Das UN-Gebäude:Zustände wie vor einem halben Jahrhundert

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Säle ohne Fenster, überall Asbest - wie das UN-Gebäude in New York beschaffen ist.

Klaus Brill

(SZ vom 5.9.2000) New York, 4. September - Nicht, dass Mr. Niwa Klagen hätte über sein Büro, im Gegenteil: erste Wahl. Der Blick aus der Erhabenheit des 21. Stockwerks auf den East River, auf das Häusermeer von Brooklyn und die Flugzeuge, die darüber hinfliegen, hat etwas Berauschendes. Dann die gepflegte Vertäfelung der Wände, die Noblesse der fein gerippten Glasscheiben zum Besprechungszimmer hin - alles atmet hier den Charme einer Zeit, die einmal sehr modern war und jetzt verblüht ist. Im ganzen Haus ist es ähnlich. Die Möbel, die Kunstwerke, "alles ist von hervorragender Qualität", sagt Mr. Niwa, "da kann man nur den Hut ziehen. " Das ganze hochberühmte Haus mit seinem großen Saal und dem mächtigen Turm, "das ist ein wunderbares, prächtiges Gebäude, und es ist äußerst gut in Stand gehalten. "

Toshiyuki Niwa, der grauhaarige Di-plomat aus Japan im grauen Business-Anzug, stützt sich bei diesem Urteil auf profunde Kenntnisse, denn er ist als einer der Assistant Secretary Generals der Vereinten Nationen amtszuständig für das Haus. Büro der zentralen Versorgungsdienste, Abteilung Management - so steht es auf seiner Visitenkarte. Drum weiß Mr. Niwa auch nur zu gut, dass man auf Probleme stößt, wenn man hinter die Vertäfelungen blickt. "Jetzt zeigt das Gebäude nach 50 Jahren etwas von seinem Alter", sagt er.

In der Tat ist das Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York in einem Zustand, der nach Einschreiten verlangt. Und wenn sich in dieser Woche beim ersten globalen Gipfeltreffen der Menschheitsgeschichte die Staats- oder Regierungschefs von mehr als 150 Ländern in New York versammeln, dann können sie, sofern interessiert, höchstselbst begutachten, wo die Probleme liegen. Die Regierungen müssen schließlich auch die angestrebte Generalüberholung bewilligen.

Zeitlich passend hat die Verwaltung im UN-Hauptquartier eine Studie vorgelegt, die jedem Eigenheimbesitzer die Stirne furchen würde. Die elektrischen Leitungen sind so alt wie das Gebäude. Wasserrohre rosten und weisen Lecks auf, auch Geländer haben Rost angesetzt, Dächer sind undicht geworden und vom Schwamm befallen, Ventilatorsysteme altersschwach. Heizung im Winter und Kühlung im Sommer sind den Beschäftigten ein dauerhafter Anlass zur Klage, Energie wird im Unmaß verschwendet.

Wehe, wenn es brennt

Noch mehr Besorgnis erregt der Um-stand, dass der Bau schon längst nicht mehr den Brandschutzvorschriften der Stadt New York genügt. Dies braucht die UN-Diplomaten zwar rein rechtlich nicht zu kümmern, weil ihr Territorium an der First Avenue zwischen der 42. und der 48. Straße internationales Hoheitsgebiet ist. Aber in der Sache kann dies kein Trost sein. Im 39 Stockwerke hohen Verwaltungsgebäude des UN-Generalsekretariats gibt es, vom Keller abgesehen, keine Sprinkler-Anlage und keine effektive Kontrolle der Klima-Anlage, zudem sind die Fluchtwege unzureichend, angemessene Einrichtungen für Behinderte fehlen gänzlich. Und wenn man im Büro von Mr. Niwa hinter die Heizung oder unter die Deckenverkleidung schauen würde, fände man eine größere Ladung Asbest, wie der Diplomat sagt.

So ist es überall in diesem Haus, das nun einmal ein Erzeugnis seiner Zeit ist. Als die Vereinten Nationen 1945 in San Francisco gegründet wurden und 1946 ihren Hauptsitz in New York zu nehmen beschlossen, machte der Industrielle John D. Rockefeller das sieben Hektar große Gelände am East River der Weltorganisa-tion zum Geschenk. Ein Team renommierter Architekten, unter ihnen Le Corbusier, Oscar Niemeyer und Wallace K. Harrison, entwarf einen Komplex, der aus dem niedrigen Generalversammlungsgebäude, dem Hochhaus der Verwaltung und dem dazwischen liegenden Konferenzzentrum besteht. 1952 war der Palazzo fertig, damals für 70 Mitgliedsstaaten bestimmt. Heute gehören 188 Länder den UN an, schon längst hat man in der Nähe andere Bürogebäude zugemietet. Allein im eigentlichen Hauptquartier arbeiten 3000 Menschen, während der Generalversammlungen fast doppelt so viele.

Die Diplomaten der verschiedensten UN-Botschaften müssen für langwierigste Verhandlungen mitunter mit fensterlosen Konferenzräumen im Keller vorliebnehmen. In anderen Sälen erkennt man nicht nur am Bogenschwung der Lampen und der Treppen, dass dies der Stil der fünfziger Jahre ist, sondern auch an den fest installierten Aschenbechern, die man zwischen Delegierten- und Zuhörersitzen etwa im Sitzungsraum des Sicherheitsrates findet. Im großen Speiseraum an der Flussfront sind es der Teppichboden, die Säulen und die Deckenverkleidung, die "einen gehobenen HO-Charme" ausstrahlen, wie der deutsche Diplomat Thomas Zahneisen findet.

Eine sorgsame Generalüberholung des gesamten Baus, die bisher aus rein finanziellen Gründen unterblieb, würde 875 Millionen bis eine Milliarde Dollar kosten. Tut man weiterhin gar nichts, werden die Kosten nach den Worten von Mr. Niwa indes "dramatisch steigen". Das Generalsekretariat hat von den Regierungen der Mitgliedsländer noch nicht sehr viel an Reaktionen auf seinen Vorstoß erfahren. Mr. Niwa stellt dies als ein gutes Zeichen dar. "Ich glaube, jeder erkennt, dass etwas getan werden muss. "

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