Arbeitsrecht:"Wir können auf dich verzichten"

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Kündigung, Abfindung, Sozialauswahl: Was bedeutet es, wenn die Firma Stellen abbaut? Die wichtigsten Fragen und Antworten für Mitarbeiter.

Sibylle Haas

Die deutsche Wirtschaft steuert auf den schärfsten Abschwung der Nachkriegszeit zu. Viele Firmen versuchen zunächst, durch natürliche Fluktuation und Ähnliches Stellen abzubauen. Immer mehr Arbeitnehmern wird auch eine Abfindung angeboten, oder sie müssen mit einer Kündigung rechnen. Die wichtigsten Fragen und Antworten, wie sich ein Arbeitnehmer verhalten soll.

Gefeuert: Einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung gibt es nicht - aber Arbeitgeber lassen sich unter Umständen auf Deals ein. (Foto: Foto: iStock)

Gibt es einen Rechtsanspruch auf eine Abfindung?

Das deutsche Arbeitsrecht kennt keinen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung. Dies gilt auch bei betriebsbedingten Kündigungen langjährig beschäftigter Mitarbeiter, erklärt Frank Dahlbender, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Ulrich Weber & Partner in Köln. Allerdings könne eine Abfindung in einem Sozialplan oder Tarifvertrag als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes vorgesehen werden, ergänzt Boris Karthaus, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Hummel und Kaleck in Berlin. "Alle anderen Abfindungen sind Bestandteil eines Deals, mit dem der Arbeitgeber das Risiko, vor Gericht zu verlieren, ausschließen will", betont Karthaus.

Muss man ein Abfindungsangebot annehmen?

"Nein. Auch das Arbeitsgericht kann einen Arbeitnehmer dazu nicht zwingen", sagt Dahlbender. Wenn sich die Kündigung vor Gericht als unwirksam erweist, könne der Arbeitgeber allerdings den Antrag stellen, dass das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst wird, so Karthaus. Das Gericht wird dem nur stattgeben, wenn beispielsweise beide Seiten zerstritten sind.

Wie wehrt man sich gegen Druck, die Abfindung zu akzeptieren?

"Man muss sich darüber klar sein, dass die Abfindung das Prozessrisiko des Arbeitgebers im Falle einer Kündigung vermeiden soll. Je mehr Druck er macht, desto größer schätzt er offenbar das Risiko ein", erklärt Karthaus. Die Zusage, dass man, wenn man einen Aufhebungsvertrag akzeptiere, auch ein wohlwollendes Zeugnis bekäme, "ist eine Frechheit", sagt der Anwalt. "Darauf hat man ohnehin Anspruch." Er warnt davor, vorschnell etwas zu unterschreiben.

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Wann ist es sinnvoll, eine Abfindung anzunehmen?

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Wenn man einen neuen Job hat, von dem der alte Arbeitgeber nichts weiß, sagt Karthaus. "Nach einer Kündigung ist das Arbeitsverhältnis in der Regel belastet. Mit zunehmender Prozessdauer entfremdet sich der Arbeitnehmer zunehmend von seiner alten Stelle. Dann kann es sinnvoll sein, eine Abfindung zu akzeptieren", erklärt Dahlbender. Laut Karthaus lohnt sich eine Abfindung auch für diejenigen, für die das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, weil sie noch nicht länger als sechs Monate dabei sind oder weil der Betrieb weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigt.

Kündigt einem der Arbeitgeber, wenn man die Abfindung ablehnt?

"Häufig ja. Schließlich ist mit dem Abfindungsangebot die Botschaft verbunden 'Wir können auf dich verzichten'", so Karthaus.

Welche Nachteile drohen dann?

Wer ein Abfindungsangebot ablehnt und daraufhin gekündigt wird, müsse damit rechnen, im späteren Kündigungsschutzprozess keine Abfindung zu erhalten, erklären die Anwälte. Vor allem wenn man den Prozess verliert.

Worauf muss man achten, wenn man die Abfindung annimmt?

