Die neuen Gastarbeiter:Pioniere unter dem Pichincha

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Als Manager kann man in Ecuador viel bewegen, die Mitarbeiter sind motiviert und hungern nach Erfolg.

Christine Demmer

(SZ vom 10.5.2003) Rucksack-Touristen in Südamerika machen gern Zwischenstation in Ecuador. Hier ist es, politisch gesehen, ruhiger als im südlichen Nachbarland Peru, und weitaus ungefährlicher als in Kolumbien, das sich im Norden anschließt. Trotz des imposanten Gebirgsmassivs der Anden, des üppigen Regenwaldes und der östlich vorgelagerten Galapagos-Inseln ist Ecuador mit rund 27.0000 Quadratkilometern überschaubar.

"Ein ständiger Wechsel zwischen Zentrale und Auslandseinsatz scheint mir sehr sinnvoll", sagt Thorsten Pöhl. (Foto: SZ)

Außerdem wird hier mit US-Dollars bezahlt, und diese Währung kennt man. Trotzdem lohnt ein prüfender Blick auf den im Land eingewechselten Greenback, denn es könnte sich um eine der vielen kolumbianischen Blüten handeln. Die Rauschgiftmafia verschmäht kein profitables Geschäftsfeld.

Ständiger Wechsel

Auch Thorsten Pöhl ist im weitesten Sinne im Drogenhandel tätig - allerdings in der heilenden Sparte. Als Geschäftsführer des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim in Ecuador steuert der Diplom-Kaufmann mit rund 150 Mitarbeitern den Import und Vertrieb von Medikamenten an Apotheken, Ärzte und Patienten. Mit den Produkten, dem Unternehmen, der Aufgabe und dem Kontinent ist Pöhl bestens vertraut. Er hatte schon früher ein paar Jahre lang für Boehringer in Brasilien gearbeitet und anschließend in der deutschen Zentrale als Area Manager einige Vertriebsländer in Nord- und Südamerika betreut.

Seit Februar 2001 arbeitet der 39-Jährige nun in der Landeshauptstadt Quito. Sein Vertrag ist zeitlich befristet. "Ein ständiger Wechsel zwischen Zentrale und Auslandseinsatz scheint mir sehr sinnvoll", sagt er, "weil man die hinzugelernten Kenntnisse und Fähigkeiten aus der jeweils anderen Perspektive überprüfen, vervollständigen und gewinnbringend einsetzen kann." Als nächstes dürfte also wieder die Zentrale locken oder eine Leitungsposition in einem anderen Land. Que sera, sera. Arbeiten kann man überall - wenn man flexibel ist und offen für Veränderungen.

Genau diese Eigenschaften schätzt der deutsche Manager an Land und Leuten: "Vieles ist von staatlicher Seite her als auch in den Unternehmen unbürokratischer und weniger reglementiert. Natürlich ist manches auch chaotischer und viele Dinge muss man mit Gelassenheit angehen. Dennoch kann man in der Regel schneller entscheiden und umsetzen und deshalb mehr bewegen." Und dann legt er den Finger vollends in die deutsche Wunde: "Die Menschen hier sind offen für Neues, sie sind hungrig auf Erfolg, sie wollen etwas leisten, sie wollen sich entwickeln und sind oft bereit, mehr zu arbeiten als die Deutschen."

Gewohnheit ist kein Hindernis

Ecuador ist einerseits ein klassisches Entwicklungsland, andererseits sind viele Menschen gut ausgebildet, oft mit internationalen Abschlüssen. Kenntnisse und Arbeitsmittel können sich im weltweiten Vergleich sehen lassen. "Neue Systeme und Prozesse lassen sich schneller und manchmal sogar auf einem höherem Niveau als in Deutschland einführen, weil man weniger Vergangenheit vorfindet", sagt Pöhl. "Es ist die Arbeitskultur und ganz besonders die Offenheit der Menschen für Veränderungen."

Mag sein, dass dies aus der Historie des Andenstaates rührt. Die einstige spanische Kolonie stemmt sich der "Dollarization" durch USA, Weltbank und Internationalem Währungsfonds keineswegs entgegen, sondern nutzt die gebotenen Gelder für den Aufbau und das Streben nach Anerkennung. Ausländische Arbeitskräfte sind gerne gesehen und werden freundlich aufgenommen.

"Vor allem Deutsche genießen ein hohes Ansehen wegen ihrer Werte, Tugenden und Errungenschaften in Kultur, Industrie und Wissenschaft", meint Thorsten Pöhl, setzt aber hinzu: "Dies scheint mir oft höher, als durch die deutsche Realität zu rechtfertigen wäre." Ob der Mann wirklich eines Tages wieder in Deutschland arbeiten wird?

Chancen für Lehrer und Studenten

Wer eine im Land nachgefragte Qualifikation mitbringt, bekommt im Konsulat ein Arbeitsvisum, fliegt 18 Stunden nach Quito und sucht sich einen Job. Man kann auch als Tourist einreisen und sich erst dann eine Stelle besorgen; bei der Beschaffung der Arbeitserlaubnis hilft der Patrón.

High Schools und Sprachschulen benötigen Englischlehrer und Übersetzer, der expandierende Tourismus braucht Spanisch sprechende Saisonkräfte, Non-Profit-Organisationen werben um unbezahlte Helfer und bezahlte Praktikanten (www.ecuadorexplorer.com).

Gute Anlaufstellen sind die Anschlagbretter in Cafés, Waschsalons und Kneipen. Verstehen sollte man sie allerdings. So viel Spanisch muss sein.

Lebenshaltungskosten wie in Deutschland

Führungskräfte wie der Pharmamanager und Spezialisten werden in der Regel von ihren Unternehmen ins Land entsandt. Die Steuern sind erheblich niedriger als bei uns, dafür schlägt die Krankenversicherung ordentlich zu.

Thorsten Pöhl hat in Deutschland eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen - "eine lokale Versicherung wäre ähnlich teuer bei geringerer Leistung" - und die umfasst auch seine Frau und den zweijährigen Sohn. Der Kleine besucht tagsüber einen englisch-spanischen Kindergarten. "Kinderbetreuung ist gut, einfach zu bekommen und günstiger als in Deutschland", berichtet Thorsten Pöhl, "denn hier sind viele Mütter berufstätig."

Seine Frau arbeitet als Ärztin ebenfalls in der Pharmaindustrie, als Linienleiterin Diabetis bei Roche. Wenn die Familie den teueren Importprodukten aus dem Weg geht und nicht unbedingt auf Landjägern, Schwarzbrot und Trollinger besteht, sind die Lebenshaltungskosten in Ecuador den hiesigen vergleichbar. Typisch deutsches Essen kann man schließlich während des zweiwöchigen Jahresurlaubs hinreichend genießen.

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