Arbeitsmarkt:Erst die Idee, dann der Auftrag

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Freischaffende Kreative gehen mit immer mehr Vorschlägen in Vorleistung - und erhalten dafür weniger Honorar.

Christine Demmer

Unter Fotografen, Designern, Autoren und Filmproduzenten tobt ein mörderischer Wettbewerb. Viele freischaffende Kreative sind in den letzten vier Jahren als Selbstständige auf den Markt geströmt, oftmals notgedrungen. In Verbindung mit dem eisernen Sparkurs der Unternehmen führt die Flut neuer Anbieter zu einem Kampf um die Budgets. Die Folgen: Tausende von Kreativen - als Freiberufler nicht arbeitslosengeldberechtigt - drohen auf Hartz-IV-Niveau abzustürzen. Wer das nicht will, muss noch mehr, noch schneller und für noch weniger Geld arbeiten. Sogar längst etablierten Selbstständigen geht es an den Kragen.

(Foto: Foto: photodisc)

"Der Konkurrenzdruck unter den Fotografen und Journalisten ist so hart wie nie", sagt Stefan Enders. Er hat 1995 die Initiative "FreeLens" ins Leben gerufen, um die Marktposition der selbstständigen Fotografen zu stärken. Der technische Umbruch, den die Digitalisierung ausgelöst hat, macht ihnen schwer zu schaffen. "Die Redaktionen wollen keine Bilder mehr haben, sondern druckfertig aufbereitete Daten", sagt Enders. Also sind die Fotografen gezwungen, sich das modernste Equipment anzuschaffen und alle zwei Jahre zu erneuern. "Das ist eine wahnsinnige Investitionslast."

Früher wurden die entwickelten Fotos einfach in die Redaktionen geschickt, heute müssen die Dateien digital aufbereitet werden. "Dabei wird dieselbe Qualität erwartet, wie sie vor wenigen Jahren noch von den Technikern in den Verlagen erbracht wurde - nur müssen wir das jetzt leisten. Da haben die Kunden still und leise eine komplette Produktionsstufe auf die Freien verlagert." Wird das bezahlt? "Natürlich nicht."

Längst arbeiten freie Fotografen zu Honorarsätzen, für die sich vor zehn Jahren kein Praktikant hergegeben hätte. Innenarchitekten sind für weniger als 250 Euro pro Tag zu haben, Reisespesen inbegriffen. Junge Designer halten sich mit elterlichen Zuschüssen, gut verdienenden Partnern oder Kneipenjobs über Wasser. Mediengestalter bieten sich für Gottes Lohn an, wenn nur die Aussicht auf einen Dauerauftrag gewährt wird. Und viele davon investieren jeden zweiten verdienten Euro in technisches Equipment, ohne das sie überhaupt keine Chance auf einen Auftrag hätten.

Maßgeschneiderte Entwürfe

Geradezu tektonische Verschiebungen in der Wertschöpfungskette zu Lasten der Dienstleister beobachtet Michael Lammel aus Aachen. Der erfolgreiche Designer entwirft Waschbecken, Armaturen, Kamine und andere Gebrauchsobjekte. Als er vor acht Jahren seine Firma Noa gründete, überlegten sich die Hersteller noch, welche Produkte sie haben wollten, und orderten beim Designer Entwürfe. Er lieferte, sie produzierten.

Heute muss sich Lammel überlegen, was welcher Hersteller wohl wollen könnte, er entwirft, entwickelt einen Prototyp, lässt diesen anfertigen und geht damit erst zum Kunden. Der kauft dann die Idee - oder auch nicht. Falls nicht, bleibt der Designer auf seinem Einfall sitzen, denn der ist ja passgenau auf den Kunden zugeschnitten. Die Industrie hingegen kann sich die eigene Entwicklung sparen - und das genau ist das Ziel.

