Die neuen Gastarbeiter:Mit dem Ticket in der Tasche

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Wer in Indonesien arbeitet, muss auf politische Unruhen gefasst sein.

Von Christine Demmer

(SZ vom 9.8.2003) Es ist erst fünf Jahre her, da führten blutige Unruhen zum Sturz des Präsidenten Suharto. Damals verließen fast alle Ausländer fluchtartig das Land. Es ist noch kein Jahr her, da stornierten viele Europäer ihren Bali-Urlaub. Die Bombenanschläge auf der indonesischen Ferieninsel hatten mehr als zweihundert Todesopfer gefordert. Und schon wieder hat es ein verheerendes Attentat gegeben, diesmal in Jakarta. Wer als Ausländer in Indonesien arbeitet, hat daher stets das Wichtigste dabei: Pass, Aufenthaltserlaubnis und genügend Bargeld, um im Krisenfall ein Flugticket nach Singapur oder Australien kaufen zu können.

Jens Reisch weiß, was es heißt evakuiert zu werden. (Foto: Foto: SZ)

Jens Reisch verließ Jakarta in der Krise 1998 gerade mal für eine Woche. "Ich erfuhr damals, was es heißt, evakuiert zu werden", erinnert er sich mit sichtlichem Unbehagen. Zwischen 1994 und 1999 hatte der Versicherungskaufmann der Allianz dabei geholfen, den indonesischen Markt zu erschließen, zunächst als Länderreferent Ostasien von München aus, dann als Marketing-Direktor in der Hauptstadt Jakarta. "Mein Vertrag war auf drei Jahre befristet, das ist die Mindestlaufzeit für eine Entsendung nach Asien", sagt er. "Denn man braucht schon allein sechs bis neun Monate, um die örtlichen Gegebenheiten und die landesspezifischen Besonderheiten im Geschäftsleben kennen zu lernen."

Nur über eine deutsche Firma

Das an Einwohnern viertgrößte Land der Erde ist ein politisches Konstrukt aus mehr als 300 ethnischen Gruppen mit 250 Sprachen und fast 20.000 Inseln, die sich von Sumatra im Westen bis nach Papua im Osten über 5500 Kilometer hinweg erstrecken - das entspricht etwa der Distanz zwischen Europa und Amerika. Mehr als zwei Drittel aller Indonesier leben auf Java, die meisten davon in der Hauptstadt Jakarta, und viele haben keine Arbeit. Darum setzt die Regierung der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte sehr enge Grenzen.

Eine Arbeitserlaubnis gibt es nur für bestimmte, im Land fehlende Experten mit mindestens fünf bis zehn Jahren Berufserfahrung. Überdies muss die staatliche Genehmigung vom Arbeitgeber beantragt werden; das ist verbunden mit hohen Kosten, einem langwierigen bürokratischen Aufwand und einer monatlichen Steuer in Höhe von 100 US-Dollar je beschäftigtem Ausländer.

Wen es nach Jakarta zieht, sollte sich daher zunächst eine Stelle in einem internationalen, in Indonesien tätigen Unternehmen suchen, einige Jahre Berufserfahrung sammeln und dann darauf hinarbeiten, nach Südostasien versetzt zu werden. Rund 170 deutsche Unternehmen sind in Indonesien vertreten, darunter Bayer und Beiersdorf, Osram und Heidelberger Zement, die Allianz und DaimlerChrysler.

Mit einer gerade abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem druckfrischen Diplom in der Tasche kann man allenfalls in der Tourismusindustrie auf Bali, Java oder Sumatra unterkommen. Wer aber nach dem Urlaub als Surflehrer oder Barkeeper auf einer der paradiesischen Inseln arbeiten will, muss mit minimalem Lohn, schlechter ärztlicher Versorgung und kargem Lebensstandard rechnen. Außerdem riskieren illegale Arbeitnehmer eine drakonische Strafe.

Nur wer Englisch als Muttersprache spricht und Englisch lehrt (oder sich zumindest glaubhaft als Englischlehrer verkaufen kann), wird von den Behörden sofort als Experte anerkannt und bekommt das entry permit.

Eine gute Ausbildung ihrer Kinder liegt den Indonesiern mehr als alles andere am Herzen. "Lebensversicherungsprodukte bewerben wir daher nicht mit dem Todesfall, sondern mit der Zukunftssicherheit der Kinder", sagt Allianz-Manager Reisch. "Unser Hauptprodukt ist eine Art Ausbildungsversicherung, mit der die Eltern ihren Kindern das Budget für ein Studium an einer möglichst hochwertigen Universität in Indonesien oder im Ausland ermöglichen." Was kurzfristig zu eklatanten Versorgungsproblemen führt, ist langfristig gut fürs Geschäft: Das Land hat eine überdurchschnittlich hohe Geburtenrate.

Die hohe Arbeitslosigkeit und die schwelenden ethnisch-religiösen Konflikte - in Indonesien leben mehr Muslime als in jedem anderen Land der Welt - sind der Grund für die vehement vom Staat vorangetriebene Identitätsbildung, die so genannte Indonesiazation. Unternehmen dürfen zum Beispiel nur eine bestimmte Zahl von Expatriates ins Land holen und das auch nur, wenn kein Indonesier für diese Stelle zu finden ist. So war es auch bei der Allianz. Jens Reisch: "Ich hatte in meiner Arbeitserlaubnis als Marketing-Director die Auflage, nach spätestens fünf Jahren einen indonesischen Marketing-Director aufzubauen und zu entwickeln."

Viele Firmen stellen ihren Expatriates neben der Wohnung ein Hausmädchen, einen Fahrer oder einen Gärtner zur Verfügung. Zur Verständigung braucht man Bahasa Indonesia. Jens Reisch hat die Sprache binnen neun Monaten gelernt und kann sich "einigermaßen verständigen". Und ihm gefällt es in Indonesien. Deshalb ist der 37-Jährige in diesem Frühjahr wieder nach Jakarta zurückgegangen, inzwischen als President Director. In Indonesien gibt es viele Risiken, aber längst noch nicht jeder hat eine Versicherung.

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