Digitales Hochschul-Management:Chaos auf dem Campus

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Die Umstellung auf Bachelor und Master hat den Verwaltungsaufwand für die Unis vervielfacht. Um der Datenflut Herr zu werden, behelfen sie sich mit Online-Managementsystemen. Doch die produzieren nur eines: Chaos.

Julia Bönisch

Die Studenten der Universität Passau wundern sich: Mal haben sie zu viele Credit Points auf ihrem Studienkonto, mal zu wenig. Mal sind ihre Noten besser als es der Professor sagt, mal sind sie schlechter. Und ab und zu tauchen völlig fachfremde Seminare unter ihren Namen auf. Was hat ein Philosophie-Student in einer Veranstaltung für Informatiker verloren?

Selbstverwaltung online: Studenten im Rechenzentrum. (Foto: Foto: dpa)

In Passau arbeitet die Universität mit einem Campus-Management-System namens Hisqis, das auch zahlreiche andere Hochschulen in Deutschland einsetzen. Das Onlineangebot soll das Leben der Studenten erleichtern und den Verwaltungsaufwand der Uni verringern.

Die Hochschüler können sich in Hisqis für Seminare anmelden, ihre Studienkonten verwalten oder ihre Prüfungsnoten einsehen. Dazu erhalten sie nach ihrer Immatrikulation Benutzernamen und Passwort, danach läuft alles online. Hisqis ersetzt das Prüfungsamt, im virtuellen Campus sollen sich die Studenten selbst verwalten und organisieren. Nur die Prüfungsaufgaben müssen noch andere stellen, alles Übrige erledigt das System.

Die Unis profitieren von dem Online-Management. Die Umstellung auf Bachelor und Master, modularisierte Studiengänge, die Einführung von Gebühren und Credit Points haben den administrativen Aufwand enorm in die Höhe getrieben. Statt den Apparat aufzublähen, haben sich die Hochschulen eben mit Software beholfen. Ein guter Gedanke - nur: Das System funktioniert oft nicht so wie geplant.

Das Studienbuch ist abgeschafft, Scheine ebenfalls

Der Studentin Susanne G. etwa fehlten für die Zulassung zum Bachelor plötzlich wichtige Credit Points, obwohl sie alle nötigen Veranstaltungen erfolgreich absolviert hatte. Als sie das im System bemerkte, war es jedoch schon zu spät. "Wir konnten noch nicht einmal rekonstruieren, wo genau der Fehler passiert ist. Klar war nur: Mir fehlen die nötigen Punkte."

Einmal im System, war die falsche Information im Nachhinein unmöglich zu korrigieren - auch deshalb, weil die Studenten mit Hisqis nichts Schriftliches mehr in die Hände bekommen. Das Studienbuch ist abgeschafft, Scheine ebenfalls. Alles ist online, und steht im Netz einmal eine Angabe, können Studenten kaum noch das Gegenteil beweisen. Jetzt muss Susanne ihre Bachelor-Arbeit nach der Abgabe in einer mündlichen Prüfung verteidigen und so die fehlenden Credit Points wieder hereinholen.

"Eigentlich ist das System, so wie es gedacht ist, praktisch und vereinfacht vieles", sagt die Passauer Studentin. "Aber hier weiß keiner so genau, wie das funktioniert." Vor allem dann, wenn plötzlich andere Noten im System auftauchen als sie der Professor eigentlich vergeben hat. "Ist die Note schlechter, hat der Student ein ernstes Problem", erzählt sie. "Ist sie aber besser, beschwert sich natürlich keiner. Da fragt man sich schon, ob das alles fair ist."

Auf der nächsten Seite: Wie die digitalen Verwaltungssysteme Abschlussnoten beeinflussen.

Abrücken will die Uni von ihrem virtuellen Verwaltungsportal trotz der Probleme nicht, sagt Pressesprecher Thoralf Dietz. Schließlich hat die Uni viel Geld in das System investiert. Für Software-Hersteller tut sich hier ein lukrativer Markt auf, denn zahlreiche Hochschulen in Deutschland haben die Umstellung auf den digitalen Campus noch vor sich. Momentan teilen sich vier große Anbieter den Handel nahezu unter sich auf: Microsoft, das Hamburger Unternehmen Datenlotsen, SAP und die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), die Passau ausstattete.

Mit dem HIS-System hat auch die Freie Universität Berlin (FU) schon ihre Erfahrungen gemacht. Das System war so katastrophal, dass nicht nur Studenten, sondern auch Professoren Sturm liefen. Informatik-Dozenten beschwerten sich über miserable Programmierung und unnötige Fehler. Wollte ein ehemaliger Student drei Jahre nach seinem Abschluss etwa noch einmal ein Zeugnis für eine Bewerbung ausdrucken, stand dort plötzlich eine völlig andere Note. Nach mühsamer Recherche fanden die Fachleute heraus: Das System hatte Änderungen in der Prüfungsordnung automatisch übertragen, obwohl sie für ehemalige Studierende überhaupt nicht relevant waren.

Auch aus datenschutzrechtlicher Hinsicht war das Modell ein Desaster. "Es war überhaupt nicht sicher, dass die Angaben der Studenten unter Verschluss blieben. Vertraulichkeit und Tranzparenz konnten mit HIS einfach nicht gewährleistet werden", sagt die Datenschutzbeauftragte der FU, Ingrid Pahlen-Brandt. In ihrer Not wandte sie sich an den Datenschutzbeauftragten der Stadt Berlin, der ebenfalls Druck auf die Uni ausübte. Das Kuratorium der FU kippte schließlich das System. HIS weist die Schuld für Probleme von sich und macht die Unis verantwortlich. "Angriffe auf den Datenschutz sind nur möglich, wenn die Hochschulen ihre Systeme schlecht konfigurieren", sagt Martin Klingspohn, der bei HIS für die Software zuständig ist. Dennoch trennte sich die FU von HIS und arbeitet nun mit einem SAP-System. Damit müssen sich die Studenten heute herumschlagen.

"Aber auch hier war der Start ziemlich holprig", sagt David Gutzmann vom AStA der FU. So sei das An- und Abmelden zu Veranstaltungen zu Beginn technisch nicht möglich gewesen. "Deshalb stapelten sich im Prüfungsamt Berge von Papier - obwohl das System ja eigentlich dazu gedacht war, diese Papierberge zu vermeiden oder abzubauen."

Mittlerweile haben sich die Studenten jedoch mit dem Online-Management ihres Studiums abgefunden, obwohl noch immer Pannen passieren. So finden sich BWL-Studenten, die eine Vorlesung zu Investition und Finanzierung belegen wollen, plötzlich in einem Seminar zur Wetterdiagnose für Meteorologen wieder.

Auf diese Weise werden die Studenten tatsächlich noch zu Generalisten ausgebildet, die mobil und flexibel zwischen den Bildungsgängen wechseln - genau so, wie es das Ziel des Bologna-Prozesses ist.

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