Arbeit und Stimmstörungen:Wem es die Sprache verschlägt

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Bei Stress sucht sich die Psyche eine Schwachstelle und schlägt unerbittlich zu: Deshalb versagt bei vielen Berufstätigen ausgerechnet die Stimme.

S. Maurer

Wenn die Stimme versagt, kann das viele Gründe haben: ein Infekt, Überbelastung oder Knötchen auf den Stimmbändern. Meist ist eine Heiserkeit nach wenigen Tagen verschwunden, doch bei manchen Menschen wird sie chronisch - wie bei der Immobilienverwalterin Helga Klein (Name geändert) aus Berlin. Jahrelang konnte sie nur noch flüstern.

Wenn die Sprache versagt: Nicht nur psychische, auch organische, hormonelle und neurologische Störungen schlagen auf die Stimme. (Foto: Foto: iStock)

"So eine lange Krankheitsdauer ist die absolute Ausnahme", sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sprach- und Stimmheilkunde, Professor Rainer Schönweiler von der Universität Lübeck. In der Regel seien die Patienten mit chronischen Leiden etwa nach neun Monaten und ungefähr 20 Logopädie-Stunden wieder beschwerdefrei. Ausnahmen seien zum Beispiel Krebskranke, sie benötigen jahrelange Behandlungen.

Die Psyche sucht sich eine Schwachstelle

Das gilt auch für Menschen, denen es wie Helga Klein wegen psychischer Probleme im Wortsinne die Sprache verschlagen hat. Durch Angst und Stress bei ihrer Arbeit in einer Immobilienverwaltung verkrampfte sie derart, dass sie nicht mehr sprechen konnte. Die Psyche suche sich diejenige Schwachstelle aus, die einen am meisten treffe, ist Klein überzeugt. "Ich habe früher unheimlich viel und gerne gequatscht."

Die Klinik für Stimm- und Spracherkrankungen des Klinikums Weilmünster in Hessen behandelt als einzige Akutklinik Deutschlands funktionelle, organische und psychogene Stimmstörungen. Zu den Patienten gehörte zum Beispiel eine Callcenter-Mitarbeiterin, die plötzlich nicht mehr sprechen konnte. Einer Bankangestellten musste eine Zyste auf dem Stimmband entfernt werden. Es dauerte Wochen, bis sie wieder Worte über die Lippen brachte. Ein Kellner konnte nach einem Monat wieder sprechen. Er hatte seine Stimme überbeansprucht und sich so eine Stimmbandlähmung zugezogen.

Schreiend durch die Gegend laufen

Auch bei Helga Klein kam die Stimme nach einem Aufenthalt in Weilmünster immerhin zeitweise wieder. Dort hat sie mit der Klinik-Psychologin Dorothea Metz-Schneider zusammengearbeitet. Wenn diese ihre Patienten fragt: "Was würden Sie tun, wenn Sie wieder sprechen könnten?", laute die Antwort oft: "Dann würde ich laut schreiend durch die Gegend laufen."

In der Therapie lernten diese Menschen, ihrer Stimme das Wiederkommen zu erlauben, meint Metz-Schneider. Doch nicht nur psychische, auch organische, hormonelle und neurologische Störungen schlagen auf die Stimme. Sogar eine nach einem Bandscheibenvorfall erhöhte Körperspannung kann die Stimme negativ beeinflussen.

Auf der nächsten Seite: Warum vor allem Lehrer und Manager von Stimmstörungen betroffen sind.

Komplett verstummt

Die Folgen können weit reichen und sogar dazu führen, dass Menschen ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Sie ziehen sich zurück, gehen kaum mehr aus dem Haus und nicht ans Telefon. Manchmal folgen auf die Sprachlosigkeit Panikattacken. Denn im Berufsleben stehen Stimmprobleme jeder Karriere im Weg. Die Betroffenen arbeiten zudem meist in Jobs, in denen sie sehr viel sprechen müssen. Nach Schönweilers Erfahrung sind das vor allem Lehrer, die in unruhigen Klassen ihre Schüler übertönen müssen. Auch Callcenter-Mitarbeiter und Verkäufer gehören zu seinen Patienten.

"Wir behandeln zunehmend alte Menschen", ergänzt Professor Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie in Münster. Denn bei alten Menschen nimmt die Elastizität der Stimmbänder ab, auch die Schleimhäute werden trockener. Ein Schlaganfall kann die Stimme komplett zum Verstummen bringen.

Ein Psychologe hilft

Heiser wird eine Stimme, wenn der komplizierte Bewegungsablauf der Stimmbänder nicht mehr richtig funktioniert. Zum Sprechen werden sie in Schwingung versetzt. Sind diese Schwingungen unregelmäßig, etwa wegen einer Schwellung, klingt die Stimme rau. Behaucht, also ungewöhnlich zart, hört sie sich an, wenn sich die beiden Stimmbänder nicht berühren, zum Beispiel bei einer Lähmung. "Als chronisch gilt eine Heiserkeit, wenn sie nach drei Monaten immer noch da ist", sagt Schönweiler.

Ist die Stimme oft oder über eine längere Zeit heiser, empfiehlt sich der Gang zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Dieser untersucht unter anderem den Kehlkopf. Viele Patienten werden zum Logopäden geschickt und dort in der Regel 20 Stunden behandelt. "Bei seelischen Ursachen sollte auf jeden Fall ein Psychologe hinzugezogen werden", sagt Zehnhoff-Dinessen. "Denn sonst kommt vielleicht die Stimme wieder, aber der Patient kriegt ein Magengeschwür."

Falsche Tonlage, überlastete Stimmbänder

Beim Logopäden lernen einige Patienten erstmals ihre eigene Stimmlage kennen. Laut Schönweiler sprechen ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in einer falschen Tonlage. Die Folgen sind überlastete Stimmbänder. Um die eigene Stimmlage zu entdecken, genügt ein Summen. Hört sich dieser Ton ganz anders an als die eigene Stimme, haben die Stimmbänder beim Sprechen viel zu tun. Es gibt mehrere Übungen, um das Sprechen in der eigenen Stimmlage zu trainieren. Wichtig ist auch die Stimmhygiene. "Dazu gehört vieles: die Bauchatmung, bequeme Kleidung und ausreichendes Trinken", sagt Schönweiler.

Allein damit ist es bei den Patienten in Weilmünster nicht getan. "Wir sind für die harten Fälle zuständig", sagt die Therapeutin Vera Basquitt. Etwa 400 Patienten aus ganz Deutschland werden hier im Jahr behandelt, in der Regel bleiben sie sechs Wochen. Ihr Tag ist vollgepackt mit verschiedenen Therapiestunden. Neben der Arbeit mit den Logopäden gibt es Bewegungs-, Entspannungs-, Musik- und Psychotherapie - damit die Stimme wiederkommt.

© SZ vom 9.5.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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