Arbeitslose Akademiker:Zeit der Kränkungen

Lesezeit: 7 min

Sie sind jung, gebildet, haben oft mehrere Abschlüsse und gute Noten - aber keine Arbeit: Warum ein Studium keine Garantie mehr für einen Job ist.

Von Nadeschda Scharfenberg

München, im Juli - An jenem Tag, als Maren Maurers Leben aus den Fugen geriet, färbten Wolken den Sommerhimmel grau. Wind zupfte an ihren Haaren, als sie sich morgens aufmachte zur Arbeit im Münchner Osten, das Thermometer zeigte 14 Grad, viel zu wenig für einen Tag mitten im Juli 2002. Als hätte der Himmel geahnt, was passieren würde, als sie in der Firma ankam. Besser: in dem Haus, das bis zum Vorabend die Firma beherbergte. Das Unternehmen gab es nicht mehr. Dicht gemacht, aus, vorbei. Von einem Tag auf den anderen. Plötzlich stand Maren Maurer auf der Straße. Sie sagt: "Es war ein Riesen-Schock."

In ihrem Leben war bis dahin alles gut gegangen, eine Station fügte sich nahtlos an die nächste. Abitur, kaufmännische Lehre, BWL-Studium, Diplom 2001. Damals ging es der Wirtschaft gerade noch gut, Maren Maurer bekam Jobangebote zuhauf. 29 war sie, glücklich und scheinbar auf dem Weg in eine sorgenfreie Zukunft. Dass sie ein Jahr später arbeitslos sein würde, hatte sie einfach nicht auf der Rechnung.

Als sie an jenem grauen Julitag 2002 die Tür zum Büro öffnete, schlug ihr eine eisige Stimmung entgegen. Die Kollegen tuschelten. Was wird aus uns? Wer hat die besten Chancen? Früher, da waren sie Freunde gewesen, waren zusammen ausgegangen. "Es war von der Atmosphäre her toll, alle waren motiviert", sagt Maren Maurer. Traurig, dass es nur eine Nacht brauchte, eine Krisensitzung der Bosse, um das alles zu zerstören. Nicht nur die Firma. Auch die Freundschaften. Plötzlich waren die Kollegen Konkurrenten, die auf dem Arbeitsmarkt um dieselben Stellen kämpften. Jeder für sich. "Es ist ziemlich schnell alles auseinander gebröckelt", sagt Maren Maurer. Freundschaften, Hoffnungen, Selbstvertrauen. Bis heute hat sie sich nicht davon erholt.

Immer nur Absagen

Maren Maurer trägt in Wirklichkeit einen anderen Namen, wie alle arbeitslosen Frauen in dieser Geschichte. Nicht nur ihr Name soll geheim bleiben, auch, wo sie studierte, wie die Firma hieß und was dort ihre Aufgabe war. Die 32-Jährige ist nervös, sie spricht schnell und leise, räuspert sich alle paar Minuten, und ihre Finger spielen mit einer Sicherheitsnadel, machen sie auf, zu, auf, zu, eine Stunde lang. Immer ist das leise Klick-klick-klick zu hören.

Sie fürchtet, dass sie doch jemand erkennen könnte, frühere Freunde oder Kollegen, zu denen sie längst den Kontakt abgebrochen hat - "weil ich mich dafür schäme, dass ich immer noch arbeitslos bin". Diese bestürzten Fragen: Was, du hast immer noch nichts? Maren Maurer vermeidet es inzwischen sogar, nach Hause zu fahren zu den Eltern und den gut gemeinten Ratschlägen. Sie sagt, sie fühle sich einfach schlecht.

Die Zahl der Menschen, denen es ähnlich geht, wird immer größer. Ein Studium ist längst keine Garantie mehr für einen Job, die Krise hat auch Branchen erfasst, in denen viele Akademiker arbeiten. Den Informations- und Telekommunikationssektor. Die Medien. Zwischen September 2001, als nach den Anschlägen von New York und Washington nicht nur das World Trade Center, sondern auch die Weltwirtschaft zusammenbrach, und Januar 2004 wuchs die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit erfassten erwerbslosen Akademiker um gut 40 Prozent von 180.000 auf 253.000, während bei den Arbeitslosen insgesamt der Anstieg mit zwölf Prozent deutlich geringer war. Auch die Jüngeren sind von der Jobkrise betroffen, fast 70000 Akademiker unter 35 sind arbeitslos gemeldet, 70 Prozent mehr als vor drei Jahren. Die Zahl der Stellenangebote für Hochschulabsolventen hingegen sank allein im Jahr 2003 auf knapp 110.000.