"Man muss mit dem richtigen Produkt zum richtigen Zeitpunkt beim richtigen Hersteller sein", sagt Lammel, "das Risiko und die Entwicklungskosten haben sich auf die Designer verlagert." Für Newcomer und Einzelkämpfer ist diese Last kaum zu schultern. "Bei uns arbeitet ein Entwickler schon mal bis zu einem Jahr lang an einer Produktidee, bevor wir damit an die Industrie herantreten", sagt der Designer. "Da muss man sich sehr gut überlegen, in welche Idee man investiert." Und auch, wie viel Betreuungsaufwand man für einen Kunden treiben kann in der Hoffnung, sie an sich zu binden.

Freiberufliche Werber oder Öffentlichkeitsarbeiter werden fast nur noch projektweise engagiert - für Stunden oder Tage, höchstens für ein paar Wochen. Lang laufende Verträge sind tabu - schon morgen könnte ja ein anderer Dienstleister den Job für kleineres Geld machen. Gleichzeitig müssen die Imagebildner Gewehr bei Fuß stehen, denn neben dem Preis sind Flexibilität und Verfügbarkeit ihre einzigen Waffen im Kampf um die mageren Budgets. Sieglinde Schneider, Inhaberin der Wiesbadener PR-Agentur Accente Communications beschreibt den Drahtseilakt: "Die Balance zwischen genügend Personal und ausreichenden Aufträgen bei hohem Akquisitionsaufwand ist immer schwerer zu halten. Es überlebt nur, wer sein Kostenmanagement generalstabsmäßig führt und gleichzeitig den Anschein von Großzügigkeit aufrecht erhalten kann."

In der Akquise wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Firmen erwarten komplexe Angebotspräsentationen samt ausgefeilter Ideen - kostenlos, versteht sich. Selbst Kleinstaufträge vergeben sie im Wettbewerb. "Wir werden schon für einen Powerpoint-Vortrag zum Pitch mit vier anderen Agenturen aufgefordert", sagt Schneider. Nach der Präsentation passiert oft lange nichts - wenn überhaupt ein Auftrag erteilt und die Ideen nicht intern verarbeitet werden.

Es wäre ein Wunder, blieben die film- und fernsehschaffenden freien Produzenten von dieser Entwicklung verschont. Schließlich müssen auch die TV-Sender und Rundfunkanstalten sparen. Doch auf Nachfragen reagieren manche Produzenten erschrocken: "Um Gottes willen, darüber will ich nicht sprechen. Wenn das die Redakteure in den Sendern lesen, bekommen wir gar keine Aufträge mehr." Bei den Produktionsfirmen grassiert die Angst vor der drückenden Nachfragemacht der Sendeanstalten.

Nur hinter vorgehaltener Hand sprechen die Freischaffenden über die neuen Gepflogenheiten. Über den Zwang, jährlich ein gutes Dutzend Themenideen zu liefern, von denen vielleicht eine in einen Auftrag mündet. Über opulente Einladungen zum Essen, mit denen sich Filmemacher bei ihren Kunden für einen Auftrag bedanken (müssen). Über durchaus erwünschte Kooperationen mit der Wirtschaft - ein heikles Thema, bei dem jeder Produzent in Schweigen verfällt. Über Reiseredaktionen, die noch nicht einmal die Flugtickets für das angeheuerte Team bezahlen, aber als selbstverständliche Beilage zum Film eine fertig getextete und konfektionierte Pressemappe erwarten. "Wollen Sie den Job, oder wollen Sie ihn nicht?", heißt es dann. Geiz ist geil, und Geist ist wohlfeil.

Der Druck, der auf dem Kreativen lastet, kommt allerdings nicht von ungefähr. Üppig wucherten die Honorarwünsche in den Jahren vor der Krise, großzügig entsprachen die Auftraggeber den Begehren, flüchtig studierten die Controller die vorgelegten Rechnungen, und freudig schöpften die Kunden aus dem Füllhorn der Vorschläge. Das ist vorbei. Die Märkte haben sich auf normale Temperaturen abgekühlt, und darunter leiden besonders die einst verwöhnten Dienstleister für die bunten Tüpfelchen auf dem I. Sie werden ihre ganze Kreativität brauchen, um sich einer auf Dauer veränderten Umwelt anzupassen. Ein Trost: Bis auf die Dinosaurier haben das noch fast alle geschafft.

© SZ vom 10.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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