Die neuen Gastarbeiter (1):Im Herzen der Hochfinanz

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Deutsche Banker sind in London gefragt - wenn sie sprachkundige Spezialisten sind.

Christine Demmer

(SZ vom 3.5.2003) Okay, ein Wochenendtrip nach London mag ja ganz lustig sein. Am Freitagnachmittag mal schnell für 9 Euro 99 an die Themse fliegen, in Chelsea shoppen, abends ein Musical im Theatre District, zum Inder nach Kensington und am Sonntag wieder zurück. Aber Tag für Tag in der unter Hochdruck pulsierenden Millionenmetropole leben? Das Wetter! Das Essen! Die Preise! "Arbeiten im Ausland war schon immer mein Traum, und ein Job in London hat mich besonders gereizt", versichert Reny Morsch. Das kann man schon deswegen glauben, weil die Frankfurterin mit Leib und Seele Bankerin ist und die Londoner City Europas Bankenplatz Nummer 1.

"Arbeiten im Ausland war schon immer mein Traum", sagt Reny Morsch. (Foto: N/A)

Auch in der Krise gute Chancen

Manche Dinge gehören einfach zusammen. Bankmenschen und Britanniens Hauptstadt jedenfalls ergänzen einander wie ein Paar japanischer Essstäbchen. Von den rund 80.000 Deutschen, die in London wohnen und arbeiten, ist ein knappes Viertel in der Hochfinanz zu Hause, der Karriere wegen oder angesichts des enormen Stellenabbaus bei den hiesigen Banken.

Zwar wälzt sich gegenwärtig auch durch die City eine Entlassungswelle, doch für Kenner des deutschen Aktienmarktes und erfahrene Banker mit Spezialwissen gibt es in London immer noch gute Jobs - vorausgesetzt, man verfügt über exzellente Sprachkenntnisse sowie die Bereitschaft, sich auf die Herausforderungen einer Multikulti-Millionenstadt einzulassen.

Reny Morsch findet nichts dabei, zusammengepfercht mit den werktätigen Massen in der ratternden Tube die Millionenstadt zu unterqueren oder just beim spannenden Fernsehkrimi aus dem Film gerissen zu werden, nur weil sie wieder einmal vergessen hat, ihre Chipkarte für Strom und Gas rechtzeitig am Pay Point aufzuladen.

Seit zwei Jahren arbeitet die Bankfachwirtin im Business Development der Deutsche Börse AG in London. Sie verkauft britischen Banken den Zugang zum Frankfurter Finanzgeschehen, genauer: den Anschluss an den Kassamarkt der Deutschen Börse, an die elektronische Aktienhandelsplattform Xetra und den Aktien- und Indexbereich der Derivatbörse Eurex. Daneben kümmert sie sich um die Anliegen der bestehenden Kunden.

Nach Deutschland pendeln

Mit Währungs- und Finanzmärkten ist Morsch seit dem Abitur vertraut. Nach ihrer Banklehre arbeitete sie zwölf Jahre lang für eine amerikanische Investmentbank als Devisen- und Interbankhändlerin. Mit Schulenglisch - Peter, Paul and Mary are playing in the garden - kommt man da nicht weit. "Naja", lächelt Morsch, "ich hatte täglich Telefonkontakt zu Brokern in London. Sehr gutes Englisch war die Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit." Nebenbei machte sie ihren Abschluss an der Frankfurter Bankakademie und lernte aus purem Vergnügen ein paar neue Fremdsprachen, darunter Italienisch und Schwedisch.

"Ich fliege ein, zwei Mal im Monat am Freitagabend nach Deutschland und am Montag ganz früh zurück", sagt Reny Morsch. Ihr Mann ist nicht nach England mitgekommen, weil er noch in Frankfurt studiert. Jobbedingt hat sich das Ehepaar auf eine Wochenendbeziehung verständigt. Die Flüge muss sie privat bezahlen, denn sie ist von der Deutschen Börse nicht auf Zeit nach England entsandt, sondern dort mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag tätig. Als Belohnung für häufiges Fliegen hat ihr wenigstens die Lufthansa eine Senator-Karte spendiert. Damit kann sie Wartezeiten in der Lounge überbrücken und sitzt im Flugzeug in der ersten Reihe.

