin.

Absahner oder Vorkämpfer

Es kam also zu einem Briefwechsel der Anwälte und Ende Januar zur Klage - die erste, in der jemand ein Unternehmen offen auf eine derart hohe Summe nach dem neuen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verklagt. Eisele ist gut munitioniert, sie hat Briefe vom Chef, die ihr eine "tolle Arbeit" bescheinigen und Unterlagen, die den Stimmungswandel ihres Arbeitgebers während ihrer Schwangerschaft dokumentieren. Die R+V-Versicherung erklärt indes, sie wolle sich zum laufenden Verfahren nicht äußern.

Der Betrag 500.000 Euro ist nicht aus der Luft gegriffen, das zeigt nicht nur die mehr als 100 Seiten lange Klageschrift ihrer renommierten Anwälte. Das deuten sogar interne Unterlagen der R+V an, die selbst Versicherungen gegen Diskriminierungsstrafen verkauft. Einem Leitfaden zufolge sollen R+V-Berater ihre Kunden darauf hinweisen, dass wegen Geschlechts-Benachteiligung im Arbeitsleben ("auch Schwangerschaft und Mutterschutz") ein hohes Schmerzensgeld droht. Es müsse hoch genug sein, um den Arbeitgeber abzuschrecken - also auch hoch genug, um einem Versicherungskonzern unangenehm aufzufallen.

Seit die SZ über die Klage berichtete, kommen immer wieder Kamerateams in das Reihenhaus am Rande der Kleinstadt Bad Saulgau. Und in den Berichten, die nach dem Besuch entstehen, schwingt die Frage mit, ob die Eiseles nun Absahner sind oder Vorkämpfer für Gleichberechtigung. Was treibt die Familie wirklich an? Spielt es eine Rolle, dass Eisele eingebürgerte Türkin ist und eigentlich Eisele-Gaffaroglu heißt? Sie selbst sagt: Bei einer Deutschen hätte die Versicherung das nicht so durchgezogen.

Auf der nächsten Seite: Sule Eisele fürchtet um ihre Existenz - woher sie die Kraft für eine Klage nimmt.

Sitzt man im Wohnzimmer der Eiseles, dann kann man sich das nicht so recht vorstellen. Zwischen modernen Wohnzimmerschränken erinnert allenfalls ein rotes Büchlein mit Halbmond an die Türkei. Der Lebenslauf der Mutter ist ein Vorbild an Integration: Mit zwei Jahren kam sie mit ihren Eltern nach Deutschland, studierte Germanistik, heiratete einen Deutschen, fing bei der Allianz an und verdiente zuletzt gut 4000 Euro bei der R+V. Am Telefon meldet sie sich mit "Eisele" - ohne Gaffaroglu. Ihre kleine Tochter Talisa nennt sie Moppele.

Versicherungen verkaufen, das ist ein harter Job mit vielen Außenterminen, und was zählt, ist die Summe der abgeschlossenen Verträge. Sieht man sich ihre Gerichtsdokumente an, drängt sich der Eindruck auf, ihre Chefs hätten um diesen Umsatz gebangt. Bringt eine Mutter zweier Kinder eine geringere Leistung? Der Gesetzgeber gibt mit dem Diskriminierungsverbot seit Sommer 2006 eine Antwort: Frauen dürfen wegen einer Schwangerschaft nicht benachteiligt werden. Eisele wollte weiter die Termine wahrnehmen, dann sollte sich ihr Mann um die Kinder kümmern, zwischendurch wollte sie die Kleine stillen.

Der Presserummel, das weiß sie, verbrennt ihren Namen in der Branche und wohl auch darüber hinaus. Selbst wenn ein Chef Verständnis für ihre Klage haben sollte - welcher Unternehmer möchte schon das Risiko eingehen, so jemanden einzustellen? Das wusste Eisele vorher. Wieso also zieht sie trotzdem vor Gericht? Ihre Karriere, glaubt sie, war sowieso dahin. Hätte sie sich versetzen lassen, hätte sie kaum noch Verträge abschließen können.

Ihre Unbeugsamkeit hängt mit ihrem Mann zusammen. Der Bibliotheksangestellte hat bereits eine Degradierung hinter sich, ließ sich beurlauben und erhielt eine Abfindung. Eine lange Geschichte, die bei Josef Eisele Spuren hinterlassen hat: Er leidet an Diabetes, zugleich will er für sein Recht kämpfen. Ihn alarmierten die Erlebnisse seiner Frau; er begleitete sie zum Gespräch mit ihrem Chef und kümmerte sich um Anwalt, Dokumente und Klageschrift. Und Sule Eisele erinnerte der eigene Fall an das Schicksal ihres Mannes. "Ich hätte ja auch klein beigeben und depressiv werden können."

Ohne Sule Eiseles Mann wäre es wohl nie zur Klage gekommen. Es braucht Kraft, sich mit den Dokumenten der eigenen Degradierung immer wieder zu beschäftigen. Kraft, die sie nicht habe, sagt Eisele. "In der Regel haben die Leute nicht die Nerven, sich zu wehren", bestätigt Christina Frank, die bei der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart arbeitet. Frank berichtet, wie häufig Frauen bei Volks- und Raiffeisenbanken benachteiligt würden, lauter Fälle, die bei ihr auf dem Schreibtisch gelandet seien. Letztlich, sagt Eisele, sei es eine Frage des Typs: "Einer muss ja mal aufstehen."

Der Fall wird ihr wohl noch viel Stehvermögen abverlangen. Die R+V kann durch die Instanzen klagen, und es ist unklar, ob sie Schadensersatz bekommen wird: Schließlich ist sie der Präzedenzfall. Und die Eiseles müssen mit dem Verdacht leben, sie wollten nur eine halbe Million absahnen. Neulich rief jemand von der Bild-Zeitung an. Die Frau, sagt Eisele, habe wissen wollen, was die Familie mit dem vielen Geld vorhabe.

© SZ vom 16.2.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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