Arbeiten im Krankenhaus:Ersatz für einen Halbgott

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Der Job der Krankenschwester wird anspruchsvoller - sie übernimmt sogar ärztliche Aufgaben. Das Protokoll eines Arbeitstages.

Sibylle Steinkohl

Station H4 im Klinikum Großhadern, Urologie: Annette Wenzel ist dort seit zehn Jahren Stationsleiterin. Zusammen mit den anderen zwölf Schwestern und Pflegern hat sie gut zu tun. Mehr als 1000 Patienten sind heuer schon auf der 34-Betten-Station behandelt worden. Wie die 44-Jährige mit ihrem Team den Spagat schafft zwischen Pflege und Papierkram, zwischen neuen Aufgaben und alten Hierarchien schildert sie am Beispiel eines ganz normalen Arbeitstages.

Annette Wenzel unterwegs zu einem Notfall. (Foto: Foto: Haas)

6.00 Uhr: Dienstbeginn. Bei der Übergabe am Morgen besprechen wir den Tag, Untersuchungen, Eingriffe, Bestellungen in der Apotheke und was sonst los ist. Die Nachtschwester informiert uns über eine neue Patientin mit hohem Fieber und Nierenbeckenentzündung.

7.00 Uhr: Eigentlich sollten wir bei den Tagesschichten zu fünft sein, aber das klappt nur selten wegen Urlaub, Krankheit und unseren vielen Überstunden, die wir abbauen müssen. Heute sind wir vier, Katharina wird die Stellung im Schwestern-Stützpunkt halten, wo sie für Aufnahmen und Entlassungen, das Telefon und Organisation zuständig ist. Carmen und Bobana übernehmen die eine Seite der Station, ich alleine die andere, die ,"Uro 3"'. Dort unterstützt mich Katharina bis acht Uhr. Auch als Stationsleiterin darf ich im Arbeitsablauf nicht fehlen. Wer welche Aufgaben übernimmt, teilt das Team täglich neu ein.

7.05 Uhr: Ich fahre den ersten Patienten zur OP-Schleuse. Auch beim Abholen aus dem Aufwachraum muss eine examinierte Schwester dabei sein. Manche Patienten haben Angst, manche überspielen das. Ich drücke dem Mann kurz die Hand und mache Mut, das tut jedem gut.

Patienten sprechen lieber mit den Schwestern

7.15 Uhr: Auf Uro 3 beginnt die Visite. Meistens dauert sie nicht lange, weil die Ärzte in den OP müssen. Oft müssen dann wir hinterher Fragen beantworten und etwas erklären. Viele Anliegen werden uns Schwestern vorgetragen, nicht direkt den Ärzten. Manche Patienten trauen sich nicht, für sie sind die Ärzte immer noch Halbgötter in Weiß.

7.35 Uhr: Im ersten Zimmer ist Katharina schon fast fertig. Allein brauche ich natürlich länger als die zwei Kolleginnen auf der anderen Stations-Seite. Es gibt viel zu tun: Fieber und Blutdruck messen, Betten machen, zwei alte Patientinnen auf die OP vorbereiten. Rasiert wird bei uns abends, nun ziehe ich ihnen Nachthemd und Thrombosestrümpfe an, reiche einer Frau einen Becher für die Zahnprothese und helfe der anderen beim Verstauen von Wertsachen. Nebenan liegen zwei frischoperierte Männer. Den Älteren stütze ich, damit er eine Zeitlang neben dem Bett stehen kann, der Jüngere schafft es schon zum Waschbecken. Ich gehe ihm zur Hand und bleibe bei ihm, bis er wieder wohlbehalten im Bett ist. Leider gibt es keine Duschen in den Krankenzimmern, nur ein Stationsbad, nicht gerade ideal.

9.45 Uhr: Nach dem Rundgang kommen die Kurven dran. Ich erledige, was die Ärzte eingetragen haben. Der Schriftkram wird immer umfangreicher. Jeder Patient hat eine Kurve, ein Verordnungsblatt für die Ärzte, und einen Pflegeplan. Außerdem legen wir noch für jeden Patienten einen Pflegebericht an mit den Besonderheiten wie Schmerzen, Farbe des Urins und so fort.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Annette Wenzel die Aufgaben des Arztes übernimmt.

