Die Erfolgsverweigerer:Karriere? Nein danke!

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Warum manche Menschen allen Chancen aus dem Weg gehen.

Anne-Ev Ustorf

"In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien", schrieb der englische Schriftsteller Oscar Wilde. "Die eine ist, nicht zu bekommen, was man sich wünscht, und die andere ist, es zu bekommen. Das zweite ist viel schlimmer." In einer Leistungsgesellschaft wünscht sich fast jeder, erfolgreich zu sein - im Beruf, in der Partnerschaft, im sozialen Umfeld, finanziell. Darum mag der Gedanke, dass manche Menschen dem beruflichen Erfolg aktiv aus dem Wege gehen, erst mal paradox klingen. Und dennoch ist dieses Phänomen verbreiteter, als viele denken.

Angst vorm Erfolg oder keine Lust auf Stress: Die Gründe, auf Karriere zu verzichten, sind ganz unterschiedlich. Vielen sind sie gar nicht bewusst. (Foto: Foto: iStockphoto)

Wer kennt nicht Menschen, denen es trotz guter Leistungen nicht gelingt, ihr Studium abzuschließen, tolle Job-Angebote wahrzunehmen oder berufliche Herausforderungen zu meistern? Oft sei den Betroffenen gar nicht bewusst, dass ihre Ängste sie hemmen, sich zu entwickeln, erklärt der Psychoanalytiker Hans-Werner Rückert, Autor eines Buchs über berufliche Stagnation ("Schluss mit dem ewigen Aufschieben") und Leiter der Studienberatung an der Freien Universität Berlin: "Nicht selten brauchen Leute erst ein Beratungsgespräch, um herauszufinden, dass hinter ihren Schwierigkeiten oder Ängsten eine konkrete Furcht vor dem Erfolg stecken kann."

Arndt Gercke (Name geändert) ist so ein Fall. Der Manager betreute ein wichtiges Projekt bei einem großen deutschen Unternehmen. Irgendwann stellte er fest, dass er sich im Job immer schwerer motivieren konnte und häufig Dinge aufschob. Nicht, weil er die Befürchtung hatte, dass seine Arbeit auf wenig Zustimmung stoßen würde - sondern weil er wusste, dass sein Projekt im Unternehmen einschlagen würde wie eine Bombe.

Gercke befürchtete, nach dem zu erwartenden Erfolg im Konzern weiter nach oben durchgereicht zu werden. Dann würden die nächsten Projekte noch anspruchsvoller sein und möglicherweise sogar die Notwendigkeit einschließen, ins Ausland zu gehen - was auf jeden Fall zu Konflikten mit seiner Freundin führen würde. Erst nach einem Coaching konnte sich der Manager dazu entschließen, das Projekt zum Abschluss zu bringen. Gercke nahm sich aber vor, mögliche Beförderungsangebote genau zu prüfen und unter Umständen sogar abzulehnen. "Die Angst vor Erfolg in Bezug auf Karriereentwicklung ist meistens bewusst erlebbar", sagt Rückert. "Die Menschen wissen ja im Vorfeld, wie die Hierarchie-Ebenen laufen. Da ist es nicht sonderlich schwer, der Ursache auf den Grund zu kommen. Es gibt aber auch Ängste, die unbewusst ablaufen."

Zu erfolgreich

So kann zum Beispiel die Sorge, die eigenen Eltern zu überflügeln, ein Stolperstein in der beruflichen Entwicklung darstellen. "Nehmen wir mal den Fall eines Medizinstudenten, dessen Eltern auch gern Medizin studieren wollten, dies aber aufgrund verschiedener Ursachen nicht tun konnten", sagt Rückert. "Vielleicht wurden sie stattdessen Krankenpfleger oder Heilpraktiker und sind insgeheim neidisch auf ihren Sohn - oder vielleicht phantasiert der Sohn das auch nur. Dann hat man einiges im Gepäck, wenn man ein Medizinstudium beginnt."

Man müsse sich erst mal mit einigen Fragen auseinandersetzen: Wie ist es eigentlich, meine Eltern zu überflügeln und einen Traum zu verwirklichen, der ihnen versagt blieb? "Wir alle haben als erwachsene Kinder ja eher den Wunsch, unsere Eltern zu stabilisieren, als sie zu destabilisieren", sagt der Berater. Vielleicht verzögere der Medizinstudent also deshalb sein Studium, bringe schlechte Leistungen oder nehme Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung nicht wahr, weil er unbewusst ein Schuldgefühl hat oder sich vor Spannungen und Auseinandersetzungen mit den Eltern fürchtet, falls er zu erfolgreich sein sollte.

Auch in erfolgsverwöhnten Familien kommt es oft vor, dass die Sprösslinge eine Angst vor dem Erfolg entwickelten, sagt Rückert. Gerade in Dynastien von Ärzten, Anwälten oder Berufsoffizieren gingen die Eltern oft mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, dass ihre Kinder diese Leistungslinie fortführen. Wenn die Kinder mit dieser Delegation positiv identifiziert seien, wäre alles in Butter, so der Psychoanalytiker. Es gibt aber auch Kinder, die es als belastend erleben, sich den elterlichen Berufswünschen zu fügen, weil sie sich dadurch weiter an ihre Herkunftsfamilie ketten.

"Familien, in denen schon seit Generationen alle denselben Beruf ergreifen, machen es Kindern häufig schwer, sich als Individuum zu profilieren", erklärt Rückert. Wer immer nur den Erwartungen der Eltern entspreche, könne im Extremfall depressiv werden, selbst wenn er hochgesteckte berufliche Ziele erreiche. "Ich kenne einige, die ihre Erfolge überhaupt nicht genießen konnten. Es hat sich dann gezeigt, dass sie einmal ausbrechen und etwas tun mussten, was nicht die Billigung der Eltern findet." Manchmal müsse man sich auch gegen Erwartungen entwickeln, um sich selbst zu finden und zu spüren.

Und schließlich gibt es noch einen anderen Faktor, der Menschen davon abhalten kann, den Weg zum Erfolg einzuschlagen: die Angst vor der Einsamkeit. Denn wer groß rauskommen und Karriere machen will, muss viel Zeit in seine Arbeit investieren, oft auf Kosten von Partnerschaft, Familie und Freunden. Mit jeder Beförderung hebt er sich mehr und mehr von den Kollegen ab und muss gewisse Distanzrituale einhalten, um sich Respekt zu verschaffen - Schluss also mit den gemeinsamen Kneipentouren nach der Arbeit.

"Jenseits der Erfolgspropaganda unserer Zeit wird völlig vernachlässigt, dass Karrieren auch ihren Preis haben", sagt Rückert. "Wer sich exponiert, wird auch angreifbar. Für Leute, die Chef-Positionen erhalten, ist es schmerzlich zu erfahren, dass damit auch ein gewisses Maß an Einsamkeit verbunden ist. Auch in den Familien kann sich das auswirken - man muss nur mal an das Elend denken, dass in vielen Politikerfamilien herrscht."

Wer also merkt, dass er sich im Job angesichts neuer Herausforderungen freiwillig in die Warteschleife begibt und beginnt, Dinge aufzuschieben oder sie nicht mehr so schnell wie früher zu erledigen, der könnte sich bereits in einer unbewussten Verweigerung befinden. Ein Zeichen dafür, dass man sich unbedingt der Frage widmen sollte, wie viel Erfolg dem gestressten Selbst eigentlich guttut.

© SZ vom 19.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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