Bachelor of Science:Durch die gläserne Decke

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An der Fachhochschule Bingen können Laboranten auch ohne Abitur zum Akademiker werden.

Christine Demmer

Als er seine Chance bekam, steckte Ralf Kiesling aus Biberach mitten im fünfzehnten Berufsjahr als Chemielaborant beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Von seinem Arbeitgeber erfuhr er von einem nebenberuflichen Ingenieursstudium, zu dem Chemielaboranten auch ohne Abitur zugelassen werden würden. Obwohl er Abitur hat, war Kiesling interessiert und fragte seinen Vorgesetzten, den Laborleiter, was der davon hielte. Der ermunterte ihn und stellte ihm in Aussicht, dass er nach dem Studium eines Tages einen Job mit Führungsaufgaben bekommen könnte. Der Chef ist mittlerweile in Pension, und Kiesling ist Laborleiter.

Ralf Kiesling: "Man muss viel Zeit investieren, aber es hat auch Spaß gemacht." (Foto: Foto: oH)

Fast alle Chemie-, Physik- und Biologielaboranten, Chemikanten, Pharmazeutisch-Technische Assistenten und Angehörige ähnlicher Berufe stoßen einige Jahre nach dem Abschluss ihrer Berufsausbildung an eine gläserne Decke. Ohne sie geht in den industriellen Novitätenküchen zwar gar nichts, aber die Chefposten gehören traditionell promovierten Chemikern und den Ingenieuren.

Für Mittelgereifte sollte das allerdings kein Grund zum Verzweifeln sein. Denn an der Fachhochschule Bingen werden gelernte Laboranten auch ohne Reifezeugnis berufsbegleitend zum Bachelor of Science weitergebildet. Gut vier Jahre lang dauert der Marsch in die Welt der Akademiker. Danach können sie sich um Positionen bewerben, die ihnen als Laboranten verschlossen bleiben.

Verknüpfung von Wirtschaft und Hochschule

Angeregt wurde der berufsintegrierende Studiengang Prozesstechnik an der Fachhochschule Bingen von der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Er sollte den Firmen den dringend benötigten qualifizierten Nachwuchs sichern und den Berufstätigen ohne Beschäftigungsrisiko und Finanzierungsprobleme den Aufstieg ermöglichen. Hans-Günther Glass, Geschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands der chemischen Industrie in Wiesbaden, lobt den Studiengang in höchsten Tönen: "Das ist eines der Paradebeispiele für die Verknüpfung von Wirtschaft und Hochschule. Die Absolventen haben gute Chancen, aus der beruflichen Erstausbildung heraus Karriere zu machen."

Ohne ernsthaftes Büffeln und den unbedingten Willen, das Studium neben dem Job durchzuziehen und mit Anstand zu Ende zu bringen, geht es freilich nicht. Manche stellen sich das zu leicht vor. "Von den 47 Teilnehmern, mit denen wir 2002 den ersten Jahrgang gestartet haben, haben immerhin 31 bis zum Schluss durchgehalten", sagt Professor Paul-Gerhard Schuch. Die folgenden Jahrgänge waren dünner besetzt als der erste. Doch der Durchhänger scheint überwunden zu sein. Zuletzt hatten sich wieder 55 Interessenten um einen Studienplatz beworben. Der jüngste Teilnehmer war übrigens knapp 20 Jahre alt.

Wie früher Ralf Kiesling arbeiten die Studenten vier Jahre lang von Montag bis Freitag im Labor - eine Teilzeitbeschäftigung erkennt die Fachhochschule aber auch an. Sie fahren im Semester neben einer kompletten Studienwoche jedes zweite Wochenende nach Bingen, um dort die Bänke im Hörsaal zu drücken. Das verschlingt Freizeit - allein für den Unterricht pro Jahr 42 Tage - Fahrtkosten und die Aufwendungen für Logis in nahegelegenen Hotels und Pensionen.

Leise Unzufriedenheit

Außerdem auf dem Lehrplan stehen Übungen, Hausarbeiten, Praktika sowie im letzten Semester eine Abschlussarbeit zwecks Erlangung des Bachelor-Grades. Eigens dafür hatte der Biberacher drei Monate lang bei einem Unternehmen in den USA praktiziert. "Das alles war ziemlich anstrengend", sagt Kiesling, "man muss viel Zeit investieren, aber es hat auch Spaß gemacht. Für mich jedenfalls war es der richtige Schritt."

Für andere freilich erweist sich die Hoffnung, sofort nach dem Examen ein Treppchen höher steigen zu können, als verfrüht. "Leider kommen nicht alle gleich schnell weiter", räumt Professor Schuch ein. Seine Begründung: "Der Bachelor ist halt noch nicht so bekannt. Zwar begrüßen die Firmenleitungen diesen Abschluss, doch die Laborleiter haben davon oftmals noch kein richtiges Bild." Dank seiner Statistik weiß der Studiengangsleiter jedoch genau, was aus den bisherigen Absolventen geworden ist. "Nach einem knappen Jahr sind etwa zwei Drittel in einer Ingenieursposition tätig. Der Rest sucht noch und ist leise unzufrieden."

Zusätzlich könnten die Bingener Prozessingenieure nun den Master-Abschluss im Maschinenbau oben draufsatteln, aber der wird nicht berufsbegleitend angeboten. Schuch und seine Kollegen denken noch darüber nach. Wenn es nicht mehr so lange dauert, wäre Ralf Kiesling sicher mit von der Partie.

Wo lernt man das?

Der berufsbegleitende Bachelor-Studiengang Prozesstechnik startet jeweils im Wintersemester an der Fachhochschule Bingen, Berlinstraße 109, 55411 Bingen, Tel. 06721-409202 www.fh-bingen.de. Bewerbungsschluss ist der 15. Juli. Die Gebühren betragen 989 Euro pro Semester. Voraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung: mittlerer Bildungsabschluss, Fachhochschulreife oder Abitur sowie eine abgeschlossene Berufsausbildung als Chemie-, Physik- oder Biologielaborant/in, Chemikant/in, PTA oder in einem benachbarten Bereich. Von Bewerbern mit einem mittleren Bildungsabschluss wird eine Lehrabschlussnote von mindestens 2,5 sowie Berufspraxis von wenigstens zwei Jahren Dauer verlangt.

© SZ vom 23.2.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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