10.10 Uhr: Wir können frühstücken. Diese gemeinsame Zeit genießt unser Team sehr. Manchmal reden wir über unsere Arbeit, oft auch über Privates. Ich erzähle von meinem fünf Monate alten Enkelkind. Eine halbe Stunde Pause steht uns zu, doch das klappt selten: Das Telefon läutet, ein Neuzugang klopft, ein Patient klingelt, einer von "meiner" Seite. Ich mache mich auf den Weg.

Annette Wenzel arbeitet mit einem Patienten. (Foto: Foto:)

10.30 Uhr: Herr S. liegt schon 27 Tage bei uns, ihm wurde die Prostata entfernt und ein künstlicher Darmausgang angelegt. Er klagt wieder über Rückenschmerzen und fragt nach "meinem" Öl. Ich bin im Arbeitskreis Aromatherapie des Klinikums und habe die Zusatzbehandlung mit ätherischen Ölen auf unserer Station eingeführt. Meine Kollegen ziehen mit. Seitdem bereiten wir fünf Mischungen selber zu, zum Beispiel für die Hautpflege und gegen Schmerzen. Die Ärzte sind darin nicht ausgebildet, manche sind auch skeptisch, aber sie sehen unsere Erfolge, und unser Chef, Professor Stief, ist einverstanden. Mit der Aromatherapie könnten wir noch mehr Gutes bewirken, doch dafür haben wir keine Zeit.

10.45 Uhr: Ein Patient wartet seit über einer Stunde auf seine Entlassung, doch die Ärzte sind im OP festgehalten. Ob ich die Restharnmessung per Ultraschall machen könnte? Das ist eigentlich eine ärztliche Aufgabe. Die Idee von uns Schwestern und Pflegern war aber, diese Sonografie auch zu lernen. Nicht um den Ärzten einen Gefallen zu tun und ihnen etwas abzunehmen, sondern um die Abläufe auf der Station besser zu gestalten, wir sparen Zeit und haben zufriedenere Patienten. Ich habe den Ultraschall bereits gelernt. Das Ergebnis telefoniere ich in den OP durch. Der Arzt gibt sein Okay, der Mann darf heim.

11.00 Uhr: Höchste Zeit für meinen zweiten Rundgang, diesmal mit dem Pflegewagen. Verbände sind zu wechseln, eine Drainage zu lupfen, das heißt, dass ich sie ein kleines Stück zurückziehe und wieder annähe, hier sind Klammern zu entfernen, dort ist ein Katheter einzulegen. Der Patient, der nicht genug ausscheidet, bekommt 20 Milligramm Lasix in einer Kurzinfusion. Eine frischoperierte Frau hat trotz Schmerzpumpe noch Beschwerden, also hänge ich eine Perfalgan-Infusion an. Das alles macht das Pflegepersonal selbständig, Professor Stief lässt uns freie Hand. Wir sind examiniert und haben oft mehr Erfahrung als die jungen Ärzte. Alle Maßnahmen dokumentiere ich genau, mit Uhrzeit.

12.40 Uhr: Ein Gespräch mit einem neuen Patienten ist vor der Übergabe gerade noch drin. Eigentlich müssen wir immer ein Pflegeaufnahmegespräch führen und es dokumentieren. Aber ganz ehrlich, bei sieben bis neun Neuzugängen am Tag schaffen wir es manchmal nicht. Nur gut, dass heute Carmen und Bobana unsere Frischoperierten aus dem Aufwachraum abgeholt haben und sich auch um die von "meiner" Seite kümmern.

12.55 Uhr: Ich gebe noch rasch die "PPR" in den Computer ein: Jeder Patient bekommt täglich seine Pflegestufe neu zugeordnet, eine allgemeine und eine spezielle. Drei bedeutet sehr pflegebedürftig. Note zwei und drei haben auf der H4 mehr als die Hälfte der Patienten.

13.00 Uhr: Bei der Übergabe an den Spätdienst wird der Zustand jedes Patienten besprochen. Da ist eine Stunde schnell um. Dass ich um 14.12 Uhr rauskomme, dem offiziellen Dienstschluss, ist wieder mal eine Illusion. Ein zweites Aufnahmegespräch möchte ich noch machen, und auch die Frau von Herrn S. hat nach mir gefragt. Trotz unserer komprimierten Zeit wollen wir gute Ansprechpartner und Zuhörer sein.

15.05 Uhr: Ich verlasse die Klinik.

© SZ vom 25.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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