Bildungspolitik:"Deutschland fällt weiter zurück"

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Nach dem schlechten Abschneiden bei der Pisa-Studie habe keine grundlegende Reform stattgefunden, sagt ein Sprecher der OECD. Bund und Ländern fehle eine "strategische Vision".

Von Marco Finetti

Der Bildungsexperte der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), Andreas Schleicher, hat davor gewarnt, dass Deutschland im internationalen Bildungsvergleich noch weiter zurückfällt.

Wenige Tage vor der Präsentation des jährlichen Bildungsberichts der OECD sagte Schleicher der Süddeutschen Zeitung, trotz der Veränderungen im Schul-, Hochschul- und Ausbildungssystem, die seit dem schlechten deutschen Abschneiden in der Pisa-Studie vor drei Jahren eingeleitet worden seien, fehle die grundlegende Reform noch immer. "Die Veränderungen sind zu kleinschrittig und zu langsam." Kinder und Jugendliche würden weiter zu wenig gefördert.

Nach Ansicht von Schleicher, der bei der OECD die weltweite Pisa-Studie koordiniert, fehlt der Bildungspolitik der Länder und des Bundes vor allem eine "strategische Vision". Deutschland habe noch immer nicht genügend erkannt, "dass Bildung die entscheidende Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Wandel ist". Andere Staaten wie Pisa-Sieger Finnland hätten daraus Konsequenzen gezogen und ihr Bildungssystem grundlegend reformiert.

Dagegen würden in Deutschland die Schüler weiter nach dem traditionellen Schulsystem eingestuft und aussortiert und zu wenig individuell gefördert. Insgesamt ziele die Ausbildung an Schulen, Hochschulen und in der beruflichen Bildung zu sehr darauf ab, den gegenwärtigen Bedarf auf dem Arbeitsmarkt abzudecken. "Wir brauchen aber eine Ausbildung, die junge Menschen befähigt, Wirtschaft und Gesellschaft zu verändern."

Kultusministerkonferenz weist Vorwürfe zurück

Schleicher erneuerte auch die Kritik der OECD an den Bildungsausgaben in Deutschland. Der Staat investiere zu wenig und setze überdies die Akzente falsch. "Gerade bei Kindern in den ersten Lebensjahren, in denen Pädagogen am meisten erreichen können, sind die Ausgaben niedrig."

Vergleichsweise viel werde dagegen in die Studenten investiert, sagte Schleicher, der am Dienstag mit Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn und Steffen Reiche (beide SPD), dem brandenburgischen Bildungsminister und Vizepräsidenten der Kultusministerkonferenz (KMK), den Bericht "Bildung auf einen Blick" vorstellen wird, der die Bildungssysteme der OECD-Mitgliedstaaten vergleicht.

Die Präsidentin der KMK, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD), wies die Kritik Schleichers als "völlig unbegründet" zurück. "Wir haben nach Pisa eine grundlegende Reform eingeleitet", sagte Ahnen der SZ. Sie nannte als Beispiele die bundesweiten Bildungsstandards sowie den Ausbau der frühkindlichen Bildung und der Ganztagsschulen.

"Befremdet" zeigte sich Ahnen über den Zeitpunkt der Kritik, zumal der OECD-Bericht den Ländern und dem Bund noch nicht im Detail bekannt sei. Das Bundesbildungsministerium kommentierte Schleichers Kritik mit den Worten, für den Bund habe Bildung bereits "höchste Priorität".

© Süddeutsche Zeitung vom 13.09.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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