"Wie lange ich in London bleibe, hängt letztlich von der Arbeitsmarktsituation in Deutschland ab", sagt Morsch und meint damit nicht nur die Bankbranche. Ihr Mann wird in diesem Jahr sein Informatik-Studium abschließen, und weil die Stellenaussichten für ihn in Großbritannien besser sind als in Deutschland, klappt es dann vielleicht auch bei ihm mit einem Job in London. Falls nicht, kann sich die Bankerin auch vorstellen, nach Deutschland zurückzukehren - "am liebsten bei der Deutschen Börse". Oder auch in ein anderes Land zu wechseln. "Nach der Zeit in London fällt der Sprung in ein Drittland leichter und ich hätte auch Lust darauf", sagt sie.

Wohnen in London ist teuer

Ein grundlegender Unterschied im Leben eines Bankers in der Londoner City im Vergleich zu Frankfurt ist die Bedeutung der sozialen Kontakte. Man trifft sich oft zum Lunch in der Mittagspause oder nach der Arbeit im Pub, um die Ereignisse des Tages zu diskutieren und Kontakte zu pflegen. Einmal im Monat treffen sich die deutschen Ex-Patriate im so genannten Towel-Club, spöttisch benannt nach den deutschen Touristen, die in Herrgottsfrühe die Liegen um den Pool mit ihren Handtüchern blockieren. "Als Newcomer kann man hier manch guten Tipp bekommen", sagt Reny Morsch.

Zum Beispiel, wo gerade eine bezahlbare Wohnung zu bekommen ist, denn in London wird zwar sehr kurzfristig vermietet und taggenau berechnet, aber die Kosten dafür sind horrend. "Die Mieten grenzen ans Unverschämte", empört sich die Bankerin. "Für das, was ich hier für eine Zwei-Zimmer-Wohnung bezahle, bekomme ich in Frankfurt ein Haus mit Garten in bester Lage."

Gleich nach dem Einzug schickt die Stadtteilverwaltung einen Brief und fordert die Council Tax für Müllabfuhr, Straßenreinigung und andere kommunale Services. Je vornehmer der Stadtteil, desto höher die Abgabe. Mit der Rechnung für die Council Tax kann man sich auch legitimieren. Ein Bankkonto bekommen Ausländer aber erst, wenn sie ihren Wohnsitz nachweisen können, und das kann ein paar Wochen dauern.

Steuerpflichtig nach Verhör

Schneller ist die Sozialversicherung, die gleichzeitig für den Einzug der Steuern zuständig ist. Reny Morsch hat ihre Social Insurance Number bei der lokalen Benefit Agency beantragt und wurde dann erst einmal einem unerwarteten Verhör unterzogen. "Erst nachdem ich eine Stunde lang zu Herkunft, Familie und Beruf interviewt worden war, schickte man mir die Versicherungsnummer." Die staatliche Krankenversicherung ist Pflicht für alle, aber, so Morsch, "trotzdem pleite". Viel simpler als in Deutschland ist das britische Steuerrecht. Es gibt schlicht und einfach nichts, was man absetzen kann, und die Steuerbehörde übernimmt auf Wunsch sogar die Steuerberechnung - völlig kostenlos.

Teuer ist dagegen fast alles andere in der britischen Hauptstadt. Die früher großzügig dotierten Ex-Patriate-Arbeitsverträge, mit denen Ausländer für ein paar Jahre an die Themse geschickt wurden, gehören der Vergangenheit an. Wenn deutsche Arbeitgeber ihre Mitarbeiter heute als Locals nach London entsenden, müssen Wohnung, Schulgeld für die Kinder und Heimflüge aus eigener Tasche bezahlt werden. Kein Wunder, dass London zu einer Hochburg für Singles geworden ist. Die kommen vor lauter Arbeit kaum dazu, Geld auszugeben, und wenn, dann für Restaurantbesuche mit Kollegen. Denn in London ordnet sich eben dem Job unter.

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