Man dürfe aus diesen Zahlen nicht die falschen Schlüsse ziehen, sagt die Soziologin Franziska Schreyer vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), "ein Studium lohnt sich immer noch". Sie verweist auf die vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquote der Akademiker von vier Prozent: "Die Hochqualifizierten tragen immer noch das mit Abstand niedrigste Risiko, den Job zu verlieren."

Vielleicht ist genau das das Problem. Das Risiko, keine Stelle zu finden, ist gering, also rechnen die Hochgebildeten nicht damit. Die kahlen Flure des Arbeitsamtes kommen in ihren Zukunftsszenarien nicht vor. Umso härter ist es, wenn die Arbeitslosigkeit sie doch trifft. Wenn keiner sie einstellen will, obwohl sie im Leben alles richtig gemacht haben. Obwohl sie jung sind, obwohl sie gut sind. Maren Maurer hat Dutzende Bewerbungen verschickt, am Anfang war sie voller Hoffnung, wenn der Postbote klingelte. Inzwischen ist ihr bange vor dem Gang zum Briefkasten, Absagen, immer nur Absagen. "Mir sind schnell Zweifel gekommen", sagt sie, "was kann ich überhaupt? Was habe ich gelernt? So wenig Resonanz war ich nicht gewohnt."

Im Haus der Münchner Karriereberaterin und Psychologin Madeleine Leitner sind die Handwerker zugange, mit einem Höllenlärm bohren sie die Mauern auf, die Klingel funktioniert nicht, und sogar in Frau Leitners freundlichem Büro riecht es nach Baustaub. Natürlich ist es Zufall, aber es passt zur Situation: Abbruchstimmung auf der Baustelle Deutschland. "Es ist eine ganz, ganz schlimme Lage", sagt Leitner, "Es ist unglaublich, welche Leute im Moment arbeitslos sind."

Bei ihr sprechen Absolventen mit Prädikatsexamen vor, mit Auslandserfahrung. "Vor drei Jahren wären die weggegangen wie die warmen Semmeln", sagt sie, "die wären direkt an der Uni angesprochen worden." Jetzt kommen sie raus aus den Hochschulen, voller Elan, wollen produktiv sein. Und haben keine Möglichkeit. In den Firmen stapeln sich die Bewerbungen zu Tausenden, da ist selbst für die Besten die Chance minimal. "Das ist eine Situation, mit der man vor kurzer Zeit noch gar nicht gerechnet hat", sagt Leitner, "es ist sehr hart, wenn man nicht den Einstieg findet."

Doreen Hofmeister kennt sich aus mit dem Gefühl, immer gebremst zu werden. Sie ist 27 Jahre alt und hat drei Abschlüsse: eine Banklehre, ein Fachhochschul-Diplom, einen amerikanischen Master in Personalmanagement, Note 1,3. Nur Arbeit hat sie nicht, sie ist seit einem Jahr auf der Suche. Arbeitslosengeld bekommt sie keines, sie hat ja nie eingezahlt in die Kassen, und sie taucht deshalb auch nicht in der Statistik auf. Das mit dem Geld ist nicht so schlimm, Doreen Hofmeister hat geerbt, sie kann sich einen Hund leisten, eine Markensonnenbrille und zwei Latte Macchiato in einem Schwabinger Café. Trotzdem kommt sie sich verloren vor: "Es fängt an, an meiner Psyche zu kratzen."

Das Argument für die Absagen ist immer dasselbe: keine Berufserfahrung. "Die Firmen sind nicht mehr bereit, in Mitarbeiter zu investieren", sagt Karriereberaterin Leitner, "sie suchen die eierlegende Wollmilchsau, Leute, die alles mitbringen." Der Markt gibt solche Arbeitskräfte her. Selbst Doreen Hofmeister, die ein optimistischer Mensch ist, die hell darüber lacht, dass manche Unternehmen Absagen voller Rechtschreibfehler verschicken, klingt irgendwann ratlos. "Wie soll ich Erfahrung kriegen, wenn mich keiner ran lässt", sagt sie. Jetzt bewirbt sie sich wieder auf Praktikantenstellen, auch auf unbezahlte, vielleicht ergibt sich daraus eine Festanstellung. Von BMW hat sie jüngst eine Absage bekommen. Sie sei überqualifiziert.

Die K-Frage

Noch fühlt sich Doreen Hofmeister, als säße sie am Lenkrad ihres eigenen Schicksals. Aber je länger sie arbeitslos ist, desto stärker gerät die Karre ins Schlingern. Schon jetzt, mit 27, ist ihr Lebensplan durcheinander geraten. Fünf, sechs Jahre wollte sie arbeiten, dann Kinder bekommen, Pause machen. Die Arbeitslosigkeit zwingt sie, neu zu überlegen.

