Arbeitsrecht:Der Beweis der Unfähigkeit

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Sie sind völlig überfordert, stören die Kollegen oder verweigern die Arbeit - trotzdem ist es schwer, sogenannte Minderleister loszuwerden.

Ina Reinsch

Es war ein dummes Missgeschick mit fatalen Folgen: Der Logistik-Manager eines großen Unternehmens war für den gesamten Rohstoff- und Warenversand zuständig - eine verantwortungsvolle Position mit einem monatlichen Bruttogehalt von 6050 Euro. Als in seinem Verantwortungsbereich ein Sicherheitsschlüssel abhandenkam, mussten sämtliche Spezialschlösser ausgewechselt werden. Kostenpunkt: 450.000 Euro.

Lieber Fingernägel lackieren als arbeiten: Entpuppt ein Mitarbeiter sich als Low Performer, bleiben häufig nur arbeitsrechtliche Schritte. (Foto: Foto: ddp)

Die Quittung für die Nachlässigkeit erhielt er in Form einer verhaltensbedingten Kündigung wegen Schlechtleistung. Zu Unrecht, meinten die Richter des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz und verurteilten den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung des Managers (21.08.2008, Az.: 2 Sa 47/08). Außerdem stellten sie klar: Unzureichende Arbeitsleistungen können zwar eine Kündigung rechtfertigen. Zuvor hätte der Angestellte jedoch abgemahnt werden müssen.

Die schlechtesten fünf Prozent müssen gehen

Das Urteil ist nur eines von vielen, das zeigt, dass Unternehmen zwar gerne versuchen, sich von leistungsschwachen Mitarbeitern zu trennen, in der Praxis damit aber ihre Schwierigkeiten haben. Das bestätigt Ulrich Tschöpe, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Gütersloh. "Oft ist es sehr schwierig, die Schlechtleistung zu beweisen. Das liegt an der komplizierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts." Danach schuldet der Arbeitnehmer der Firma in der Regel nämlich keinen bestimmten Erfolg, sondern muss lediglich seine individuelle Leistungsmöglichkeit voll ausschöpfen. "Er muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann", urteilt das Bundesarbeitsgericht (BAG) (11.12.2003, Az.: 2 AZR 667/02).

Kernfrage ist somit, ob ein Mitarbeiter tatsächlich Leistungsdefizite hat. Der Chiphersteller Infineon etwa war vor Jahren mit einem Leistungsprogramm vorgeprescht, das sogenannte Minderleister oder "Low Performer" unter den Mitarbeitern identifizieren sollte. Jedes Jahr sollten die schlechtesten fünf Prozent ihren Hut nehmen. 2003 wurde das Konzept gekippt und mit ihm der damalige Personalchef Jürgen Buschmann. Dabei hatte der sich wohl nur an der Faustformel des langjährigen General-Electric-Chefs Jack Welch orientiert. "20-70-10" lautet dessen harte Devise: 20 Prozent sind Topleister, 70 Prozent machen einen ordentlichen Job, und auf die restlichen "bottom ten" kann man verzichten.

Absichtlich langsam arbeiten

"Dass Mitarbeiter hinter den Leistungen ihrer Kollegen zurückbleiben, reicht allein nicht aus", sagt der Münchner Anwalt Bernd Haas. "Um festzustellen, ob ein Mitarbeiter tatsächlich ein Low Performer ist, muss man seine jetzigen Arbeitsergebnisse entweder mit seiner früheren Leistung vergleichen oder damit, was allgemein von einem vergleichbaren Mitarbeiter verlangt werden kann."

Die Leistungsdefizite können dabei in verschiedenen Bereichen liegen. Ein Blick in arbeitsgerichtliche Fallsammlungen zeigt, wie weit das Spektrum reicht: Der Fräser, der absichtlich langsam arbeitet und statt der üblichen 170 Stück nur 74 produziert, der Orchestermusiker, der falsch spielt oder die Systemmanagerin, die nach einer Versetzung von den Aufgaben an ihrem neuen Arbeitsplatz völlig überfordert ist.

