Diplomatenaustausch zwischen Berlin und Paris:Diener zweier Herren

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Wie ein deutscher Legationsrat für einige Jahre französische Außenpolitik mitgestaltet.

Gerd Kröncke

(SZ vom 21.6.2001) Paris - Als der bosnische Botschafter in Paris zu einem Besuch im französischen Außenministerium am Quai d'Orsay vorspricht, nimmt er es gelassen hin, nicht von der Spitze des Hauses empfangen zu werden. Da ihm aber daran gelegen ist, auch zur Arbeitsebene Kontakte zu pflegen, tauscht er sich mit einem Chargé de mission aus. Er bedankt sich für all das, was Frankreich für und in Bosnien getan hat, und der Beamte, der den Dank entgegennimmt, legt den Akzent darauf, dass die Solidarität ja auch eine europäische Dimension habe, und dass Frankreich und die EU weiterhin Hilfe leisten würden. Vielleicht hat sich der Botschafter über den Namen Peter Prügel gewundert, aber wahrscheinlich hat er sich nicht klar gemacht, dass ihn ein deutscher Beamter empfangen hat.

Peter Prügel, 42 Jahre alt, vortragender Legationsrat, ist formal bei der deutschen Botschaft in Paris angestellt und wird von Deutschland besoldet; aber seit August vorigen Jahres arbeitet er für zwei, möglicherweise drei Jahre im französischen Außenministerium. "Meine Loyalität gilt dem Außenminister Hubert Védrine", sagt der Diplomat, der täglich zum Quai d'Orsay zur Arbeit geht und die Kontakte zur eigenen Botschaft auf das Notwendigste reduziert hat.

Ein kühner Gedanke

Für frühere Generationen wäre dies eine atemberaubende Vorstellung gewesen: Ein deutscher Beamter verrichtet sein Tagwerk "im Quai". Doch inzwischen ist es fast Normalität, ebenso wie umgekehrt: auch im Berliner Auswärtigen Amt dient derzeit wieder ein französischer Beamter dem deutschen Dienstherrn.

Auf einem deutsch-französischen Gipfel - Bonn war noch Regierungssitz und in Paris hatte François Mitterrand seine erste Amtszeit noch nicht beendet - war im Februar 1986 in Paris ein Personalaustausch verabredet worden, der später in einer "völkerrechtswirksamen Vereinbarung" zwischen dem Außenamt und dem Quai seine rechtliche Grundlage fand. Die Praxis machte Schule, inzwischen gibt es ähnliche Programme auch mit EU-Partnern wie Großbritannien und Italien und mit dem großen Nato-Bruder USA. Doch am intensivsten bleibt der Austausch mit Frankreich. Rund hundert Diplomaten haben inzwischen daran teilgenommen.

Veteranentreffen

Fast die Hälfte von ihnen trafen sich am Dienstag im französischen Außenministerium zu einem Erfahrungsaustausch. Ein bisschen Nostalgie war wohl auch dabei, besonders als die Veteranen sich erinnerten.

Zum Beispiel wenn Dominique Lassus, später Generalkonsul in Hamburg, aus seinen Bonner Jahren berichtete. Im deutschen Auswärtigen Amt in Bonn war der Franzose ab 1987 für die Beziehungen zur DDR im internationalen Umfeld zuständig, und wenn ein DDR- Vertreter um einen Gesprächstermin im Außenamt nachsuchte, führte kein Weg an ihm vorbei. Die DDR-Diplomaten hat das seinerzeit sehr irritiert, "sie konnten es einfach nicht begreifen".

Informelles Netz

Der Beamte Peter Prügel hatte sich schon früh Richtung Frankreich orientiert, hatte neben Politikwissenschaft auch Französisch studiert, war ein Jahr lang als Deutschlehrer an einem französischen Gymnasium gewesen, und schließlich als Stipendiat auch an der ENA, jener berühmten Ecole nationale d'administration, an der die französische Elite ausgebildet wird. Wer dort gewesen ist, trifft immer wieder auf Jahrgangskameraden, gehört zu einem informellen Netz.

Politiker, die ihren Schliff in der ENA erhalten haben, wissen, wie der Kollege tickt, den sie vom Studium kennen, und manchmal werden auch Freundschaften geknüpft. Peter Prügel hat eine ENA-Kommilitonin als Trauzeugin gehabt, und wenn auch nur ein gutes Dutzend seiner Jahrgangskameraden in den diplomatischen Dienst ging, bleibt doch immer die Chance, da, wo man auf Posten ist, einen alten ENA-Freund wiederzutreffen.

Generalistenprinzip

Eigentlich arbeitet der Auswärtige Dienst nach dem "Generalistenprinzip": Jeder kann alles und kann überall hingeschickt worden. Ausnahmen gelten bei einigen Feldern, etwa wenn ein Beamter eine schwierige Sprache gelernt hat, oder wenn das Sachgebiet frühe Spezialisierung verlangt, zum Beispiel im EU-Bereich oder bei der Abrüstung.

Bei den meisten ist die Karriere kaum zu planen, und Prügel hatte nach Jahren in Belgrad auf längere Verwendung in der Heimat gehofft. Er landete am Quai d'Orsay. Es ist nicht so, dass sich junge Diplomaten danach drängten, doch wem es angeboten wird, der greift gern zu.

Kulturschock

Gewöhnt an die Techniken des Auswärtigen Amtes erleben die Deutschen bisweilen einen gewissen Kulturschock. "Der wichtigste Unterschied liegt in der Arbeitsweise", sagt Prügel. In Berlin hat man sich an klare Zuständigkeiten gewöhnt, jeder weiß, wo er sich innerhalb der Hierarchie und auf dem "Vorlagen-Weg" befindet. In Paris läuft vieles eher informell. "Die Position, die man hat, hängt sehr davon ab, wie man sich positioniert."

Zu Beginn hatte Prügel seine Probleme, sich sein Netz von Kontakten aufzubauen. Er hatte wahrgenommen, dass manches an ihm vorbeilief, wo er es doch gewohnt war, dass jeder Vorgang einen bestimmten Weg geht und von jedem Mitleser abgezeichnet wird. Wenn in Deutschland einer übergangen wird, bringt er sich in Erinnerung: "Denken Sie doch bitte nächstes mal daran ..." Am Quai d'Orsay basiert die Kommunikation eher darauf, dass Informationen nicht auf dem Dienstwege gebracht sondern in persönlichen Kontakten eingeholt werden. Es läuft mehr mündlich, informell, ohne gleich als Aktenvermerk fixiert zu werden. Andererseits kann es leichter als in Deutschland passieren, sagt ein Quai-Beamter, "dass eine Akte verschwindet, ohne dass es einer merkt".

Gut gelitten

Die Beamten im Austausch sind keine Hospitanten, sie nehmen vollwertige Arbeitsplätze ein. Weil sie aber keine direkte Konkurrenten sind, niemandem bei der Beförderung im Weg stehen können, sind sie im Allgemeinen gut gelitten. Prügel untersteht als Balkan-Experte der Direction de l'Europe continentale. Er arbeite, sagt er, in einem durchaus sensiblen Bereich, und er hat Einblick in Vorgänge, von denen er weiß, "dass ich sie nicht gleich nach Berlin weitergebe". Er glaubt zwar nicht, dass ihm Dinge vorenthalten würden, aber mehr als in Deutschland werden ganz vertrauliche Vorgänge nur mündlich weitergegeben.

Was die Wahrnehmung der Arbeitsweise angeht, scheint manches eine Sache der Mentalität zu sein. Deutsche Beamten empfinden die Hierarchie in Paris stärker, schon der Ton sei formeller. Ein früherer Botschafter bleibt immer "Monsieur Ambassadeur", auch wenn er längst zurück am Quai d'Orsay ist. Französische Beamte erleben ihrerseits die Hierarchie in Berlin als besonders stark, weil etwa ein Referent keinen leichten Zugang zum Abteilungsleiter hat, vom Minister gar nicht zu reden.

Trotzdem, "je tiefer man schürft, um so mehr Gemeinsamkeiten entdeckt man", sagt Prügel, und ein französischer Diplomat bringt es auf die Formel: "Vieles unterscheidet sich, doch das Ergebnis ist immer gleich." Man macht Vermerke, Sprechzettel, Vorlagen, und wenn die beiden Außenminister sich treffen, dann wissen sie, wovon sie reden, weil ihre jeweiligen Häuser sie nach ihren Gepflogenheiten vorbereitet haben.

In den 15 Jahren haben die Beamten den Fortschritt der Normalität erlebt. Peter Prügel war neulich mit der Delegation seines Außenminister, Hubert Védrine, in Sarajewo und Skopje. Da saß er, der Bosnien-Experte, auf französischer Seite. Wenn die örtlichen Gastgeber merkten, dass einer mit deutschem Diplomatenpass dabei war, dann hat das sehr beeindruckt. "Dass es möglich ist, was da zwei altverfeindete Nationen machen, da müssen manche noch schlucken."

Eine atemberaubende Vorstellung für frühere Generationen: Deutschland und Frankreich, zwei einst bitter verfeindete Nationen, wachsen zusammen. Inzwischen ist es fast schon Normalität, wenn deutsche Beamte zum Quai d'Orsay in Paris und Franzosen ins Auswärtige Amt in Berlin zur Arbeit gehen.

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