Das Kinderkriegen nach hinten verschieben? Geht nur begrenzt, irgendwann ist sie zu alt. Gleich eine Familie gründen? Schmälert die Chancen im Beruf noch mehr. Franziska Schreyer vom IAB sagt, dass Akademikerinnen privilegiert und benachteiligt zugleich sind. "Im Vergleich zu anderen Frauen haben sie Vorteile auf dem Arbeitsmarkt, Akademikern gegenüber sind sie aber immer noch schlechter gestellt." Weil ihnen die Zeit schneller davonläuft. Und weil Kinder ein Hindernis auf dem Arbeitsmarkt sind.

Monika Birnbaum, 37 Jahre, Diplom-Psychologin, hat den beiden anderen jungen Frauen eines voraus: Sie hat vier Jahre gearbeitet, in einer großen Unternehmensberatung, keiner kann ihr vorwerfen, sie hätte zu wenig Erfahrung. Aber sie hat auch einen Nachteil, und der heißt, so bitter es klingen mag, Lisa. Bis zur Geburt ihrer Tochter vor fünf Jahren rieb sich Monika Birnbaum auf für die Arbeit, lebte in Projektphasen wochenlang aus dem Koffer. Es lohnte sich ja auch, sie wurde befördert, und man sicherte ihr zu, sie könne nach dem Erziehungsurlaub Teilzeit arbeiten.

Aber dann brach die Wirtschaftskrise herein. "Als ich voller Euphorie zurückkam, gab es keinen Job mehr für mich, kein Projekt", sagt Monika Birnbaum. Seit 13 Monaten ist sie raus aus dem Beruf. Kaum eine Firma stellt eine neue Arbeitskraft ein, die nur halbtags arbeiten kann.

"Um Hausfrau zu werden, hätte ich nicht studieren müssen", sagt Monika Birnbaum. Die Energie, die sie am Anfang in ihre Bewerbungen steckte, hat sie längst verloren, "ich habe ein bisschen resigniert". Sie plant nicht mehr, sie hofft nur noch, dass sich etwas ergibt, bevor sie die 40-Jahre-Grenze überquert hat. "Wer über 40 ist", sagt Madeleine Leitner, "hat keine Chance mehr, der ist weg vom Fenster." Sie hebt die Stimme: "40! Man muss sich das mal vorstellen." Zu alt, 25 Jahre vor Beginn der Rente. "Es ist ziemlich klar, dass die Leute mit der Situation nicht fertig werden", meint Leitner, "man müsste Nerven wie Stahlseile haben."

Maren Maurers Nerven sind dünn wie Bindfäden. "Ich kann das nicht ausblenden, dass ich keine Arbeit habe", sagt sie, "es ist immer präsent." Die Arbeitslosigkeit gibt ihr nie frei, nicht einmal am Wochenende machen die Gedanken Pause: Wo bewerbe ich mich? Wer könnte von einem Job wissen? Womit könnte ich mich selbstständig machen? Manchmal kann sie aus Sorge nicht einschlafen. Das Geld wird knapp, 200 Euro bleiben im Monat, nachdem die Miete gezahlt ist. Als ihr Drucker kaputt war, war das eine Katastrophe, und wenn sie abends mit Freunden ausgeht, reicht das Geld nur für ein Getränk. Die anderen trinken zwei, drei Cocktails und werden immer fröhlicher. Maren Maurer wird immer trauriger.

Die 32-Jährige hat Angst, dass alles noch schlimmer wird. Vor ein paar Tagen hat der Bundesrat die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe beschlossen, das heißt, wenn sie bis Januar keine Stelle findet, bekommt sie nur noch Arbeitslosengeld II. Dann wird sie ihre hübsche Wohnung am Rande Münchens aufgeben müssen, das einzige, was ihr geblieben ist aus der glücklichen Zeit. Ihre Beziehung zerbrach, "vielleicht hing das auch mit meiner Arbeitslosigkeit zusammen", sagt sie leise. Freunde meldeten sich nicht mehr, vermutlich, weil sie nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten.

"Es muss irgendwie weitergehen", sagt die blasse junge Frau, sie hat zwei Bewerbungen laufen, vielleicht ist sie diesmal erfolgreich, und alles wird wie früher. Über dem Sofa hängt, gerahmt, ein Plakat ihrer ehemaligen Firma. Eine Blumenwiese im Sonnenschein. Quer darüber sind schöne Worte gedruckt, passende Worte: "Ich träume." Kurz schaut Maren Maurer auf von der Tischplatte und hinüber auf das Bild. Sie sagt, dass es dort nur noch hängt, weil die Farben so gut zu den Sofakissen passen.

© SZ vom 14.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: