Berufseinsteiger zum Billigpreis:BWLer mit Diplom für schlappe 530 Euro im Monat

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Besserer Job, mehr Verantwortung, weniger Geld: Deutsche Akademiker wandern nach Indien aus.

Der Frust über den Arbeitsmarkt in der Heimat treibt deutsche Akademiker inzwischen bis nach Indien. Die Arbeitsagentur hat der Firma Evalueserve in Gurgaon bei Neu Delhi die ersten deutschen Wirtschaftswissenschaftler vermittelt. Das Unternehmen will das Pilotprojekt künftig ausbauen. Zehn-Stunden-Tage sind für die deutschen Gastarbeiter normal, auch 14 Stunden kommen vor - dafür bekommen sie ein Gehalt, für das in Deutschland kein Hochschulabsolvent einen Finger krumm machen würde. Trotzdem: Die Deutschen sind zufrieden in Indien, wo die Wirtschaft boomt und Aufbruchstimmung in der Luft liegt.

Mehr Verantwortung, mehr Spaß: Berufseinstieg in Indien. (Foto: Foto: dpa)

Marcel Lee, Andrea Demsic und Marita Brischke heißen die ersten deutschen Jungakademiker bei Evalueserve. Die Firma analysiert weltweit Märkte für internationale Unternehmen. Alle drei sind hochmotiviert, und sie haben seit kurzem einen Hochschulabschluss in Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre in der Tasche. Außerdem eint sie, dass sie in Deutschland keinen angemessenen Job finden konnten.

Mit einem Nettogehalt von knapp 530 Euro bietet ihnen Evalueserve für deutsche Verhältnisse kaum finanzielle Anreize. Dafür werden sie aber reich an Erfahrung. Und damit, so hoffen sie, steigern sie nach der Rückkehr ihre Chancen auf dem angespannten deutschen Arbeitsmarkt. Lee begann sein BWL-Studium mit 18, mit 22 machte der Berliner sein Diplom. Ein Jahr ging er zur Bundeswehr, "dann saß ich da", sagt er. "Ich habe mich bei einer ganzen Reihe von Stellen beworben, aber in Deutschland sah es nicht toll aus." Ein Angebot kam schließlich von einem koreanischen Ingenieurbüro, ein weiteres von Evalueserve.

Lee entschied sich für die Firma in Indien, denn "hier bin ich mit Weltklassekunden vernetzt". Er kam mit einem Halbjahresvertrag, über ein Jahr später ist er immer noch in Gurgaon. "Ich werde mir Zeit lassen mit meiner Rückkehr", sagt Lee. "Es ist keine Dauerlösung, aber es gefällt mir gut, und ich fühle mich wohl."

Bei Evalueserve bekämen die deutschen Berufsanfänger weit mehr Verantwortung, als das in der Bundesrepublik der Fall wäre, sagt Holger Siemons, der das internationale Analystenteam des Unternehmens aufbaute. Zunächst habe Evalueserve nur deutsche Studenten als Praktikanten beschäftigt. "Dass arbeitslose Akademiker zu uns kommen, ist ein neues Phänomen." Siemons war es, der sich auf der Suche nach deutschen Mitarbeitern an die Arbeitsagentur wandte. "Die Erfahrungen sind sehr gut", sagt der Aachener. "Wir sehen auch, dass wir auf Grund des Erfolges mehr Nachfrage bei den Kunden generieren." Evalueserve wolle das Projekt nun "rapide ausbauen".

Beide Seiten profitierten von dem Konzept, sagt der Indien-Chef von Evalueserve, Ashish Gupta. Die Firma beschäftigt - neben 1100 indischen Mitarbeitern und den Deutschen - noch Ausländer etwa aus Frankreich, Spanien, Südamerika, Korea, China und der Türkei. "Wir arbeiten viel mit Unternehmen zusammen, die nicht aus dem englischsprachigen Raum sind", sagt Gupta. Wichtig sei nicht nur die Sprache, sondern auch das kulturelle Verständnis. "Deutsche Kunden fühlen sich einfach sehr viel wohler, wenn sie mit einem Deutschen sprechen." Viele der Ausländer bekämen nach dem Aufenthalt in Indien gute Jobs in der Heimat - wegen der gesammelten Erfahrung.

Der Auslandsaufenthalt und die "interkulturelle Kompetenz" machten sich gut im Lebenslauf, sagt Andrea Demsic. Zudem sei man nach der Rückkehr kein Berufsanfänger mehr. Nach dem Studium in Jena fand die 29-Jährige in Deutschland keinen Job, der ihr zusagte. Mitte April begann sie bei Evalueserve, kurz danach heuerte ihre Kollegin Marita Brischke an. "Der deutsche Arbeitsmarkt nervt", sagt die 30-jährige Würzburgerin. "Für Berufseinsteiger sieht es sehr schlecht aus." Demsic betont: "Wenn man die Ansprüche herunterschraubt, dann bekommt man schon einen Job in Deutschland. Aber dann hätte ich nicht VWL studieren müssen."

Ein weiterer Vorteil an Indien: Man entkomme der "schlechten Stimmung" in der Heimat. "Hier tut sich wirklich was im Gegensatz zu Deutschland. Hier hat man gar keine Zeit zu motzen."

© dpa, Can Merey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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