Chinesisch in Schwaben:Die Ausbilder von Albstadt

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Zweimal die Woche finanziert ein schwäbisches Familienunternehmen Realschülern Chinesisch-Unterricht - und zieht sich so qualifizierten Nachwuchs heran.

Von Elisabeth Dostert

Albstadt - Susanne Stein mimt ein wenig Verzweiflung. "Was könnte Hamburger wohl auf Chinesisch heißen", fragt sie ermunternd in die Runde. Knapp zwei Dutzend Schülerinnen und Schüler besuchen an diesem Nachmittag ihren Unterricht an der Schlossberg-Realschule in Albstadt.

Zweimal in der Woche gibt die Sinologin dort Chinesischstunden. "Ein ähnliches Wort kennen wir doch schon", hakt sie nach: "Wir wissen was Hamburg heißt." "Hanbao", antwortet Olga aus der ersten Reihe.

"Gut", lobt Stein und schreibt mit Kreide zwei Silben auf die Tafel. Sie fügt die Silbe "bao" hinzu. Bao heißt Brötchen, erklärt sie und malt drei chinesische Schriftzeichen unter den Begriff.

Der Unterricht ist freiwillig. Der ortsansässige Nadelhersteller Groz-Beckert zahlt ihn in der vagen Hoffnung, Schüler für seine Firma zu gewinnen. Ein paar hundert Euro kosten ihn die Stunden im Monat.

"Für uns ist das preiswerter und effektiver als die meisten Stellenanzeigen", sagt Thomas Lindner, Vorsitzender der Geschäftsführung und persönlich haftender Gesellschafter des schwäbischen Familienunternehmens.

"Einen richtigen Return haben wir, wenn einer der Schüler zu uns kommt, wir ihn ausbilden und er dann für uns nach China oder Indien geht", ergänzt Nicolai Wiedmann, der Ausbildung und Personalentwicklung des Unternehmens leitet. So weit ist es noch nicht. Das Projekt läuft erst seit drei Jahren. Für Renditeberechnungen ist es noch viel zu früh.

Groz-Beckert geht es wie vielen Firmen. Die Bildung, die Schulen und Universitäten jungen Menschen in Deutschland vermitteln, reicht ihnen nicht mehr aus, um im internationalen Konkurrenzkampf zu bestehen. Die Firmen müssen selbst anpacken.

"Das allgemeine Bildungsniveau ist zwar gestiegen, aber die Anforderungen der Industrie sind das weitaus schneller", sagt Lindner. "Die staatswirtschaftlichen Anpassungsmechanismen der Schulen hinken dem marktwirtschaftlichen Anpassungsdruck der Firmen gewaltig hinterher."

Qualifizierte Bewerber fehlen überall

Der Mann spricht nicht nur für sein Unternehmen, sondern für viele. Lindner ist Vizepräsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau und Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer Reutlingen.

Qualifizierte Bewerber fehlen auf allen Ebenen - vom Hauptschüler bis zum Ingenieur. Verzweifelt suchen die Firmen Bewerber. Auf der Hannover Messe haben Mitglieder des Zentralverbandes der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) in dieser Woche Scheckhefte mit Gutscheinen an Jugendliche ausgeteilt. Wer den Bon am Messestand der Firma einlöst, bekommt ein Geschenk. Ob sich mit einer "kleinen LED-Taschenlampe mit Schlüsselring" oder Canapés Lehrlinge gewinnen lassen?

Die Schlossberg-Realschule in Albstadt ist "Lernpartner" von Groz-Beckert in einem Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Es fördert Kooperationen von Schulen und Firmen. Groz-Beckert zahlt nicht nur den Chinesisch-Unterricht. Die Informatiker des Maschinenbauers helfen bei der Gestaltung der Schul-Homepage, es gibt ein Bewerbertraining für Neuntklässler oder auch Präsentationsseminare für Lehrer.