"Wer sich auf die Vereinbarung einer Abfindung einlässt, muss darauf achten, dass ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen wird. Mündliche Vereinbarungen sind unwirksam", betont Dahlbender. Meist habe ein Aufhebungsvertrag ohne Kündigung eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld zur Folge. "Man bekommt also die ersten drei Monate kein Arbeitslosengeld und danach auch nur noch für einen verkürzten Zeitraum von in der Regel neun Monaten", sagt Karthaus.

Auf der nächsten Seite: Wie berechnet sich die Abfindung? Wann kann betriebsbedingt gekündigt werden?

Wie berechnet sich die Abfindung?

"Es gibt landläufig eine Faustformel, die lautet: ein halbes Gehalt pro Jahr der Beschäftigung", sagt Dahlbender. Entscheidend komme es darauf an, wie die Aussichten des Arbeitgebers seien, gegebenenfalls das Arbeitsverhältnis einseitig durch eine wirksame Kündigung zu beenden.

Muss die Abfindung voll versteuert werden?

Ja, die Freibeträge sind abgeschafft. Die Abfindung kann steuerlich so behandelt werden, als stamme sie aus mehreren Jahren. Damit sinkt die durchschnittliche Steuerbelastung pro Jahr.

Wird die Abfindung auf das Arbeitslosengeld angerechnet?

"Nein, in der Regel nicht", erklärt Dahlbender. Man sollte bei der Vereinbarung der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses darauf achten, dass die geltenden ordentlichen Kündigungsfristen nicht verkürzt werden, rät der Anwalt.

Wann kann betriebsbedingt gekündigt werden?

Zum Beispiel bei allgemeinem Personalabbau oder wenn ganze Abteilungen geschlossen werden und es keine geeignete freie Stelle im Unternehmen gibt. "Die unternehmerische Freiheit umfasst auch grob unvernünftige Entscheidungen beim Personalabbau", behauptet Karthaus.

Was bedeutet die Sozialauswahl?

Die Sozialauswahl entscheidet über die Fragen, wen es erwischt. Sozialauswahl bedeutet laut Dahlbender, ob der Arbeitgeber vor dem Gekündigten nicht einem anderen vergleichbaren Arbeitnehmer hätte kündigen müssen. "Es kommt also entscheidend auf die Vergleichbarkeit an und darauf, wer unter den vergleichbaren Arbeitnehmern eines Betriebs am wenigsten sozial schutzwürdig ist", erklärt Dahlbender. Kriterien sind etwa Alter, Unterhaltspflichten, Betriebszugehörigkeit. "Häufig können Arbeitgeber auch der Versuchung nicht widerstehen, junge, dynamische Mitarbeiter als Leistungsträger zu deklarieren, um sie von der Sozialauswahl auszunehmen. Man darf aber nur Mitarbeiter ausnehmen, deren Spezialkenntnisse unverzichtbar sind. Das Kriterium ist enger als 'Er ist der Beste'", erläutert Karthaus.

Auf der nächsten Seite: Welche Fristen sind nach einer Kündigung einzuhalten? Ist es sinnvoll, gegen die Kündigung zu klagen?

Welche Fristen sind nach einer Kündigung einzuhalten?

Wer klagen will, muss dies spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung getan haben, sonst ist die Kündigung wirksam.

Ist es sinnvoll, gegen die Kündigung zu klagen?

"Ja, sofern die Aussichten im Kündigungsschutzprozess gut sind. Es gibt jedoch auch genügend Fälle, in denen man einem Mandanten von der Erhebung der Kündigungsschutzklage abrät. Dann nämlich, wenn er damit das Angebot zur Zahlung einer Abfindung ausschlagen würde und gleichzeitig das Risiko groß ist, dass der Arbeitgeber den Prozess gewinnt", sagt Dahlbender.

Wo bekommen Arbeitnehmer arbeitsrechtliche Hilfe?

Arbeitnehmer sollten damit rechnen, dass ihre Firma einen Anwalt einschaltet. Daher empfiehlt es sich auch für die betroffenen Mitarbeiter oft, juristische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auf Arbeitnehmerinteressen ausgerichtete Kanzleien findet man beispielsweise im Internet unter www.arbeitnehmer-anwaelte.de.

© SZ vom 11.2.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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