Ausbildung von Medizinern:Wann ist ein Arzt ein Arzt?

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Angst vor dem Schmalspur-Mediziner: Die geplante Umstellung des Studiengangs auf Bachelor und Master weckt Befürchtungen.

Susanne Schäfer

Das abschreckende Szenario sieht so aus: Ein Patient leidet an Schlafstörungen. Am Empfang des Ärztehauses fragt ihn jemand nach seinen Beschwerden, von dort werden die Patienten gleich zum richtigen Arzt geschickt. Schlafstörungen erscheinen dem Mitarbeiter am Empfang nicht relevant genug für eine ärztliche Behandlung, so rät er dem Patienten, es einmal mit Baldriantabletten zu probieren, und schickt ihn wieder nach Hause. Tatsächlich hat der Patient eine schwere Depression, aber der Angestellte aus dem Ärztehaus hat die Krankheit nicht erkannt. Denn er ist kein Arzt, sondern hat einen Bachelor in Humanmedizin gemacht.

Einfache Operationen für Bachelor-Ärzte? Mediziner rätseln über die Zukunft ihres Berufsbildes. (Foto: Foto: AP)

Mit Bildern wie diesem warnen viele Ärzte davor, das Medizinstudium auf die Abschlüsse Bachelor und Master umzustellen. "Das Beispiel ist nicht aus der Luft gegriffen", sagt der Anästhesist Klaus Peter vom Klinikum Großhadern in München. "Wenn Schmalspur-Mediziner auf die Menschen losgelassen werden, bedeutet das eine Gefahr für die Patienten."

Andere Experten halten die geplante Änderung der Mediziner-Ausbildung für weniger dramatisch. "In Deutschland ist das Berufsbild des Arztes verkrustet", sagt der Chirurg Markus Büchler vom Universitätsklinikum Heidelberg. Seiner Ansicht nach würde es auch in Deutschland funktionieren, in der Humanmedizin die Abschlüsse Bachelor und Master einzuführen. So diskutierten beim Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung vergangene Woche im Ärztehaus Bayern Mediziner mit Vertretern der Krankenkassen und des Bayerischen Wissenschaftsministeriums über den Weg zum Arztberuf.

Im Jahr 1999 beschlossen europäische Staaten in Bologna, einen gemeinsamen Hochschulraum zu schaffen, damit zum Beispiel Absolventen leichter in anderen Ländern arbeiten können. Dies soll möglich werden, indem die inzwischen 45 beteiligten Staaten ihre Hochschulsysteme auf die Abschlüsse Bachelor und Master umstellen. In Deutschland ist noch unklar, ob und wie die Fächer geändert werden, die bisher mit einem Staatsexamen abschließen, also Jura, Lehramtsstudiengänge und Medizin.

"Ein praktizierender Arzt mit Bachelor-Abschluss ist sicherlich nicht das Ziel der Bologna-Reform," sagt Hartmut Wurzbacher vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, kann damit aber offensichtlich die Bedenken der Mediziner nicht vollständig ausräumen. Peter warnt trotzdem vor einer Umstellung der Mediziner-Ausbildung im Sinne der Bologna-Reform und fragt: "Lässt es sich durchhalten, dass die Abschlüsse Bachelor und Master keine Qualifikation für einen praktizierenden Arzt sind? Oder passiert es irgendwann doch, dass wir einfache Mediziner ausbilden?" Was bei dem Studium zum Master in Humanmedizin fehle, sei das Wissen darüber, wie Krankheiten entstehen, außerdem Erfahrungen in der Diagnostik und in der Behandlung von Krankheiten. Eben diese Fähigkeiten lerne ein angehender praktizierender Arzt bisher im Studium und in der Facharztausbildung.

Weitgehend einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darin, dass die Ausbildung zum Bachelor oder Master der Humanmedizin in Deutschland zusätzlich zum bisherigen Medizinstudium eingeführt werden könnte. Nur dürften die Absolventen dann nicht als Ärzte praktizieren, sondern könnten administrative und ökonomische Aufgaben im Gesundheitswesen übernehmen.

Missverständnisse bei der OP

Büchler schlägt vor, dass Absolventen mit Bachelor zum Beispiel als Manager eines Krankenhauses arbeiten könnten oder dem Arzt bei der Operation Arbeit abnehmen, ohne dabei selbst zu operieren. Der Pathologe Thomas Aretz von der Harvard Medical School bestätigt, dass ein solches System funktioniere - denn in den USA sei es bereits etabliert: "Dort helfen den Chirurgen bei Operationen so genannte Nurse Practitioners. Sie übernehmen die Arbeit, die Ärzte ehrlich gesagt ohnehin nicht gern selbst machen."

So gehöre es zum Beispiel zu den Aufgaben eines solchen Nurse Practitioners, Venen für einen Bypass aus dem Bein des Patienten zu entnehmen, erzählt Aretz. Die Ausbildung dieser Helfer dauert etwa fünf Jahre und ist damit kürzer als die zum praktizierenden Arzt, qualifiziert aber für deutlich mehr Aufgaben als die Ausbildung zur Krankenschwester oder zum Pfleger.

Wie aber sollen die Studenten ausgebildet werden, wenn einige von ihnen später als Ärzte praktizieren wollen, andere als Krankenschwestern mit weit reichenden Kompetenzen arbeiten und wieder andere ein Labor leiten oder bei einer Krankenkasse arbeiten? Büchler und Aretz befürworten ein Modell, in dem die Studenten mit den unterschiedlichen Berufszielen in den ersten Jahren des Studiums gemeinsam ausgebildet werden, nur mit unterschiedlichen Unterrichts-Modulen. Aretz argumentiert: "Die meisten medizinischen Fehler passieren in der Kommunikation zwischen den Vertretern verschiedener Berufe, zum Beispiel zwischen Ärzten und Krankenschwestern." Wenn diese Personen jedoch im Studium schon zusammenarbeiten würden, verstünden sie sich auch später im Operationssaal besser, folgert Aretz. "Es gäbe dann sicherlich weniger Missverständnisse zwischen ihnen."

Andere Diskussionsteilnehmer halten dieses Modell für nicht umsetzbar. Bernd Zwißler, Anästhesist am Klinikum der Universität Frankfurt am Main, befürchtet, dass die Inhalte der Ausbildungswege zu unterschiedlich wären: "Wer praktizierender Arzt werden will, muss etwas ganz anderes lernen als jemand, der einmal bei einer Krankenkasse oder in einem Labor arbeiten wird."

Zudem sieht er eine Verbesserung darin, dass Medizinstudenten schon in den ersten Jahren ihrer Ausbildung Erfahrungen in der klinischen Praxis machen, seitdem im Jahr 2003 die Approbationsordnung für Ärzte geändert wurde. "Jetzt haben wir gerade erst erkämpft, dass die Studenten schon früh einen praktischen Bezug bekommen", sagt Zwißler. Wenn nun die Studenten mit unterschiedlichen Berufszielen in den ersten Jahren gemeinsam ausgebildet würden, stünde in dieser Zeit wieder vorwiegend Theorie auf dem Lehrplan, befürchtet der Anästhesist Zwißler - denn wer kein Arzt werden will, muss nicht lernen, mit Patienten zu arbeiten, Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Daher sagt Zwißler: "Mehr Theorie in der Grundausbildung für angehende Ärzte wäre ein Rückschritt."

© SZ vom 26.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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