Arbeitsmarkt-Krise:"Eine Kündigung muss keine Katastrophe sein"

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Umstrukturierungen, Fusionen, Pleiten: Kein Job ist sicher. Die Psychologin Madeleine Leitner erklärt, welche positiven Seiten eine Entlassung haben kann.

I. Hoffinger

Umstrukturierungen, Fusionen, Pleiten: Kein Arbeitsplatz ist sicher. Eine Kündigung kann auch die besten Mitarbeiter treffen. Trotzdem existieren Vorurteile gegenüber Menschen, die ihren Job verloren haben. Die Psychologin und Karriereberaterin Madeleine Leitner aus München erklärt, woran das liegt und welche positiven Seiten eine Entlassung haben kann.

Madeleine Leitner: "Charakterliche oder fachliche Defizite spielen bei einer Kündigung fast nie eine Rolle." (Foto: Foto: oH)

SZ: Bedeutet eine Kündigung automatisch einen Karriereknick?

Madeleine Leitner: Nur, wenn man selbst das Gefühl hat, gescheitert zu sein. Je mehr man eine Kündigung als Katastrophe betrachtet, desto negativer wirkt sie sich auf die Karriere aus. Jeder sollte wissen, dass man mit seiner Firma nicht verheiratet ist und Trennungen häufig vorkommen. Entlassungen haben in der Regel mit äußeren Umständen zu tun, mit Einsparungen, Fusionen oder einem Wechsel an der Führungsspitze. Charakterliche oder fachliche Defizite spielen fast nie eine Rolle. Man sollte eine Kündigung nicht als persönliche Niederlage empfinden.

SZ: Leichter gesagt als getan. Warum fühlen sich Betroffene oft wie Verlierer?

Leitner: Weil sie die Schuld bei sich suchen und sich fragen: Warum hat es ausgerechnet mich erwischt? Außerdem ist es nicht leicht, sich von gesellschaftlichen Zwängen frei zu machen. Wir sind gewohnt, uns über unsere Leistung zu definieren. Wer hart arbeitet, bekommt viel Anerkennung. Wer seinen Job verliert, schämt sich, weil er glaubt, nichts wert zu sein. Oft schüren auch schiefe Blicke von Kollegen Selbstzweifel. Wenn Kollegen komisch reagieren, sollte man sich klarmachen, dass sie vielleicht selbst um ihre Jobs fürchten.

SZ: Oft heißt es, dass gute Mitarbeiter ihre Jobs behalten und schlechte gefeuert werden. Wieso glauben das viele Leute?

Leitner: Weil es ihnen hilft, mit ihrer eigenen Angst vor einem Jobverlust besser umzugehen. Wer glaubt, dass er sich nur genug anstrengen muss, um seine Anstellung zu behalten, fühlt sich sicherer. Eigentlich ist das ein guter Trick der eigenen Psyche. Nach einer Theorie des Psychologen Martin Seligman führt das Gefühl, einer Situation ohnmächtig ausgeliefert zu sein, zu lähmenden Depressionen.

Wer dagegen überzeugt ist, sein Schicksal in der Hand zu haben, fühlt sich stärker. Andererseits kommen durch diese Denkweise auch viele ungerechtfertigte Urteile zustande. Wenn sich Kollegen zum Beispiel überlegen, warum einem Mitarbeiter gekündigt wurde, heißt es schnell: Der hatte nichts drauf. Oder: Der war eben zu schwierig.

SZ: Wenn man mehrfach entlassen oder befristet eingestellt wird - wie kann man sich vor Existenzängsten schützen?

Leitner: Wer einen Job anfängt, sollte sich nicht darauf verlassen, dass er ihn auch behält. Natürlich sollte man sein Bestes geben. Es ist aber unglaublich beruhigend, einen Plan B im Kopf zu haben. Auch wenn man mit seiner Arbeit zufrieden ist, sollte man sich überlegen, was man sonst noch gern machen würde. Wer keine Alternative hat, etwa eine Selbständigkeit, lässt sich meist zu viel gefallen. Ich habe eine Frau kennengelernt, die jahrelang von ihrem Chef gemobbt wurde und aus Angst, keine andere Stelle zu finden, nie sagen konnte: Mir reicht's! Gute Alternativen verhindern Abhängigkeit von einem Arbeitgeber.

SZ: Wie kann man auf einen Jobverlust reagieren?

Leitner: Man sollte sich bewusst machen, dass die durchschnittliche Dauer von Arbeitslosigkeit nur 33 Wochen beträgt. Das nimmt der Situation den Schrecken. Dann sollte man den informellen Stellenmarkt sondieren und bei Bekannten nachfragen, ob sie von freien Jobs wissen. Nur ein Viertel aller Stellen werden durch Bewerbungsverfahren besetzt. Und drittens sollte man die Gelegenheit nutzen und sich fragen, was man von seiner Arbeit erwartet, um glücklich zu sein. Manche Menschen haben Berufe, die gar nicht zu ihnen passen. Jede Zäsur bietet eine Chance für einen Neuanfang.

© SZ vom 15.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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