Ausbildung:In die Leere gehen

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Für 231.000 Schulabgänger gibt es 83.500 Ausbildungsplätze.

Von Jonas Viering

(SZ vom 12.8.2003) Der Minister, sagt er, will Gas geben. Das sagt er oft - diesmal meint der umtriebige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) die Lehrstellen. Mit einem ganzen Laster voller Jobdatenbanken und Bewerbungsvorlagen will Clement durchs Land kurven, um für Ausbildung zu werben - der Truck bei den Schülern, und Clement bei den Unternehmern. Am Montag hat er in Berlin bei Daimler, Saturn und der Deutschen Bahn damit angefangen - die Bahn, um ihr Image bemüht, rückte sogleich 570 neue Lehrstellen raus.

Allerdings ist der Bedarf noch etwas größer. 231.000 Jugendliche suchen derzeit, nur Wochen vor Beginn des Ausbildungsjahres Ende September, noch eine Lehrstelle. Ihnen steht ein Angebot von nur 83.500 unbesetzten Ausbildungsplätzen gegenüber. Nun schließt sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage oft erst sehr spät - aber in diesem Jahr fehlen derzeit im Vergleich zum Vorjahr mindestens 35.000 Lehrstellen mehr. "Die Lage ist dramatisch, da gibt es nichts zu beschönigen", sagt Stefan Kunkler, Ausbildungsexperte bei der Bundesanstalt für Arbeit.

Nun hat Clement vollmundig verkündet, jeder ausbildungswillige Jugendliche werde am Ende ein Angebot bekommen. Der Fachmann aus der Bundesanstalt kommentiert dies nur ungern und mit großer Vorsicht: "Es wäre schön, wenn das klappt." Doch insgeheim herrscht in der Nürnberger Bundesanstalt die Befürchtung, dass deutlich mehr Jugendliche als in den vergangenen Jahren keine Lehrstelle finden. Die Rede ist von bis zu 60.000.

Der Grund ist einfach: "Die Betriebe haben Angst", wie Kunkler sagt. Wegen der Unsicherheit in der Konjunkturkrise scheuen sie vor der Einstellung von "Azubis" zurück. Zudem klagen die Wirtschaftsverbände, das Bildungsniveau der Jugend - siehe Pisa - verkomme, sie sei zu einem immer größeren Teil nach der Schule kaum fähig zur Ausbildung. In der Bundesanstalt heißt es dagegen, gleichfalls unter Berufung auf Studien, die Jugendlichen seien heute schlechter in Rechtschreibung - aber besser im Erfassen komplexer Situationen. Dritter Kritikpunkt der Wirtschaft: Die Ausbildungsvergütung sei zu hoch, für manche Jobs sei auch die Ausbildungsdauer oder die Zeit in der Berufsschule zu lang.

Angesichts der Misere lohnt es, Clements Versprechen genauer zu betrachten. Mit Angebot meint er nicht nur Ausbildungsstellen, sondern auch Praktika oder gar nur Plätze in berufsvorbereitenden Maßnahmen außerhalb von Betrieben. Das rief bereits erste Proteste der Gewerkschaften hervor.

"Wir sind gegen eine Verstaatlichung der Ausbildung", stichelte der Sprecher des DGB - der selbst oft der Lust am Verstaatlichen geziehen wird. Das Angebot staatlicher Maßnahmen wie eben der Berufsvorbereitungskurse entlasse die Wirtschaft "aus ihrer gesellschaftlichen Pflicht" zur Ausbildung, so das Argument. Nur die duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule schaffe Qualifikation, wie der Standort sie brauche. Allerdings: In Ostdeutschland geht ohne die nicht-betriebliche Ausbildung längst nichts mehr. In der aktuellen Krise ist dem DGB, ganz wie Clement, jetzt auch nur eine PR-Kampagne eingefallen. In Kooperation mit der Deutschen Fußball-Liga lässt er Profis für Lehrstellen werben: Die Stadionsprecher.

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