Die neuen Gastarbeiter:Zur Sonne, nicht zur Freiheit

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Wer in Spanien arbeiten will, muss auf viele Gewohnheiten verzichten.

Christine Demmer

(SZ vom 19.7.2003) Die Deutschen lieben die spanischen Strände. Zumindest, wenn sie sauber sind und niemand ihnen den Lieblingsplatz streitig macht. Viele haben sogar ein Häuschen an irgendeiner Costa oder auf einer der Inseln und träumen davon, eines Tages ganz in den Süden überzusiedeln. Ahora, warum nicht jetzt schon in Spanien für die Rente arbeiten? Ganz einfach: Weil es schwer ist. "Um als Ausländer von einem spanischen Unternehmen überhaupt in Betracht gezogen zu werden, muss man neben perfektem Spanisch irgendwelche besonderen Fähigkeiten nachweisen können, die hiesige Arbeitssuchende nicht besitzen."

Mit einem einzigen Satz erstickt Kai S. so manche in Sangría-Laune erwachte Hoffnung auf einen Arbeitsplatz an der Sonne. Das Land leidet unter einer hohen Arbeitslosigkeit, so dass allenfalls ausländische Spezialisten und Saisonkräfte im Tourismus mit einem Job rechnen können.

Glückliche Fügung

High Potentials werden weder systematisch gesucht, noch besonders gefördert; Zeitarbeitsverträge und geringe Einstiegsgehälter für Berufsanfänger sind die Regel. Noch immer Illusionen? S. warnt: "Auch Praktikanten können meist nicht darauf hoffen, Einblicke in verschiedene Geschäftsbereiche mit persönlicher Betreuung zu bekommen. Sie werden oft als schlecht oder überhaupt nicht bezahlte Arbeitskräfte für repetitive Tätigkeiten eingesetzt."

Vor diesem Hintergrund fügte es sich glücklich für Kai S., der in den USA Wirtschaft und in Deutschland Jura studiert hatte, dass ihn gleich sein erster Arbeitgeber nach Madrid schickte. Nach der Doktorarbeit begann er als Berater im Berliner Büro von McKinsey. "Die haben mir 1999 den Wechsel ins spanische Büro ermöglicht", sagt er. "Ich wollte aus familiären Gründen dorthin. Aber ohne diese Hilfe wäre ich wohl immer noch in Deutschland." Nach einem kurzem Intermezzo als Start-up-Unternehmer trat der heute 34-Jährige in den Internet-Bereich der "Banko Banesto" als Direktor für New Business Development und Leiter des Online Brokers ein. Er soll neue Kunden für die Bank gewinnen und bestehende ans Unternehmen binden.

Wo jeder seinen Platz hat

Deutsche Kollegen kennt er kaum. "Die sind in rein spanischen Unternehmen äußerst selten", sagt S.. "Und ich habe aber auch, ehrlich gesagt, keinen Kontakt gesucht. Die Deutschen in Madrid sind entweder Studenten oder Jungakademiker, die Auslandserfahrungen sammeln wollen. Sie treffen sich in Sprachkursen, Vorlesungen und im Nachtleben." Die Langzeitdeutschen hingegen tendierten dazu, sich schnell in die spanische Gesellschaft zu integrieren.

"Selbst wenn die Spanier andere Sprachen beherrschen, ist es ihnen meist peinlich, diese anzuwenden", sagt S.. Daher sind perfekte Spanisch-Kenntnisse für Ausländer unabdingbar. Solange Spanisch gesprochen werde, sei die Zusammenarbeit mit den Kollegen unproblematisch und angenehm. "Deutschland galt bisher als wirtschaftlich vorbildlich, so dass man einen gewissen Bonus genoss. Dies hat sich natürlich durch die negativen Entwicklungen in Deutschland in den letzten Jahren geändert."

Spanische Firmen sind in der Regel hierarchischer strukturiert als deutsche. Oben ist oben, unten ist unten, jeder hat seinen Platz. S. formuliert das strenge spanische Zeremoniell so: "Von Führungskräften wird erwartet, dass sie eine eigene Meinung haben und diese durchsetzen. Umgekehrt wundern sich Vorgesetzte, wenn Mitarbeiter proaktiv Vorschläge oder Meinungen äußern."

Alles, was man bei uns jemals über Teamwork, Entscheidung im Konsens und flexible Arbeitszeiten gelernt hat, kann man dort getrost vergessen. Die Arbeitszeit ist festgelegt und umrahmt fast immer eine zweistündige Mittagspause, die S. "völlig überflüssig" findet. Teilzeitarbeit ist das Privileg der functionarios, der Beamten, Steuervorteile für Ehepaare gibt es nicht und Kinderbetreuung im Unternehmen ist sehr selten. Damit erkläre sich die gegen Null tendierende Geburtenrate.

Ohne Wiederkehr

Und wo, bitte, bleibt das Positive? Als EU-Bürger erhält man ohne Schwierigkeiten eine Arbeitserlaubnis. Wer auf Dauer unter der spanischen Sonne leben möchte, muss spätestens 30 Tage nach der Einreise bei der Ausländerbehörde oder beim Polizeikommissariat eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.

Die Einkommensteuern und die Lebenshaltungskosten sind niedriger als in Deutschland. Es gibt eine kostenlose öffentliche Krankenversicherung, daneben eine Vielzahl vergleichsweise günstiger privater Krankenversicherungen.

Und überhaupt: Kai S. denkt nicht im Traum daran, jemals nach Deutschland zurückzukehren. Allein die Frage danach stößt auf vehementen Protest: "Kommt für mich nicht in Frage."

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