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Am Geldbeutel packen

Am einfachsten wäre es für Arbeitgeber, wenn sie Minderleister bereits im Einstellungsprozess erkennen könnten. "Konterkariert wird dieses Bestreben jedoch durch die schier endlosen Dokumentationspflichten, die heute mit einer Bewerbung einhergehen", sagt der Bereichsleiter eines medizintechnischen Unternehmens, der nicht namentlich genannt werden will. "Wenn ich mir einen Bewerber ansehe und der einigermaßen passt, dann nehme ich ihn."

Entpuppt er sich dann als Low Performer, bleiben häufig nur arbeitsrechtliche Schritte. Den Mitarbeiter da zu packen, wo es weh tut, nämlich am Geldbeutel, funktioniert allerdings nicht. Haas: "Gehaltskürzungen sind nicht zulässig. Anders als etwa im Kaufrecht gibt es beim Arbeitsvertrag nämlich keine Minderung."

Kein Toleranzwert

Die Kündigung ist dann das letzte Mittel. Will der Mitarbeiter nicht mehr leisten, obwohl er könnte, kann der Chef aus verhaltensbedingten Gründen kündigen. "Bei quantitativen Fehlern lässt das BAG eine Kündigung in der Regel erst bei einer Unterschreitung der Durchschnittsleistung von etwa 30 Prozent zu", erklärt Arbeitsrechtler Tschöpe. Wenn hingegen eine Ärztin eine Blutkonserve verwechsle, gebe es keinen Toleranzwert. "Hier kann auch ein einmaliger qualitativer Fehler zu einer Kündigung führen." Regelmäßig muss der Mitarbeiter vorher abgemahnt werden und ausreichend Zeit erhalten, seine Minderleistung abzustellen. Tschöpe: "Wie viel genau, hängt vom Einzelfall ab."

Für den Arbeitgeber ist es oft schwierig zu beweisen, dass der Mitarbeiter willentlich und damit schuldhaft weniger leistet. Im Prozess hilft ihm die sogenannte abgestufte Darlegungs- und Beweislast. "Der Arbeitgeber muss zunächst darlegen, dass die messbaren objektiven Arbeitsergebnisse deutlich hinter denen anderer vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben", sagt BAG-Richter Christoph Schmitz-Scholemann. "Dies gilt als Indiz." Dann sei es Sache des Arbeitnehmers, seine Einwände vorzubringen, etwa dass die Vergleichszahlen nicht stimmten oder er aus Krankheits- oder Altersgründen nicht mehr leisten könne. "Manchmal", so Schmitz-Scholemann, "liefert er damit allerdings Argumente für eine personenbedingte Kündigung."

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Erhebliche Minderleistung

Kann der Mitarbeiter nämlich nicht mehr leisten, obwohl er will, etwa weil er an seine intellektuellen Grenzen stößt oder krank ist, kann der Arbeitgeber personenbedingt kündigen.

"Eine Abmahnung ist hier grundsätzlich nicht erforderlich", erklärt Haas. Es müsse aber absehbar sein, dass der Mitarbeiter auch in Zukunft keine bessere Leistung erbringen wird. "Daher sollte der Arbeitgeber ihm zunächst Schulungen oder die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz anbieten", rät er. Allerdings müsse die Minderleistung auch hier eine gewisse Erheblichkeit haben, etwa 30 Prozent.

Vergiftetes Betriebsklima

Manchmal kann jedoch auch perfektes Arbeiten verlangt werden. So in dem Fall, den das Landesarbeitsgericht Brandenburg zu entscheiden hatte. Dort traf ein Orchestermusiker "veranlagungsbedingt" nicht immer jeden Ton und brachte damit das ganze Orchester in Verruf. Das Gericht hielt seine Kündigung für wirksam (21.03.1994, Az.: 4 (5/4) Sa 369/92).

Arbeitgeber, die einen Showdown vor Gericht vermeiden wollen, greifen gerne zum Aufhebungsvertrag - nach Einschätzung des Münchner Anwalts in vielen Fällen der Königsweg. Denn ein Prozess vergiftet nicht nur das Betriebsklima, sondern ist meist teuer und aufwendig. Die Frage ist nur, was sich das Unternehmen eine geräuschlose Trennung kosten lässt. "Die Höhe einer Abfindung richtet sich grundsätzlich nach dem Risiko eines Prozesses", sagt Haas, "sie hängt aber auch vom Verhandlungsgeschick der Parteien ab."

© SZ vom 25.4.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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