Viel Überredungskunst war nicht nötig, um Realschulrektor Herbert Schuh für das Projekt zu gewinnen. "Auch Schulen stehen im Wettbewerb", sagt er. "Wenn irgendwann die geburtenschwachen Jahrgänge kommen, werden die Schulen überleben, die für Eltern und Schüler attraktiv sind. Die anderen werden zugemacht."

Auch bei Groz-Beckert sorgt man sich wegen der geburtenschwachen Jahrgänge. "2015 kommt der Einbruch, dann werden sich die Firmen hier in der Region um Lehrlinge prügeln", sagt Ausbildungsleiter Wiedmann.

Groz-Beckert stellt Nadeln her, nicht für den Hausgebrauch, sondern für die Industrie. Strick-, Wirk- und Nähnadeln für Textilien und Schuhe oder auch Tuftingnadeln, mit denen dreidimensionale Textilien wie Teppiche hergestellt werden. Lindner braucht viel Zeit, um einem Branchenfremden das Geschäft zu erklären. Das ist Teil des Problems.

Was BMW macht, weiß jedes Kind. In den Ranglisten der beliebtesten Arbeitgeber liegt der Autohersteller weit vorn. Firmen wie Groz-Beckert und viele andere Maschinenbauer tauchen darin gar nicht auf.

Umso größer ist die Herausforderung, gute Leute zu finden. Und die braucht Groz-Beckert überall auf der Welt. Im vergangenen Jahr setzte die Gruppe mit knapp 7000 Mitarbeitern rund 480 Millionen Euro um, davon nur noch zehn Prozent in Deutschland.

Schon Anfang der sechziger Jahre, lange bevor in Deutschland die Euphorie für Asien einsetzte, machte der schwäbische Mittelständler sein erstes Werk in Indien auf. "Jeder Inder bei uns weiß, was ein Muggaseggel ist", scherzt Lindner.

Der schwäbische Ausdruck für ein sehr kleines Maß. Asien ist der Wachstumsmarkt. Allein in China und Indien beschäftigt der Konzern mehr als 1600 Mitarbeiter. In Deutschland sind es weniger als 2000.

Manager in Fernost am liebsten aus Albstadt

Die Führungspositionen in Fernost besetzt Lindner am liebsten mit Leuten, die lange in Albstadt gearbeitet haben. "Die müssen Stallgeruch haben", sagt er. "Wir legen Wert darauf, dass unsere Firmenphilosophie eins zu eins auf alle Standorte übertragen wird."

Lindner könnte auch Chinesen oder Inder einstellen, die er eine Weile in Albstadt schult. "Aber bis ein Erwachsener die Firmenkultur verinnerlicht hat, dauert es 15 Jahre, und wenn er früher geht, ist das Know-how verloren", sagt der Firmenchef: "Wahrscheinlich bin ich die letzte Management-Generation, die mit Englisch als Konzernsprache durchkommt."

Die jungen Menschen sollen nicht nur die Sprache lernen, sondern ein Gefühl für fernöstliche Kultur bekommen, je früher, desto besser, am besten schon in der Schule.

Deshalb besuchen sie mit ihren Lehrern manchmal auch Ausstellungen über Asien und gehen chinesisch essen. Um die 60 Lehrstellen bei Groz-Beckert bewerben sich 800 Schulabgänger, die Hälfte davon für kaufmännische Berufe.

Einige Auszubildende sind Kombistudenten, sie gehen bei Groz-Beckert in die Lehre und studieren gleichzeitig an der Fachhochschule Informatik oder Maschinenbau. Auch die lernen Chinesisch. "Die wissen, was sie wollen", sagt Wiedmann.

Der Ausbildungsleiter sitzt mittendrin. Von seinem Büro aus sind es nur wenige Schritte in die Lehrwerkstatt. An den Säulen zwischen den Werkzeugbänken kleben weiße Blätter, auf denen die Bezeichnung des Gerätes in Deutsch und Englisch steht - ein permanentes Vokabeltraining. Die Lehrlinge bekommen in der Firma Englischunterricht. Für das, was Berufsschule und Universität nicht liefern, sorgt Groz-Beckert selbst.

© SZ vom 21.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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